Mercedes-Benz ist zur aktuellen Saison neben Audi, BMW und Porsche als vierter deutscher Hersteller in die Formel E eingestiegen. Managing Director Ian James spricht im Exklusiv-Interview über das neueste Projekt der Silberpfeile.

Ian, wie sind Sie zum Posten des Managing Director von Mercedes-Benz Formula E Ltd. gekommen?
Ian James: Das ist eine lange Geschichte. Ich arbeite seit 14 Jahren in unterschiedlichen Rollen bei Daimler. Ich habe mit einer Ausbildung als Ingenieur begonnen - aber ich war furchtbar als Ingenieur! Deshalb habe ich bei Daimler viele verschiedene Stationen durchlaufen, wie Finanzen, Strategische Planung und Marketingkommunikation. Von 2011 bis 2015 war ich im Rahmen des Formel-1-Projekts als Head of Programme Management bei Mercedes-AMG High Performance Powertrains tätig. In den letzten drei Jahren war ich bei der Mercedes-Benz G-Klasse Teil der Geschäftsleitung. Dann ergab sich die Gelegenheit, bei der Formel E einzusteigen. Ich glaube, es hilft manchmal, ein 'Hansdampf in allen Gassen' zu sein, wie man auf Deutsch so schön sagt. Das passt in meiner jetzigen Rolle gut.

Wo sehen Sie Ihre Stärken und Kompetenzen im Motorsport?
Ian James: Es geht einfach darum, ein Verständnis dafür zu haben, was Motorsport bedeutet. Motorsport bedeutet für mich vor allem Leidenschaft. Das ist ganz wichtig. Du brauchst auch ein Verständnis dafür, wie die Leute ticken. Am Ende des Tages ist es wichtig, dass das Team ebenfalls eine Leidenschaft entwickelt. Das sind die Experten. Ich betrachte es als Ehre, im Motorsport zu arbeiten. Das ist ein Bereich für Leute, die über eine Weltklasse-Expertise verfügen. Natürlich ist die Formel E ganz anders als die Formel 1. Da ist es vielleicht nicht so verkehrt, dass ich 'nur' fünf Jahre bei der Formel 1 war.

Warum?
Da ich auch andere Bereiche kennenlernen konnte, habe ich einen anderen Blickwinkel, eine andere Perspektive. Durch meine 14 Jahre bei Daimler verfüge ich außerdem über ein gewisses Netzwerk im Hauptquartier, das hilft ebenfalls. Die Zusammenarbeit zwischen Brackley, Brixworth, Stuttgart und Affalterbach wird in der Formel E enorm wichtig sein.

Ehemalige Formel-1-Leute arbeiten in Formel-E-Team

Ein deutsches Sprichwort besagt, dass viele Köche den Brei verderben. Haben Sie davor keine Sorge?
Ian James: Nein, nicht wirklich. Sicherlich gibt es immer Vor- und Nachteile bei einem solchen Konstrukt. Wichtig ist, dass die Zutaten und die Expertise stimmen. Und es ist mein Job, sicherzustellen, dass das koordiniert abläuft.

Ian James leitet den Werkseinsatz von Mercedes in der Formel E, Foto: Daimler AG
Ian James leitet den Werkseinsatz von Mercedes in der Formel E, Foto: Daimler AG

Der Formel-E-Motor wird in Brixworth entwickelt. Wie kam es dazu?
Ian James: Wir hatten das Glück, dass wir den neuen Motor in Brixworth entwickeln konnten. Das Team, das früher in der Formel 1 am ERS-Programm gearbeitet hat, ist jetzt für unser Formel-E-Projekt im Einsatz. Dadurch stellen wir einen Wissenstransfer her, das ist eine gute Schnittstelle, in der wir unsere Erfahrung einbringen können. Trotzdem ist die Formel E etwas anderes, deshalb dürfen wir die Herausforderung nicht unterschätzen.

Wird es Mitarbeiter geben, die parallel in der Formel 1 und in der Formel E arbeiten?
Ian James: Das ist abhängig von der jeweiligen Abteilung. Auf technischer Seite arbeiten die Leute entweder im Formel-1- oder im Formel-E-Programm. Natürlich gibt es öfter die Gelegenheit, sich zu bestimmten Themen auszutauschen. Dies findet aber nicht auf einer täglichen Basis, sondern eher in Workshops statt.

Welchen Stellenwert hat die Formel E für Mercedes im Vergleich zur Formel 1?
Ian James: Es gibt gute Gründe, warum wir in beiden Serien involviert sind. Die Zielgruppen und Differenzierungsmerkmale sind unterschiedlich. Der eine Sport findet auf Rennstrecken statt, der andere in Innenstädten. Das ist für mich ein sehr wichtiger Punkt. Wir werden immer dafür kämpfen, dass die Formel E auch künftig in den City-Centern fährt, das ist ihr USP [Unique Selling Point, d. Red.]. Ich sehe die beiden Serien nicht in Konkurrenz zueinander. Die Formel 1 ist die Königsklasse, die Formel E hingegen ein spannendes Start-up. Es gibt Raum für beide Serien, da mache ich mir überhaupt keine Sorgen.

Beim Saisonauftakt in Saudi-Arabien war auch Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff zu Gast, Foto: LAT Images
Beim Saisonauftakt in Saudi-Arabien war auch Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff zu Gast, Foto: LAT Images

Inwiefern ist Toto Wolff in das Formel-E-Projekt involviert und wie sieht Ihre Zusammenarbeit aus?
Ian James: Toto ist unser Motorsportchef und zudem CEO von Mercedes-Benz Formula E Ltd. Wir sprechen oft miteinander. Ich habe nicht diese Erfahrung und Expertise im Motorsport, deshalb ist er ein sehr wichtiger Ansprechpartner in vielerlei Hinsicht. Wir sprechen häufig nach Rennwochenenden, egal ob Formel 1 oder Formel E. Wir diskutieren, was funktioniert hat und wo es Verbesserungspotenzial gibt. Die Zusammenarbeit ist für mich persönlich sehr wichtig und funktioniert super.

Ist es möglich, dass Sie selbst in der kommenden Formel-E-Saison bei den Rennen am Kommandostand von Mercedes sitzen?
Ian James: Die genaue Aufteilung werden wir zu einem späteren Zeitpunkt bekanntgeben. Momentan bin ich als Managing Director ganz happy. Es gibt genug zu tun, denn wir haben das ganze Projekt auf einem weißen Blatt Papier begonnen. Wir müssen auch sicherstellen, dass die Formel E in Zukunft für uns relevant ist. Ich sehe es als Teil meiner Aufgabe, sicherzustellen, dass die Formel E auf Marketing-Seite ein Teil der Gesamtstrategie von Mercedes-Benz ist und bleibt.

Müssen aufpassen, dass es nicht zu einer Kostenexplosion kommt

Wie wichtig ist die Formel E denn als Marketingplattform?
Ian James: Die Formel E hat momentan die richtige Balance. Für uns ist es wichtig auf Marketingseite, Kernthemen wie Nachhaltigkeit und Elektromobilität in Verbindung mit Rennen in Innenstädten zu bringen. Es braucht aber die richtige Balance mit dem Rennsport. Der Rennsport muss glaubhaft sein, sonst funktioniert es nicht. Wir müssen zusammen mit den anderen Herstellern, der FIA und der Formel E sicherstellen, dass es sich auch in Zukunft in die richtige Richtung entwickelt.

Worauf genau müssen Sie da aufpassen?
Ian James: Wir müssen sicherstellen, dass mir mit Blick auf die Innovationen glaubhaft unterwegs sind. Gleichzeitig sind die Kosten ein Thema für alle. Wir müssen wirklich aufpassen, dass es nicht zu einer Kostenexplosion kommt. Deshalb ist die Zusammenarbeit der drei angesprochenen Haupt-Player sehr wichtig. Nur dadurch können wir sicherstellen, dass es für alle passt. Wir befinden uns schon in Gesprächen zum künftigen Gen3-Rennauto und es freut mich, dass wir hier bereits Gemeinsamkeiten gefunden haben.

In der Formel E kommen Einheitsbatterien zum Einsatz. Was halten Sie von der Möglichkeit, die Entwicklung den einzelnen Herstellern zu überlassen?
Ian James: Wir müssen sicherstellen, dass die Formel E auf technischer Seite relevant ist. Es darf aber kein Wettrüsten zwischen den verschiedenen Herstellern geben, das ist sehr wichtig. Die Batterie ist ein gutes Beispiel. Sobald wir die Entwicklung freigeben, würde es unglaublich teuer werden. Ich glaube nicht, dass das die richtige Lösung wäre. Vielleicht gibt es die Möglichkeit, einen Teil des Systems selber zu entwickeln. Dazu befinden wir uns in Gesprächen mit der FIA und der Formel E, um zu schauen, wo es Sinn machen würde. Da ist es auch im Sinne der Hersteller, so schnell wie möglich eine Abstimmung zu erreichen.

Formel E Saudi-Arabien 2019: Onboard-Videos zu den Rennen (06:03 Min.)

Was halten Sie vom Konzept des Einheits-Chassis in der Formel E?
Ian James: Ich halte das aktuelle Gen2-Auto für eine super Lösung. Es ist natürlich ein Kompromiss, aber wir haben mit der Motorenentwicklung eine sehr starke Gelegenheit, unsere eigene Innovation beziehungsweise Entwicklungsstärke in den Vordergrund zu stellen. Wenn wir beginnen würden, die Aero oder Batterie anzufassen, würde das alles ändern - und zwar nicht in die richtige Richtung.

Wie sieht die Zielsetzung für die erste Saison von Mercedes-Benz in der Formel E aus?
Ian James: Allen voran sind wir Racer. Wir blicken bei Mercedes auf 125 Jahre im Motorsport zurück. Aber wir wissen, dass die Formel E ganz anders ist als andere Rennserien. Das sehen wir in der aktuellen Saison. Solch eine Variabilität gab es zuvor noch nie in einer Serie. Wir tun alles, um erfolgreich zu sein. Aber wir haben eine notwendige Demut. Alles andere wäre ein Blick in die Kristallkugel. Ein vorformuliertes Ziel mit Blick auf das Sportliche gibt es deshalb nicht von unserer Seite.

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