Die "schnellsten, leichtesten, effizientesten und stärksten Elektro-Rennautos" sollten die neuen Gen3-Fahrzeuge sein, wie die Formel E in den vergangenen Wochen und Monaten niemals müde zu betonen wurde. Zumindest nach den ersten Eindrücken bei den offiziellen Testfahrten auf der permanenten Rennstrecke Circuit Ricardo Tormo kamen einige Zweifel an dieser vollmundigen Versprechung auf.
Kein Wunder: Im Vorfeld der einzigen öffentlichen Tests vor dem Saisonauftakt in Mexiko-City (14. Januar 2023) wurde spekuliert, dass die neuen Autos je nach Strecke bis zu vier Sekunden schneller sein könnten als ihre arrivierten Gen2-Vorgänger. In Valencia, einer für den Formel-E-Kalender wenig repräsentativen Strecke, wurde die Euphorie jedoch etwas ausgebremst. Anstelle der kolportierten vier Sekunden, waren es am Ende nur vier Zehntelsekunden, die der Gen3 dem alten Auto bei der Rundenzeit überlegen war.
Gen3-Auto nur vier Zehntel schneller als Vorgänger
Es dauerte bis zum Mittwochvormittag und einer schnellen Runde von Maserati-Fahrer Maximilian Günther, bis der Ende 2021 aufgestellte Streckenrekord seines heutigen Teamkollegen Edoardo Mortara geknackt war. Günther umrundete den 3,376 Kilometer langen Kurs mit seinen 15 Kurven in 1:25.339 Minuten. Auf dem gleichen Streckenlayout benötigte Mortara im Vorjahr mit dem jetzt in Rente geschickten Gen2-Auto ähnlich schnelle 1:25.763 Minuten.
Das sorgte mancherorts für Verwunderung, schließlich ist das Gen3-Auto auf dem Papier deutlich performanter: Mit bis zu 350 kW (476 PS) hat der Bolide 100 kW mehr Power als sein Vorgänger, wiegt mit 840 Kilogramm zudem deftige 60 Kilo weniger. Außerdem ist der Gen3 kürzer und schmaler, um das Racing auf den üblichen Stadtkursen zu fördern.
"Wir hatten solche Rundenzeiten erwartet"
Den bislang ausbleibenden, deutlichen Performance-Anstieg führten Teamchefs und Fahrer auf unterschiedliche Faktoren zurück. Ein wichtiger Aspekt seien die Reifen des neuen Exklusivlieferanten Hankook, der nach acht Jahren auf Michelin gefolgt ist. "Wir hatten solche Rundenzeiten erwartet", sagte ein Fahrer, der namentlich nicht genannt werden wollte, zu Motorsport-Magazin.com. "Auf den Geraden sind wir schneller. Aber weil die Reifen so hart sind, sind wir in den Kurven langsamer. Ein bisschen schneller wird es aber noch gehen."
Während der Formel-E-Pressekonferenz am Mittwoch in Valencia gaben sich andere Piloten vorsichtiger. So meinte etwa der frühere Audi-DTM-Fahrer Mortara: "Vielleicht haben wir einen größeren Unterschied erwartet. Vielleicht kommt das noch, wenn wir das Auto besser verstehen. In den Rennen sehen wir sicherlich größere Unterschiede bei den Zielzeit-Runden, weil die Autos viel effizienter sind."
Mortara: Direkter Vergleich "nicht ganz fair"
Ein direkter Vergleich sei laut Mortara "nicht ganz fair", weil die letzte Generation der Gen2-Autos nach vier Jahren im Einsatz von allen Teams perfekt beherrscht und an der Leistungsgrenze betrieben worden sei. Entwicklungssprünge gab es tatsächlich auch in der Gen2-Ära: So fuhren die Autos etwa in Berlin-Tempelhof auf fast identischen Streckenvarianten im Laufe der Jahre bis zu 1,7 Sekunden schneller. Ein besseres Verständnis für die Software und ein überarbeiteter Motor nach zwei Jahren halfen dabei, Rundenzeit zu finden.
Jaguar-Teamchef James Barclay stimmte in den Reigen ein: "Wir stehen am Beginn der Reise. Mit dem weiteren Verlauf wird die Pace ansteigen. Es gibt da nicht diesen einen Bereich. Mit Hankook haben wir einen neuen Reifen. Das ist eine recht harte Mischung im Vergleich zu Michelin. Und auf eine Weise ist es jetzt sogar schwieriger, weil die 350 kW in einem leichteren Auto unglaublich viel Drehmoment erzeugen. Da Traktion zu bekommen, ist beim Fahren eine echte Herausforderung."
Felix da Costa: "Autos haben viel mehr Power als vorher"
Tatsächlich konnte man bei Autos, die aus der temporär errichteten Schikane vor der Start/Ziel-Geraden herausbeschleunigten, deutlich sehen, wie die Fahrer mit der Bodenhaftung zu kämpfen haben. "Die Autos haben viel mehr Power als vorher", sagte der neue Porsche-Werksfahrer und frühere Champion Antonio Felix da Costa. "Aber im Moment ist es bei gewissen Bedingungen schwierig, sie zu nutzen. Vielleicht sind wir jetzt noch nicht so schnell, wie wir es erwartet hatten, aber das kommt schon mit der Zeit."
Der regnerische Auftakt der Testfahrten am Dienstag half garantiert nicht bei der Zeitenjagd, die ohnehin in Valencia nur eine Nebenrolle spielt. Im Fokus steht die Zuverlässigkeit der Autos, mit denen die Teams im Vorfeld nur wenige Monate testen konnten und die in der frühen Phase mit zahlreichen Technik-Problemen zu kämpfen hatten. Positiv: Dass schon jetzt über die Rundenzeiten lamentiert wird, zeigt deutlich, dass die Angst vor kollektiv zusammenbrechenden Autos etwas überspitzt war...
Gen3 und Hankook: Neuland für die Formel E
Die bisherigen Rundenzeiten waren auch ein Thema bei einer Pressekonferenz des neuen Formel-E-Partners Hankook, der die Reifen seit gut eineinhalb Jahren mit vielen unterschiedlichen Mischungen entwickelt hat. Die Spezifikation der Allwetterreifen, die in Valencia zum Einsatz kommt, ist die finale und soll die Teams bis zum Ende der Saison 2023 begleiten.
"Wir hatten auch ein bisschen mehr erwartet", räumte Hankooks Motorsport-Direktor Europa, Manfred Sandbichler, ein. "Wir analysieren in der Tiefe, was dazu geführt hat. Generell sieht man aber, dass die Autos schneller sind. Und einige Fahrer sind diese Reifen zum ersten Mal in ihrem Leben gefahren. Das ist ein Prozess." Der offizielle Formel-E-Entwicklungsfahrer und dreifache Le-Mans-Champion Benoit Treluyer feixte unterdessen: "Es werden sich sicher einige Fahrer beschweren. So sind die Rennfahrer eben."
Mangel an Erfahrung und Ersatzteilen
Die mangelnde Erfahrung sowohl mit dem Reifen als auch dem Gen3-Auto - viele private Hersteller-Tests mussten wegen Problemen vorrangig mit der Batterie vorzeitig abgebrochen werden - spielte sicherlich eine Rolle in der vorsichtigen Herangehensweise. Und ebenso der Bestand an vorhandenen Ersatzteilen in Valencia. Manche Teams sollen etwa leicht lädierte Unterboden-Platten mehr oder wenig notdürftig geflickt haben, weil kein Ersatz bereit stand.
Zudem sah man immer wieder Batteriewechsel rauf und runter in der Boxengasse. Am fahrfreien Medien-Donnerstag werden die Teams sicherlich ihre Restbestände genauestens überprüfen. Der eine oder andere im Fahrerlager hat Sorge, dass beim Abschluss der Testfahrten am Freitag nicht mehr ausreichend Teile aufzutreiben sind.
Von Valencia werden alle Autos direkt nach Mexiko transportiert, wo Mitte Januar der Saisonauftakt steigt. Und eines ist klar: Erst dann werden die Teams und Fahrer wirklich 'die Hosen runterlassen' und ihre wahre Performance auf den Asphalt bringen.
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