Mit dem Mexiko-City ePrix 2023 ist die Formel E in die Gen3-Ära gestartet. Beim ersten von 16 Saisonrennen feierte Jake Dennis vom Porsche-Kundenteam Andretti einen dominanten Sieg vor Porsche-Werksfahrer Pascal Wehrlein und Pole-Setter Lucas di Grassi. Andere im Vorfeld als Favoriten gehandelte Teams blieben zunächst hinter den Erwartungen zurück. Vor dem anstehenden Double-Header in Saudi-Arabien (27./28. Januar) beleuchtet Motorsport-Magazin.com die Gewinner und Verlierer des Saisonauftakts.

Gewinner: Porsche

Porsche ist mit seinem 99X-Antriebsstrang ein echter Traumstart in die Formel-E-Saison 2023 gelungen! Da lässt sich auch der Sieg des Kunden- über das Werksteam verschmerzen. Motoren aus Weissach erzielten durch Jake Dennis und Pascal Wehrlein die ersten beiden Plätze und sammelten weitere Punkte durch Andre Lotterers vierten Platz beim Andretti-Debüt sowie P7 für Porsche-Neuzugang Antonio Felix da Costa. Der Portugiese verpasste im Qualifying die K.o.-Phase um nur zwei Tausendstelsekunden und rieb sich später im Rennen im Verkehr auf.

Die Mexiko-Ausbeute liest sich aus Sicht der Konkurrenz furchteinflößend: Andretti (38 Punkte) und das Porsche-Werksteam (24) sammelten zusammen 62 Zähler - fast doppelt so viele wie alle anderen Teams (33) zusammen! "Das kann sich sehen lassen", sagte Porsche-Motorsportchef Thomas Laudenbach und dürfte innerlich etwas aufgeatmet haben - es lastet ein ordentlicher Erfolgsdruck auf der Porsche-Mannschaft im vierten Jahr in der Formel E. Der starke Einstand des selbstentwickelten Antriebsstranges nach all den Kollektivsorgen im Vorfeld war eine echte Machtdemonstration.

Pascal Wehrlein feiert seinen vierten Podestplatz in der Formel E, Foto: Porsche AG
Pascal Wehrlein feiert seinen vierten Podestplatz in der Formel E, Foto: Porsche AG

Gewinner: Jake Dennis

Der Andretti-Pilot zählt seit seinem Formel-E-Debüt 2020 mit BMW zu den Shootings-Stars der Elektro-Rennserie - und machte seinem Ruf in Mexiko alle Ehre. Selbst mit einem beschädigten Frontflügel war der Brite im Qualifying kaum zu stoppen und der schnellste Fahrer auf der Strecke. Im Rennen nutzte Dennis von Startplatz zwei einen Patzer des Pole-Setter Lucas di Grassi eiskalt aus, übernahm die Führung und hatte beim Zieleinlauf gigantische 7,8 Sekunden Vorsprung - eine eigene Liga für üblicherweise hauchdünne Formel-E-Verhältnisse.

Dennis könnte zu den großen Gewinnern des ersten Saisondrittels zählen, schließlich trägt die Formel E ihre weiteren Rennen in Saudi-Arabien, Hyderabad und Kapstadt im knackigen Zwei-Wochen-Rhythmus aus. "In den ersten paar Wochen bleibt nicht viel Zeit für Weiterentwicklungen", wusste der 27-Jährige nach seinem vierten Formel-E-Sieg und dem siebten Podestplatz im 32. Rennen. "Vielleicht können wir unseren Vorteil bei den nächsten Rennen bewahren."

Machtdemonstration in Mexiko: Jake Dennis, Foto: LAT Images
Machtdemonstration in Mexiko: Jake Dennis, Foto: LAT Images

Gewinner: Jake Hughes

Jake Who? Das dürften sich einige Fans gefragt haben, als Neueinsteiger McLaren sein Fahrerduo für die Saison 2023 präsentierte. An der Seite des dreifachen DTM-Champions Rene Rast klang Jake Hughes, bei allem Respekt, nicht allzu spektakulär - doch der zweimalige Mercedes-Weltmeister-Teamchef Ian James hatte bei der Fahrerwahl offenbar den richtigen Riecher. Und ohnehin kannte er Hughes' Potenzial nach dessen Simulator-Einsätzen beim ehemaligen Mercedes-Werksteam.

Hughes lieferte in Mexiko riesig ab und fuhr bei seinem ersten Formel-E-Rennen als Fünfter auf Anhieb in die Punkte. Startplatz drei im Qualifying war ebenfalls eine überzeugende Leistung im Vergleich zu Teamkollege und Formel-E-Rückkehrer Rast, der im Freitags-Training crashte, als 15. ins Rennen ging und kurz vor Schluss durch eine Kollision ausfiel. Wer Rast kennt, weiß, dass der 36-Jährige dieses Ergebnis nicht auf sich sitzen lassen wird und alles daran setzt, baldmöglich zurückzuschlagen. Das Teamduell zwischen Rast und Hughes könnte sich zu den spannendsten der gesamten Saison entwickeln.

McLaren-Duo 2023: Jake Hughes und Rene Rast, Foto: LAT Images
McLaren-Duo 2023: Jake Hughes und Rene Rast, Foto: LAT Images

Gewinner: Lucas di Grassi

Hielte man sich strikt an die Statistik, stünde mit Lucas di Grassi der Formel-E-Weltmeister 2023 schon jetzt fest, denn: In jeder Saison, in der der Brasilianer von einer Pole Position startete, gewann er anschließend den Titel. So war es schon 2016/17, als di Grassi im Abt-Audi drei erste Startplätze eroberte und als zweiter Champion in die Geschichte einging. Großes Aber: Seit Montreal 2017 vergingen 1.995 Tage bis zur nächsten Pole, die Mahindra-Neuzugang di Grassi jetzt völlig überraschend in Mexiko abstaubte.

Noch stärker einzuschätzen galt seine Leistung im Rennen, als er trotz üppigem Energie-Nachteil tapfer kämpfte, sich breiter machte als der Türsteher im P1 und den dritten Platz bis zum Zieleinlauf verteidigte. Nur gegen die Autos mit Porsche-Power war in Mexiko kein Kraut gewachsen, mit dem 14. Sieg im 101. Formel-E-Rennen wurde es nichts für di Grassi. Den Podestplatz feierte er "wie einen Sieg", während Teamkollege Oliver Rowland ein schwarzes Wochenende erwischte und als 13. leer ausging.

4. Pole für Lucas di Grassi beim 101. Formel-E-Rennen, Foto: LAT Images
4. Pole für Lucas di Grassi beim 101. Formel-E-Rennen, Foto: LAT Images

Gewinner: NIO

Wenn NIO zu den Gewinnern eines Rennwochenendes zählt, hat das historischen Wert. Seit dem Titelgewinn von Nelson Piquet Junior in Saison 1 für NextEV/NIO und Oliver Turveys Mexiko-Podestsensation 2018 gab es für den chinesisch-britischen Rennstall kaum Grund zum Feiern. Dafür jetzt wieder an gleicher Stelle: Dan Ticktum beförderte seinen blauen NIO-Boliden im Qualifying sensationell auf den fünften Startplatz! Eine Fortsetzung des starken Eindrucks, den der Brite und Teamkollege Sergio Sette Camara bereits in den Trainings hinterlassen hatten.

Im Rennen - sogar noch davor - schlug dann das bekannte Unvermögen zu. Ticktum kassierte eine Durchfahrtstrafe, weil er auf dem Weg zum Dummy Grid in die Startaufstellung mehr als die erlaubten 200 kW genutzt hatte. "Das lag außerhalb meiner Kontrolle", argumentierte der Brite den höchst ungewöhnlichen Vorfall. Schon mehr in seiner Hand: Im Rennen kürzte Ticktum gleich zweimal in der Schikane ab, als einziger aller Fahrer. Zwei 10-Sekunden-Zeitstrafen waren nach der Drive-Through nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Auf einer Runde scheint NIO endlich ein konkurrenzfähiges Auto zu haben - hinter dem Renn-Trim mit Blick auf das Energie-Management bleiben große Fragezeichen.

Auffällig, aber auch wirklich schnell? Der NIO 333, Foto: LAT Images
Auffällig, aber auch wirklich schnell? Der NIO 333, Foto: LAT Images

Verlierer: DS Penske und Maserati

Zwei Teams teilen sich einen Verlierer-Platz, schließlich werkelt unter den Hauben der beiden DS Penske und von Neueinsteiger Maserati aus dem Stellantis-Konzern der exakt gleiche Antriebsstrang. Nachdem die DS-Autos bei den Testfahrten in Valencia den stärksten Eindruck hinterlassen hatten, die meisten Kilometer sammelten und durch Maserati-Neuzugang Maximilian Günther die Bestzeit erzielten, sprang in Mexiko kaum Zählbares heraus.

Der zweifache Champion Jean-Eric Vergne und sein neuer DS-Penske-Teamkollege sowie amtierender Weltmeister Stoffel Vandoorne verpassten im Qualifying die K.o.-Phase und mussten sich mit den Startplätzen 11 bzw. 14 begnügen. Im Rennen gelang Vandoorne zumindest eine kleine Aufholjagd zu Platz zehn, während Vergne wegen eines Batterieproblems ausschied, wie das Team mitteilte.

Formel-E-Newcomer Maserati mit dem Einsatzteam MSG (ehemals Venturi) blieb ebenfalls hinter den möglicherweise zu hohen Erwartungen zurück. Neuzugang Maximilian Günther verpasste als Elfter die Punkteränge knapp, während Teamkollege Edoardo Mortara seinen übersteuernden Dreizack kapital in die Mauer stopfte - der zweite Unfall des Ex-DTM-Vizemeisters am Mexiko-Wochenende. Experten vermuten, dass Mexiko als kollektiver Ausrutscher für DS-Power abgestempelt werden kann.

DS Penske reist mit nur einem Punkt aus Mexiko ab, Foto: LAT Images
DS Penske reist mit nur einem Punkt aus Mexiko ab, Foto: LAT Images

Verlierer: Jaguar

Der achte Platz von Vize-Weltmeister Mitch Evans war ein versöhnlicher Abschluss eines ansonsten von Problemen durchzogenen Mexiko-Wochenendes für Jaguar. Der Ärger begann schon in den Freien Trainings, als Evans am Freitag aus ungeklärten Gründen die Kontrolle über sein Auto verlor und in die Streckenbegrenzung donnerte. Am Samstag legte ein weiteres technisches Problem den Jaguar von Teamkollege Sam Bird lahm, und so kam er ohne richtige Vorbereitung im Qualifying nicht über den vorletzten Platz hinaus. Evans hatte sich inzwischen berappelt und immerhin den zehnten Startplatz erbeutet.

Im Rennen nahm das Unheil seinen Lauf für Formel-E-Dauerbrenner Bird, als er schon in Runde 5 wegen einer gebrochenen Antriebswelle aufgeben musste. Sein neuseeländischer Teamkollege rieb sich unterdessen im Verkehr auf und kam nur stückweise nach vorne. Für das Jaguar-Werksteam war das Resultat umso bitterer, weil das neue Kundenteam Envision (bis 2022 mit Audi-Motoren) durchaus überzeugen konnte. Neuzugang Sebastien Buemi witterte nach seiner Nissan-Leidenszeit mit Platz sechs Morgenluft. Teamkollege Nick Cassidy stellte den zweiten Envision als Neunter ebenfalls in die Punkteränge.

Viele Baustellen beim Jaguar-Werksteam, Foto: LAT Images
Viele Baustellen beim Jaguar-Werksteam, Foto: LAT Images

Verlierer: Robin Frijns und Abt-Cupra

Dass Formel-E-Rückkehrer Abt Sportsline mit dem Mahindra-Kundenmotor in den ersten Rennen keine Bäume ausreißen würde, hatte das Team aus Kempten bereits im Vorfeld erwartet. Dass mit dem verletzten Robin Frijns ein absoluter Top-Fahrer auf unbestimmte Zeit ausfallen würde, aber sicherlich nicht. Mehr als die mangelnde Performance schmerzte der Auffahr-Unfall des Niederländers, bei dem er sich das linke Handgelenk sowie vier Knochen in der Hand brach.

Mit Kelvin van der Linde haben die Äbte einen talentierten Ersatzmann präsentiert, der aber noch kein Rennen in der Formel E gefahren ist. Der Verlust des erfahrenen Frijns wiegt schwer beim ohnehin schwierig erwarteten Comeback de Äbte nach einem Jahr Auszeit. Die von Teamkollege Nico Müller gesammelten Daten im größtenteils unbekannten Gen3-Auto sind jetzt noch wichtiger, um irgendwann an die Erfolge früherer Zeiten anknüpfen zu können. Es dürfte ein langer Weg werden, wie die Ergebnisse aus Mexiko-City - einst 'Abt-Wohnzimmer' mit drei Siegen - gezeigt haben.

Verlierer: Nissan

Ohne den langjährigen Teampartner DAMS und mit den Neuzugängen Norman Nato sowie Sacha Fenestraz hatte Nissan gehofft, wieder Anschluss zur Spitze zu finden. Das Gegenteil war zumindest in Mexiko-City der Fall. Während Formel-E-Rückkehrer Nato (Berlin-Sieg 2021 mit Venturi) am Wochenende konstant auf den hinteren Plätzen herumkrebste, setzte Teamkollege Fenestraz zu Beginn seiner ersten vollen Saison (in Seoul 2022 ersetzte er den verletzten Antonio Giovinazzi) mit Startplatz acht im Qualifying ein Ausrufezeichen.

Der Franzose eroberte nach dem Rennstart schnell den siebten Platz von Sebastien Buemi und lag später als Sechster auf sicherem Punktekurs. Ein Problem mit dem Energie-Management, das Nissan nicht näher erläuterte, sorgte gegen Rennende für einen rapiden Absturz, der Fenestraz bis auf den 15. Platz zurückwarf. Das Positivste aus Nissan-Sicht in Mexiko war Jake Hughes, der mit seinem von einem Nissan angetriebenen McLaren auf ganzer Linie überzeugte.

Geht es für Nissan in der Formel E endlich wieder nach vorne?, Foto: LAT Images
Geht es für Nissan in der Formel E endlich wieder nach vorne?, Foto: LAT Images