Die von der Formel E zusammengeschnittenen Videos mit den spannendsten Team-Funksprüchen im Nachgang zu jedem Rennen sind ein absolutes Muss für Fans und Medien. So auch bei der Rennpremiere in der indischen Millionenmetropole Hyderabad.

Neben den üblichen, oftmals mit vielen Beep-Tönen versehenen Flüchen von Fahrern über Kontrahenten oder wahlweise die eigene Teamstrategie, haben die Team-Radios aus Hyderabad eine durchaus pikante Geschichte zu Tage gefördert, die einen Einfluss auf den Ausgang des Rennens gehabt haben könnte.

Bekanntermaßen musste sich Sieger Jean-Eric Vergne (DS Penske) mit allen Mitteln verteidigen, um den ersten Platz gegen Nick Cassidy (Envison) und dessen deutlichen Energie-Vorteil ins Ziel zu bringen. Zeitweise hatte der Neuseeländer vier Prozent mehr Power übrig als sein Vordermann - das ist in der Formel E eine ganz eigene Liga und im Normalfall kaum über die Renndistanz zu verteidigen.

Vergne profitierte in Hyderabad von einer späten, durch Jake Hughes (McLaren) ausgelösten Safety-Car-Phase, die über drei Runden führte. Laut einer Regelneuerung zur Saison 2023 wurde das Rennen aber nur um eine einzige Runde verlängert. Mit diesen zwei Umläufen weniger unter energiezehrenden Rennbedingungen konnte Vergne gerade ausreichend Energie sparen, um den Zielstrich mit 0 Prozent zu erreichen - also mit der maximal möglichen Effizienzausbeute.

Das Safety Car spielte eine ganz entscheidende Rolle beim elften Formel-E-Sieg des Franzosen - eine seltene Falschmeldung aus der Rennleitung war allerdings auch nicht ganz unbeteiligt! Tatsächlich wurde in der Schlussphase des Rennens auf dem Zeitenmonitor eingeblendet, dass Vergne eine schwarze Flagge angezeigt wird - der Franzose hätte in seiner nächsten Runde in die Boxengasse fahren und sich beim Renndirektor melden müssen. Das hätte ihm praktisch alle Chancen auf den Sieg genommen.

Die vermeintliche schwarze Flagge - wenig später korrigierte die Rennleitung den Fehler und zeigte wie geplant eine schwarz-weiße Flagge als Verwarnung für mehrfach überschrittene Track Limits an - führte während des Rennens nicht nur bei DS Penske und Vergne, sondern auch bei Envision und Sieganwärter Cassidy zu Verwirrung, wie aus den spannend anzuhörenden Mitschnitten des Teamfunks hervorgeht.

Bei Cassidys Renningenieur Robert Sattler, ein Mann mit langjähriger Formel-1- und DTM-Erfahrung, klang das so:

Ingenieur: "Schwarze Flagge für JEV (Vergne). Bleib einfach da, bleib einfach da."
Cassidy: "Sorry, was bedeutet das?"
Ingenieur: "Naja, er ist raus. Schwarze Flagge. Ich kenne meine Motorsportregeln."
Ingenieur: "Könnte ein Fehler sein, könnte ein Fehler sein! Könnte schwarz-weiße Flagge sein. Aber im Moment steht da schwarze Flagge."
Ingenieur: "Ist eine schwarz-weiße Flagge, korrigiert."
Cassidy: "Argh, dann habe ich eine Gelegenheit in Turn 3 verschwendet!"
Ingenieur: "Sorry, war ein Fehler von..."
Cassidy: "Ja, von der Rennleitung. Kein Problem."

Natürlich wäre Vergne im Angesicht der angeblichen Disqualifikation nicht einfach in die Boxengasse abgebogen, bevor sich das Team nicht doppelt und dreifach bei Rennleiter Scot Elkins rückversichert hätte.

Aber: Cassidy war kurzzeitig davon ausgegangen, den ersten Platz kampflos zu übernehmen und sparte sich zumindest in diesem kurzen Zeitraum einen weiteren Angriffsversuch auf den mit seiner Rest-Energie hadernden Vergne. Turn 3 - die Haarnadel-Kurve in Hyderabad - zählte zu den besten der wenigen Stellen für Überholmanöver...

Auch bei Vergne und seinem Renningenieur herrschte kurzzeitig Konfusion über das falsch angezeigte Flaggensignal. Am Team-Radio klang diese heikle Situation so:

Ingenieur: "Wir haben eine schwarze Flagge für Track Limits. Lass mich das überprüfen."
Vergne: "Nein, schwarz-weiß. Das war der Alarm. Ich bin nicht mehr drübergefahren (über die Track Limits hinaus)."
Ingenieur: "Sorry, schwarz-weiß, schwarz-weiß! Sie haben es geändert. Jetzt keine Track Limits mehr!"

Foto: LAT Images
Foto: LAT Images

Vergne ließ sich in den Schlussrunden von diesem Missgeschick der Rennleitung nicht aus der Fassung bringen und bescherte DS Penske den ersten Sieg nach einem mittelmäßigen Start in die Saison 2023. Der frühere Formel-1-Fahrer wurde seinem Ruf als 'Verteidigungsminister der Formel E' einmal mehr gerecht.

"Als das Safety Car kam, haben sich meine Energie-Targets etwas verändert und es wurde ein bisschen einfacher für mich", erklärte Vergne nach seinem ersten Sieg seit dem Rom ePrix anno 2021. "Obwohl Nick drei oder vier Prozent mehr Energie hatte, konnte ich an manchen Stellen liften, bei denen ich gut blockieren konnte. Zuvor funktionierte irgendetwas nicht mit der Rückgewinnung, deshalb musste ich früher vom Gas. Ich war sicher, dass mich Nick irgendwann überholt. Das wäre für mich okay gewesen und ich wollte nicht zu sehr verteidigen, um keine weiteren Plätze zu verlieren."

Verfolger Cassidy schaffte es nicht nur aufs Podest, sondern sammelte als einziger aller vier Fahrer mit einem Jaguar-Antriebsstrang WM-Punkte in Indien. "15 Runden vor dem Rennende dachte ich, dass wir es im Sack haben und es nur darum geht, geduldig zu sein", sagte Cassidy später. "Aber das Safety Car mit den neuen Regeln war ein Game-Changer. Ich würde nicht so weit gehen, zu sagen, dass es JEV gerettet hat. Er ist sehr gut, wenn er in Führung liegt. Und er ist nicht so happy mit zweiten Plätzen."