Der Saisonauftakt der Formel E in Mexiko-City hatte durchaus seine Spannungsmomente, war aber kaum mit Rennen aus der Vergangenheit zu vergleichen. Die 22 Fahrer gingen mit den brandneuen Gen3-Autos auffällig vorsichtig zu Werke, allein schon zu sehen an den zum Teil klaffenden Abständen zum Rennstart sowie bei den Re-Starts nach insgesamt drei Safety-Car-Phasen (Kollision von Frijns samt Handbrüchen, Technik-Ausfall von Bird, Mortara-Unfall nach Übersteuern).

Wurden die Rennen der Formel E mit den älteren Gen2-Autos gerne mal als 'Auto-Scooter'-Veranstaltungen verunglimpft, weil die Boliden aufgrund ihrer Bauart stärkere Kontakte zuließen, sah das in Mexiko-City ganz anders aus. Keiner der Fahrer traute sich, bei einem Überholmanöver mal die 'Brechstange' auszupacken. Die vergleichsweise wenigen Positionswechsel wurden in bester Formelsport-Manier so sauber wie möglich und mit genügend Abstand durchgezogen.

Formel E: Ersatzteil-Situation sehr eingeschränkt

Dass die Piloten mit den wenig bekannten Gen3-Fahrzeugen eher auf Sicherheit spielen würden statt einen Ausfall zu riskieren und damit wertvolle Daten unter realen Rennbedingungen wegzuwerfen, hatten Insider schon im Vorfeld des Rennens auf dem Autodromo Hermanos Rodriguez erwartet. Ohnehin war die Sorge vor technisch bedingten Schwierigkeiten vor allem mit den Einheitsbauteilen deutlich spürbar.

Die Piloten, die gute Vorsätze gerne mal 'vergessen', wenn sie das Helmvisier herunterklappen, hielten sich im Rennen größtenteils strikt an Teamvorgaben. "Es ist sehr wichtig, keinen Fehler zu machen", sagte Rennsieger Jake Dennis (Andretti) in einer Online-Runde mit ausgewählten Medienvertretern, zu denen auch Motorsport-Magazin.com zählte. "Die Situation mit den Ersatzteilen ist sehr eingeschränkt. Die Fahrer mussten von den Mauern wegbleiben."

Ein gewisser Mangel an Ersatzteilen war schon bei den einzigen Kollektiv-Testfahrten Ende Dezember in Valencia ein Gesprächsthema. Spark Technologies als Lieferant der einheitlichen Chassis war in den vergangenen Monaten analog zu vielen Unternehmen mit Lieferkettenproblemen konfrontiert. Einige Fahrerlager-Insider beschrieben die Ersatzteile-Lage in Valencia als durchaus dramatisch. Die Spark-Garage leerte sich von Tag zu Tag.

"In der Vergangenheit sind wir mit vollen Containern von Valencia zum ersten Rennen aufgebrochen", bestätigte Porsche-Gesamtprojektleiter Florian Modlinger damals gegenüber Motorsport-Magazin.com. "Jetzt sind die Container fast leer. Das heißt, dass wir einen Großteil erst in Mexiko bekommen. Dort wird ein erhöhter operativer Aufwand nötig sein. Hoffentlich sind wir in allen Bereichen so gut aufgestellt, dass ein Fahrer nicht die nächste Session verpasst, wenn er mal die Wand berührt."

Foto: LAT Images
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Mexiko-Sieger Dennis: "Die Fahrer vermeiden Kontakte"

Tatsächlich gelang es den Teams in Mexiko-City, sämtliche beschädigten Fahrzeuge rechtzeitig zur nächsten Session wieder aufzubauen. Im 1. Freien Training am Freitagabend erwischte es Rene Rast (McLaren), Oliver Rowland (Mahindra) und Mitch Evans (Jaguar). Im zweiten Training am frühen Samstagmorgen wenige Stunden vor dem Qualifying-Beginn crashten Edoardo Mortara (Maserati) und Sam Bird (Jaguar).

"Aktuell ist unklar, wie stark die Aufhängungen und Antriebswellen (der Gen3-Autos) sind", sagte Mexiko-Dominator Dennis. "Die Fahrer vermeiden Kontakte nach Möglichkeit, das macht auch Sinn. Richtung Ende des Jahres sehen wir härteres und engeres Racing. Die Fahrer finden heraus, mit wie viel Kontakt mit davonkommt. Aber nicht so wie zu Gen2-Zeiten, als man wegen des Bodywork-Designs quasi Rad an Rad fahren konnte."

Warum in Mexiko so wenig überholt wurde

Dass sich der Mexiko-City ePrix 2023 nicht als Überhol-Spektakel entpuppte, lag sicherlich auch an der Entscheidung der FIA, auf der Gegengeraden eine temporäre Schikane zu installieren. "Das neue Layout in Mexiko half nicht", bestätigte Dennis. "Durch die Schikane haben wir eine von zwei Überholmöglichkeiten verloren."

Auch die neuen Attack-Mode-Regeln erscheinen ausbaufähig. Zwar haben die Teams und Fahrer mehr Freiheiten und können selbst entscheiden, in welcher Form (2+2 oder 1+3 Minuten) sie den Zusatzboost aktivieren. Im Vergleich zur Vergangenheit, als die Mehrleistung für mindestens acht Minuten in den 45-minütigen Rennen anlag, hielt sich der Effekt des 350-kW-Boost aufgrund der Kürze der Dauer merklich in Grenzen.

Ebenfalls nicht förderlich für Positionswechsel ist der Umstand, dass die Gen3-Autos geringe Anforderungen an das Energie-Management stellen als ihre Gen2-Vorgänger. Durch den neuen Elektro-Motor an der Front sollen die Boliden bis zu 40 Prozent der im Rennen verbrauchten Energie zurückgewinnen können.

Formel E mit Gen3: Später liften - weniger coasten

Der Brite Dennis nach dem ersten Saisonrennen: "Das Energie-Management ist geringer, die Autos sind super-effizient. Die Fahrer pushen jetzt viel mehr. Das macht das Überholen schwieriger, das lässt sich nicht verneinen. Wir liften viel später und coasten viel weniger. Das ist gut. Wie das für das Racing ist, muss sich noch herausstellen."

Unter der auch aus der Formel 1 bekannten Fahrtechnik 'Lift and Coast' versteht man, dass Fahrer deutlich vor dem eigentlichen Bremspunkt einer Kurve den Fuß vom Gas nehmen ('Lift') und verstärkt an die Kurven heranrollen ('Coast'). Durch diesem Vorgang sparen die Autos Energie bzw. Benzin. Je später ein Fahrer vor dem Kurveneingang oder am Ende einer Geraden bremst, desto kleiner wird das Fenster für Überholmanöver.