Wie klein die Motorsportwelt doch manchmal ist. Vor etwa zehn Jahren ging Pascal Wehrlein in Friedrichshafen zur Berufsschule - jetzt arbeitet er mit ZF, dem bekanntesten Unternehmen aus der Stadt am Bodensee, zusammen. Der Technikkonzern mit weltweit 149.000 Mitarbeitern ist neuer Antriebsstrang-Partner des indischen Rennstalls Mahindra, für den Wehrlein seine zweite Saison in der Formel E bestreitet. Motorsport-Magazin.com traf den DTM-Champion von 2015 und früheren Formel-1-Fahrer bei der Teamvorstellung Anfang Oktober in Hockenheim zum Interview.

Was führte zur Entscheidung, eine weitere Formel-E-Saison mit Mahindra zu bestreiten?
Pascal Wehrlein: Ich fühle mich wohl im Team. In der vergangenen Saison ging es auf und ab. Einige Ergebnisse waren besser als gedacht, andere Rennen, vor allem gegen Saisonende, hingegen nicht so toll. Aus Gesprächen habe ich den Eindruck gewonnen, dass hier vieles in die richtige Richtung geht und auch das Potenzial gesehen. Deshalb bin ich bei Mahindra geblieben.

Hattest du eine Alternative?
Pascal Wehrlein: Ja. Allerding war es im Vorhinein schon ein bisschen klar, dass ich wahrscheinlich bleiben werde, auch aus vertraglicher Sicht. Natürlich muss es für beide Seiten passen. Wir haben uns zusammengesetzt - und es hat gepasst für ein weiteres Jahr.

Wie konkret war dein Plan für eine Rückkehr in die Formel 1?
Pascal Wehrlein: Gar nicht so konkret. Momentan habe ich mit Ausnahme meines Jobs bei Ferrari keine Gedanken an die Formel 1. Ich fühle mich ja sehr wohl in der Formel E. Und zusammen mit meinem Simulator-Job bei Ferrari bin ich in einer sehr guten Position.

Wehrlein stand kurz vor einem IndyCar-Test

MIM (Monaco Increase Management) hat in Zusammenarbeit mit Adrian Campos angekündigt, 2021 mit einem neuen Team in die Formel 1 einsteigen zu wollen. Das Team betreut auch dich und hat deinen Namen ins Spiel gebracht. Wäre das interessant für dich?
Pascal Wehrlein: Das Interesse von deren Seite ist da, mich als Fahrer zu haben, wenn alles klappen sollte. Von meiner Seite auch. Wir müssen abwarten, wie es damit weitergeht. Ich stehe der ganzen Sache erst mal offen gegenüber. Für mich ist es noch viel zu früh, darüber nachzudenken. Mit einem Team muss es einfach passen und es sollte auch längerfristig sein. Ich habe keine Lust mehr auf einjährige Verträge und dass ich nach zwei, drei Monaten schon wieder schauen muss, was ich nächstes Jahr mache.

Es gab auch Überlegungen in Richtung IndyCars. Wie konkret war das Interesse?
Pascal Wehrlein: Ich hätte im September beinahe ein IndyCar getestet. Aber wenn man solch ein Projekt nicht voll durchzieht, also die Vorbereitung und die ganze Saison fährt, fehlt mir der Reiz. Ovalrennen würden mich schon reizen, so etwas bin ich noch nie gefahren.

Was genau reizt dich denn an der Formel E?
Pascal Wehrlein: Das Spannendste ist der Konkurrenzkampf. In der Formel 1 hatte ich zwar Spaß. Aber was war mein bestes Ergebnis? Ein achter Platz mit Sauber. Mit dem Auto war das gut, aber es hat mich nicht befriedigt. Das hat mir nicht die Gefühle gegeben, die mir eine Pole oder ein Podium geben würden. Wenn man ehrlich ist: In den Rennen für Manor oder Sauber bin ich meist unter dem Radar gefahren. Wenn wir ein paar Autos hinter uns lassen konnten, war das schon ein positives Wochenende fürs Team. Für mich aber nicht. In der Formel E gibt es auch Unterschiede zwischen den Teams. Aber die halten sich insofern in Grenzen, dass jedes Team aufs Podium fahren kann.

Formel E: Fuck! Shit! Die besten Funksprüche vom Saisonstart: (07:54 Min.)

Wie steht es eigentlich um dein technisches Wissen? Weißt du, was in einem Formel-E-Auto mit Software, Energie-Management und Co. vor sich geht?
Pascal Wehrlein: Ja, ich arbeite mich rein. Mich interessiert das Thema. Ich möchte ein Teil davon sein, statt mich am Wochenende nur ins Auto zu setzen und dann wieder zu gehen. Ich habe mich auch in der Formel 1 mit der Technik und der Aerodynamik beschäftigt. Vor allem in die Aero, die in der Formel E eine nicht so große Rolle spielt, habe ich mich reingearbeitet und versucht zu verstehen. Ich bin natürlich kein Ingenieur, aber ich glaube, dass das beim Feedback hilft.

Wehrlein ist mit Formel-E-Einstieg zufrieden

Wie fällt rückblickend das Fazit zu deiner ersten Saison in der Formel E aus?
Pascal Wehrlein: Mein größter Erfolg in der vergangenen Saison war zum einen mein guter Einstieg. Ich kam von Beginn an gut zurecht in der Formel E. Und sicherlich auch meine Performance im Qualifying. Im Quali sind die Bedingungen zwischen den Teams noch ähnlicher als in den Rennen. Da stehen jedem Fahrer 250 kW zur Verfügung und dann ist Vollgas angesagt. Im Rennen sind die Unterschiede zwischen den Autos stärker spürbar.

Was hat dich mehr geärgert: Dass dir in Mexiko auf dem Weg zum Sieg auf den letzten Metern die Energie ausging, oder dass du in Paris nachträglich die Pole Position verloren hast, weil eure Reifendrücke nicht regelkonform waren [Reifendruck bei Nachprüfung zu gering]?
Pascal Wehrlein: Paris. Manchmal spürt man im Auto, ohne auf die Zeiten zu schauen, dass das eine Wahnsinns-Runde war. Genauso war es in Paris. Ich habe da schon im Auto gejubelt, obwohl noch ein Auto nach mir seine Runde gefahren ist! Das war mir aber egal, weil ich wusste, dass der mich niemals kriegen würde. Und ich sage bis heute, dass man uns zu Unrecht vom Qualifying disqualifiziert hat. Nach dem Vorfall wurde das Reglement ja auch entsprechend geändert... In Mexiko war es anders, das war mein zweites Rennen in der Formel E. Es war knapp, aber ich war neu und mit der Energie hat es nicht 100-pro gepasst. Wir hatten uns da verschätzt, das kann passieren.

Pacal Wehrlein ist inzwischen Simulator-Fahrer bei Ferrari, Foto: LAT Images
Pacal Wehrlein ist inzwischen Simulator-Fahrer bei Ferrari, Foto: LAT Images

Wie gehst du deine zweite Saison in der Formel E an?
Pascal Wehrlein: Mein klares Ziel ist der Sieg. Ich möchte auf jeden Fall ein Rennen gewinnen, ich bin bereit dafür. Das waren wir als Team auch schon in der vergangenen Saison, es kam aber nie richtig zusammen. Das Potenzial ist auf beiden Seiten vorhanden. Das Qualifying war letzte Saison schon sehr gut bei mir, im Durchschnitt war ich nach Buemi der zweitbeste Fahrer im gesamten Feld. Am meisten arbeiten muss ich an der Renn-Performance, dem Energie-Management und dem Verständnis des Autos. Als Team wollen wir zudem mehr Konstanz erreichen.

Mit ZF aus Friedrichshafen erhält Mahindra einen neuen Partner für den Antriebsstrang. Was bedeutet das für euer Team?
Pascal Wehrlein: ZF ist ein riesiges Unternehmen und die Zusammenarbeit wird uns sehr helfen. Bei Mahindra sind wir auf Zulieferer angewiesen und mit ZF haben wir einen Partner, der zusammen mit uns die Entwicklung vorantreibt und uns hoffentlich weiter nach vorne bringt. Ich freue mich sehr darauf, das ist eine Win-Win-Situation.

Du bist in Sigmaringen am Bodensee aufgewachsen. Warst du schon mal in Friedrichshafen?
Pascal Wehrlein: Ja, war ich tatsächlich. In Friedrichshafen war ich auf der Berufsschule, ich habe ich eine Ausbildung zum Feinwerkmechaniker gemacht. Und später mit der Deutsche Post Speed Academy hatten wir mal einen Workshop bei ZF-Sachs.

Wehrlein genießt Ruhe und Beschaulichkeit

Wen siehst du als Favoriten für die sechste Saison?
Pascal Wehrlein: Ich glaube nicht, dass es den einen Favoriten gibt. Audi und Techeetah werden wieder stark sein. Die beiden gilt es erst einmal zu schlagen. Von den Neueinsteigern Porsche und Mercedes kann man eigentlich nur Positives erwarten. Bestimmt werden sie eine Weile brauchen, weil die Formel E schon speziell ist. Aber Know-how und Manpower sind auf jeden Fall vorhanden.

MSM-Redakteur Robert Seiwert traf Pascal Wehrlein zum Interview, Foto: Mahindra/Spacesuit Media
MSM-Redakteur Robert Seiwert traf Pascal Wehrlein zum Interview, Foto: Mahindra/Spacesuit Media

Du bist einer von vier deutschen Fahrern in der Formel E. Wie wichtig sind dir Popularität und Bekanntheitsgrad in Deutschland?
Pascal Wehrlein: Das ist mir nicht so wichtig. Ich wohne in einem ruhigen Dorf, bin froh, wenn ich nicht erkannt werde und meine Ruhe habe. Ich genieße einfach mein Privatleben sehr. Natürlich freue ich mich, unter deutscher Flagge Rennen zu fahren. Als Privatperson ist es mir aber nicht wichtig, bekannt zu sein oder Popularität auf der Straße zu genießen.

Das klingt nach der Einstellung deines Ferrari-Kollegen Sebastian Vettel. Warum ist dir das nicht wichtig?
Pascal Wehrlein: Ich habe auch mit Sebastian darüber gesprochen. Das liegt sicherlich an meiner Erziehung und daran, wie ich aufgewachsen bin. Dieses Präsentieren nach außen hin liegt mir nicht so. Ich habe auch nicht das Bedürfnis, auf Instagram zu posten, welches Auto ich gerade fahre oder ob ich ein Boot habe. Na klar, auch ich zeige mal Privates in den sozialen Medien. Aber daraus eine Show zu machen oder damit angeben zu wollen, das ist nicht meins.

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