Was in manch' deutschem Bundesland als ungewöhnlich erachtet wird, gehört in Bayern seit jeher zum guten Ton: im Biergarten wird zusammengerückt, auf den Bierbänken und mit dem Maßkrug in der Hand sind alle gleich. So auch auf dem Münchner Oktoberfest, wo vor dem Start in die sechste Saison der Formel E noch mal kräftig angestoßen wurde.

Audi-Werksfahrer Daniel Abt, Mercedes-Teamchef Ian James und Porsches Gesamtprojektleiter Werksmotorsport Pascal Zurlinden ließen sich beim gemeinsamen Treffen auf der Wiesn die eine oder andere Maß schmecken.

Es dürfte die auf absehbare Zeit letzte Gelegenheit gewesen sein, bei der Vertreter der deutschen Autobauer freudig und in Bierlaune am selben Tisch schunkeln. Aus dem Festzelt heraus ging jeder seiner eigenen Wege, es stand schließlich kurz nach dem Oktoberfest das Gipfeltreffen der deutschen Big Four in der Formel E bevor.

Max Günther über Formel E 2019: Stärkstes Fahrerfeld der Welt (26:48 Min.)

"Zwar genießen wir heute einen gemeinsamen Abend, aber ich freue mich schon auf das Kräftemessen mit den neuen deutschen Teams", sagt Abt, der zu den Elektro-Pionieren zählt und seit dem ersten ePrix in Peking 2014 ununterbrochen am Start ist. "Das ist ein historischer Wettkampf zwischen diesen vier deutschen Motorsport-Giganten."

Wieder einmal ist den umtriebigen Machern der Formel E um Gründer Alejandro Agag etwas gelungen, das es so zuvor noch nie in der Geschichte des Motorsports gegeben hat. Mit Audi, BMW, Mercedes und Porsche treten in der Saison 2019/2020 zum ersten Mal vier deutsche Autohersteller mit waschechten Werksprogrammen in einer FIA-Meisterschaft gegeneinander an.

Ein ansatzweise ähnliches Szenario gab es zuletzt im Jahr 1999 bei den 24 Stunden von Le Mans, als der spätere Gesamtsieger BMW, Audi und Mercedes-Benz in der Topklasse gegeneinander antraten. Hätte sich Porsche nach dem Doppelsieg 1998 nicht zwischenzeitlich zurückgezogen, wäre es bereits vor 20 Jahren zum Vierer-Clash der deutschen Großkonzerne am Kurs entlang der Sarthe gekommen.

Porsche: Von der WEC in die Formel E

Porsche meldete sich mit Le-Mans-Siegen 2015, 2016 und 2017 fulminant auf der Langstrecke zurück, bevor der Autobauer aus Stuttgart das Programm einstampfte und den Einstieg in die Formel E vorbereitete. Niemand in der Szene hat Zweifel daran, dass die Motorsportschmiede aus Weissach mit ihrem LMP-Hintergrund von Beginn an ein Wörtchen um die Spitze in der Elektro-Serie mitreden kann - doch die Vorzeichen sprechen eine andere Sprache.

Porsche ist in der Saison 6 das einzige der zwölf Teams, das nicht auf den Erfahrungsschatz aus der Vor-Saison - der ersten mit den Gen2-Rennwagen - zurückgreifen kann. Eine 2017 geplante Partnerschaft mit dem vom US-Amerikaner Jay Penske geleiteten Dragon-Team zerschlug sich; und damit auch die Möglichkeit für Porsche-Ingenieure, die im Motorsport eher ungewöhnlichen Abläufe der Formel E hautnah erlernen zu können.

"Die anderen Teams machen das seit ein paar Jahren, wir hingegen kommen als Greenhorns", sagt Amiel Lindsey, Porsches Einsatzleiter in der Formel E. "Wir gehen den harten Weg und haben großen Respekt vor dem Wettbewerb. Gewinnen wollen wir trotzdem." Mit dem Deutschen Andre Lotterer kehrt immerhin ein Fahrer in die Porsche-Familie zurück, der sich zuvor in zwei Saisons beim amtierenden Meisterteam DS Techeetah mit der Formel E vertraut machen konnte. "Wir brauchten einen Piloten mit Rennerfahrung", bestätigt der langjährige Porsche-Mitarbeiter Lindsey.

Porsche ist als Neuling in die Formel E eingestiegen, Foto: LAT Images
Porsche ist als Neuling in die Formel E eingestiegen, Foto: LAT Images

Eine andere Herangehensweise verfolgte der zweite Neueinsteiger im Bunde, Mercedes-Benz. Als Vorhut für den Werkseinstieg schickten die Stuttgarter den etablierten und in der DTM erfolgreichen Partner HWA auf Erkundungstour. Das Unternehmen aus Affalterbach, das weiterhin die Renneinsätze durchführen wird, bekleckerte sich auch samt Mercedes-Unterstützung nicht unbedingt mit Ruhm, saugte aber begierig Wissen für den großen Werksaufschlag auf.

Mercedes setzt nicht auf deutsche Fahrer

Während die vier deutschen Rennfahrer in der Formel E selbst in den letzten Monaten kräftig die Werbetrommel für das deutsche Vierer-Duell rührten, hielten sich die Verantwortlichen vornehm zurück. "Es wird spannend mit den deutschen Herstellern und in Deutschland sicherlich für große Aufmerksamkeit sorgen, aber ich betrachte sie wie alle anderen Konkurrenten auch", sagt etwa Mercedes-Teamchef Ian James nach vielen Jahren im Unternehmen in annähernd perfektem Deutsch.

Unter den Stern-Fahrern wird hingegen kein Deutsch gesprochen. Stoffel Vandoorne in seiner zweiten Formel-E-Saison und der frischgebackene Formel-2-Champion Nyck de Vries bilden das belgisch-niederländische und hochtalentierte Fahreraufgebot des Newcomers. Damit hat sich Mercedes als einziger heimischer Autobauer gegen einen deutschen Rennfahrer entschieden.

Eine Lösung, die schon BMW im vergangenen Jahr zumindest von Medienvertretern aus Deutschland angekreidet worden war. Die Münchner haben für ihre zweite Werkssaison mit dem jungen Maximilian Günther nun einen Deutschen, noch dazu aus dem nahegelegenen Allgäu, verpflichtet.

Wie schon damals BMW Motorsport Direktor Jens Marquardt, zuckt auch Mercedes-Teamchef James mit den Schultern. "Für mich ist nicht nur wichtig, dass unsere Fahrer schnell sind, sie müssen auch das Team in die richtige Richtung entwickeln", erklärt der Brite. "Das ist für mich wichtiger, als einen deutschen, englischen oder französischen Fahrer zu haben."

Während sich die Racer über solche Aussagen freuen, verzieht so manche Marketing-Abteilung hierzulande das Gesicht. Auch in der Formel E ändert sich nichts: Einheimische Fahrer lassen sich immer besser auf den unterschiedlichen Plattformen vermarkten. Dieses Faktes ist man sich bei Audi bewusst und war gut damit beraten, Daniel Abt, der über seine sozialen Medien hunderttausende Fans erreicht, weiter zu beschäftigen.

Werkseinsätze können zum Politikum werden

Audi-Motorsportchef Dieter Gass über den bislang einzigen Formel-E-Sieger aus Deutschland und zweitbesten Fahrer eines Teams in der abgelaufenen Saison: "Mit Sicherheit ist es nicht komplett vernachlässigbar, dass wir einen deutschen Fahrer im Team haben. Bei einem Werkseinsatz überwiegt natürlich die Performance. Wir schauen uns aber das Gesamtbild an und das hat dazu geführt, dass wir Daniel für die Saison 6 bestätigt haben."

Audi, BMW, Mercedes und Porsche - der Gigantengipfel weckt hohe Erwartungen in der Branche, bringt aber auch natürliche Risiken mit sich. Wo die Großen mitmischen, wird es gern auch mal politisch und kostspielig. Die Sorge, dass ein Entwicklungskrieg der Formel E mit ihrem strikten Reglement nachhaltig schaden könnte, wird aktuell heruntergespielt. Einheits-Chassis, -Batterien und einem Festpreis von 817.300 Euro für Kundenautos sei Dank.

"Das wird man immer haben, in jeder Serie", gibt BMW Motorsport Direktor Jens Marquardt zu bedenken. "Es gibt Hersteller, die kommen mit einer großen Anzahl an Ingenieuren. Da braucht es eine Regelbehörde, die eine klare Linie vorgibt. Vergleichen wir es doch mit konventionellen Rennserien, wo Hersteller Unsummen an Geld ausgeben, nur, um eine Nuance mehr Performance zu finden. Auf der Bühne der Formel E sollte kein Wettbewerb der Zellchemie entstehen, das Racing wird dadurch nicht besser."

Deutsche Hersteller rüsten auch Kunden aus

Das Prädikat 'Made in Germany' zieht bereits seine Kreise in der Formel E. Mit Virgin Racing (Audi) und Venturi (Mercedes) beziehen zwei Teams ihre Antriebsstränge von deutschen Herstellern und mit ZF sowie Fahrer Pascal Wehrlein herrscht selbst beim indischen Rennstall Mahindra deutsches Ambiente.

Wie lange das alles gut geht? Irgendwann dürfte es wohl auch in der zeitgeistigen Formel E soweit sein, dass der erste Autobauer den Stecker zieht. "Wenn man so viele Hersteller in einer Serie vertreten hat, funktioniert das immer nur für eine absehbare Zeit", weiß Audi-Motorsportchef Gass. "Irgendwann wird der erste an einen Punkt angelangen, an dem er andere Interessen verfolgt und aussteigt. Das wird passieren, ist der normale Lauf der Dinge und hat nichts damit zu tun, dass der Hype der Formel E vorbei ist."

Bleibt vorerst nur zu hoffen, dass die Kosten in der Formel E nicht im gleichen Maße explodieren wie die Preise auf der Wiesn. Für einen Liter Bier mussten Abt und Co. in diesem Jahr knackige 11,80 Euro berappen...

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