Es war das große Beben, praktisch der TV-GAU für die Formel E in Deutschland: In der vergangenen Woche gab der bisherige Fernsehpartner ProSieben das Vertrags-Aus bekannt und wird die Rennen der Elektro-Weltmeisterschaft 2024 nicht mehr übertragen. Wo deutsche Zuschauer weniger als zwei Monate vor dem Saisonstart in Mexiko-City (13. Januar) die Rennen schauen können, ist noch nicht bekannt.
Nach Informationen von Motorsport-Magazin.com aus unterschiedlichen Kreisen will die Formel E ihren Partnern in rund zwei Wochen eine kurzfristige Lösung präsentieren. Wohin die Fernseh-Reise geht, ist noch offen. Als sicher gilt aber: Einen gleichwertigen Ersatz auf dem TV-Markt wird die FIA-Rennserie innerhalb dieser kurzen Zeitspanne nicht finden. Dass die Formel E den ProSieben-Rückzug "überrascht und enttäuscht" kommentierte, spricht Bände.
Formel E in Deutschland: ARD und RTL winken ab
Bei RTL und seinem Spartenkanal Nitro soll die Formel E derzeit kein Thema sein, wie Motorsport-Magazin.com aus Senderkreisen erfahren hat. RTL hatte im Frühjahr 2023 nach mehr als 30 Jahren den endgültigen Ausstieg aus der Formel 1 verkündet, um sich stattdessen mehr auf Fußball und die neu erworbenen Rechte an der NFL (Football) zu konzentrieren. Nitro hat aktuell und auch weiterhin die WEC und das 24h-Rennen Nürburgring in seinem Portfolio.
Und ein ARD-Insider, der namentlich nicht genannt werden will, sagte zu MSM: "In unseren Planungen taucht die Formel E definitiv nicht auf." Der öffentlich-rechtliche Sender zeigte 2018 das Berlin-Rennen der Formel E im Free-TV und erzielte mit 1,46 Millionen Zuschauern sowie einem Marktanteil von 20,2 Prozent einen bis heute ungebrochenen Quotenrekord für die Rennserie in Deutschland.
Eurosport-Rückkehr würde dramatischen Einbruch bedeuten
Als Favorit gilt derzeit eine Rückkehr zu Eurosport 1, das die Formel E in Deutschland bereits von der Saison 2015/16 (Saison 2) bis 2019/20 (Saison 6) im Free-TV ausstrahlte. Seit der Rechteübernahme durch ProSiebenSat.1 mit dem Beginn der Saison 2020/21 zeigte Eurosport die Rennen nur noch hinter der Bezahlschranke auf Eurosport 2. Auf MSM-Anfrage, wie es 2024 weitergeht, konnte ein Sendersprecher noch keine Antwort liefern. Eine Rückkehr zum Bezahlsender Sky, wo die Formel E in ihrer ersten Saison 2014/15 übertragen wurde, soll ebenfalls im Gespräch, aber eher unwahrscheinlich sein.
Bei einer derartigen TV-Lösung dürften die Sichtbarkeit und Reichweite der Formel E auf dem deutschen Markt dramatisch einbrechen. Zur Erinnerung: Zu Zeiten von Eurosport 1 bewegten sich die Marktanteile der Formel-E-Rennen zwischen 0,6 und 0,8 Prozent. Bei den meisten ePrixs schalteten nur eine fünfstellige Zahl an Zuschauern ein. Das lag meilenweit hinter dem Anspruch der zahlreichen in der Formel E vertretenen Autohersteller und Partner.
ProSieben argumentiert mit mangelndem Interesse
Nachfolger ProSieben/Sat.1 bekleckerte sich mit Blick auf den eigenen Senderschnitt zwar ebenfalls nicht mit überzeugenden Einschaltquoten, lieferte aber auf einem deutlich höheren Niveau ab. In der abgelaufenen Saison 2023 erzielte ProSieben einen Marktanteil von 2,2 Prozent und durchschnittlich 250.000 Zuschauer. Das entsprach einem leichten Rückgang zum Vorjahr (280.000 Zuschauer bei 2,5 Prozent Marktanteil) und lag erneut einiges hinter den Quoten von Konzernschwester Sat.1, die die Formel-E-Rennen 2021 zeigte (454.000 Zuschauer bei 3,3 Prozent Marktanteil).
Ein ProSieben-Sprecher argumentierte den Rückzug aus der Formel E nur wenige Wochen vor der neuen Saison mit dem Zuschauerinteresse, das sich "leider nicht wie erwartet entwickelt habe". Zu den Quoten der DTM (2023: 350.000 Zuschauer bei 3,7 Prozent Marktanteil), die ebenfalls von ProSieben übertragen wird und geringere Produktionskosten verursacht als die Formel E, hieß es: "Die Performance der DTM am ProSieben-Nachmittag hat in diesem Jahr die Erwartungen klar erfüllt."
ProSiebenSat.1-Beben: 400 bis 500 Stellen vor dem Aus
Das überschaubare Zuschauerinteresse an der Formel E dürfte ein Teil der Wahrheit sein. Der andere - und vermutlich entscheidende - Teil ist der vom Vorstand verordnete Sparkurs innerhalb des Sendekonzerns. Zur Jahresmitte kündigte ProSiebenSat.1 einen "sozialverträglichen" Abbau von rund 400 Stellen noch in diesem Jahr an, was etwa jedem zehnten Arbeitsplatz im Unterhaltungskerngeschäft und in der Holding in Unterföhring bei München entspricht.
Inzwischen ist sogar die Rede von bis zu 500 Arbeitsplätzen. Zuletzt musste ProSiebenSat.1 seine Prognose für das Geschäftsjahr 2023 leicht nach unten korrigieren, und der Hoffnungsschimmer auf ein viertes Quartal mit leichtem Wachstum wird in der Finanzbranche kritisch beäugt.
Diesem Kostendruck dürfte neben weiteren Formaten auch die Formel E zum Opfer gefallen sein. Im Oktober dieses Jahres verabschiedete sich ProSiebenSat.1-Geschäftsführer Daniel Rosemann nach 15 Jahren im Konzern, gleichzeitig wurde die Entertainment-Sparte beim Dachkonzern unter die Führung von Gesamtchef Bert Habets gestellt. Damit dürften auch angebliche mündliche Zusagen von ProSieben-Führungskräften in Richtung der Formel E für eine Fortsetzung der Zusammenarbeit erledigt gewesen sein.
Deutsche Hersteller-Rückzüge schmerzen ProSieben
Als ProSiebenSat.1 zur Saison 2020/21 die TV-Rechte an der Formel E erwarb, herrschten gänzlich andere Voraussetzungen als aktuell: Mit Audi, BMW, Mercedes-Benz und Porsche engagierten sich vier deutsche Autohersteller in der Serie und brachten zahlreiche Sponsoren mit, von denen unter anderem das Werbegeschäft von ProSieben profitierte.
Große deutschstämmige Unternehmen wie Bosch, Schaeffler oder Hugo Boss spülten ebenfalls Geld in den immens wichtigen Werbetopf des privaten TV-Senders. Davon ist nach den Rückzügen der deutschen Marken mit Ausnahme von Porsche nicht viel übrig geblieben. Das allgemeine Interesse hat sich deutlich in Richtung der Hersteller-erstarkten WEC (wird von RTL Nitro übertragen) gewendet.
Durfte man am Rande des Saisonfinales in London Ende Juli trotz der verabreichten Sparmaßnahmen noch guter Hoffnung sein, dass die Formel E auch 2024 bei ProSieben läuft, herrschte in der Folgezeit immer größere Unsicherheit. Mit leiser Hoffnung machte sich Ende Oktober noch ein kleines ProSieben-Team auf nach Valencia zu den offiziellen Formel-E-Testfahrten, um Material für die kommende Saison zu drehen. Zwar taten Vertreter von ProSieben und der Formel E ihr Möglichstes, um eine Lösung zu finden, doch die offizielle Vorstands-Bestätigung für das Aus folgte dann Anfang November.
Abt-CEO Biermaier: "Natürlich sind wir enttäuscht"
Für die Formel E bedeutet der Rücktritt von ProSieben die zweite TV-Hiobsbotschaft innerhalb kurzer Zeit. In Großbritannien hat der bisherige Fernsehpartner Channel 4 ebenfalls den Stecker gezogen, die Zusammenarbeit endete nach nur zwei Jahren. Zwar ist die Elektro-WM größer als der deutsche und der britische Markt, doch gerade ProSieben galt als internationaler 'Top-Broadcaster', der die Übertragungen so groß aufzog wie kaum ein anderer Sender und auch vor Ort stets gut besetzt sowie mit großer Leidenschaft auftrat.
"Natürlich sind wir enttäuscht, dass ProSieben die Formel E nicht weiter begleiten wird", sagte Abt-Geschäftsführer Thomas Biermaier, dessen Team dieses Jahr in die Formel E zurückgekehrt ist, zu Motorsport-Magazin.com. "Unser Dank geht an das fantastische Team, das wir ja auch aus der DTM kennen. Die ganze Mannschaft an der Rennstrecke und in München hat die Formel E mit so viel Leidenschaft, Einsatz und Professionalität einem neuen Publikum vorgestellt und war im Kreis der internationalen Broadcaster absolute Benchmark."
Mit Blick auf den künftigen TV-Partner in Deutschland, hoffte Biermaier - was soll ihm auch anderes übrig bleiben - mit dem privat finanzierten Abt-Rennstall auf eine adäquate Lösung: "Auch wenn es jetzt nur noch zwei Monate bis zum Saisonstart sind, haben wir volles Vertrauen in die Formel E, eine gute TV-Lösung für den deutschsprachigen Raum zu finden."
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