Bob, Renault hat ein ziemlich arbeitsintensives Testprogramm während der Winterpause abgespult. Welche Bilanz würden Sie ziehen?
Bob Bell: Ich denke, wir können mit dem Erreichten sehr zufrieden sein. Wir haben unsere Vorbereitung komplett abgeschlossen. Was die Performance unseres neuen Renault betrifft, so müssen wir abwarten, wo wir wirklich stehen - die lässt sich jetzt noch nicht umfassend beurteilen. Aber ich erwarte, dass es zwischen einer größeren Gruppe von Teams recht eng zugehen wird. Was auf jeden Fall gut für uns gelaufen ist: Wir haben unser neues Auto bereits sehr gut verstanden und wissen, was wir unternehmen müssen, um eine gute Abstimmung zu finden - dies hilft uns, das Optimum aus den Möglichkeiten des neuen Renault R28 zu schöpfen. Wir stießen bisher auf keine fundamentalen Handling-Probleme, und auch unsere Schwierigkeiten des vergangenen Jahres sind ausgemerzt. Ebenfalls sehr positiv beurteile ich, dass wir in puncto Zuverlässigkeit sehr gut dastehen - denn dies gehörte zu den maßgeblichsten Zielen unserer Testarbeit vor der Saison. Jetzt beginnt auch für die Ingenieure ein spannendes Rennen: jenes um die schnellste und effizienteste Fortentwicklung des gesamten Pakets. Sie wird maßgeblich darüber entscheiden, wer in den kommenden Monaten konkurrenzfähig bleibt oder wird.

Jetzt, wo Fernando Alonso wieder an Bord ist: Wie würden Sie die Stimmung im Team bezeichnen?
Bob Bell: Ich denke, die Rückkehr unseres Doppelweltmeisters hat allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nochmals einen Motivationsschub verliehen. Fernando ist ein echter Kämpfer, er gibt sich mit nichts Geringerem als dem Maximum zufrieden - und diese Grundeinstellung überträgt sich auf das gesamte Team. Wir können bei jedem einzelnen Grand Prix, den wir gemeinsam mit Alonso in Angriff nehmen, fest davon ausgehen, dass er das bestmögliche Resultat für uns herausholt. Dies sorgt für sehr großen Enthusiasmus.

Auch in diesem Jahr gebt ihr wieder einem Formel 1-Neuling eine Chance - Nelson Piquet. Wie hat er sich an seine neue Rolle als Grand Prix-Pilot gewöhnt?
Bob Bell: Nelson Piquet hat sich über den Winter enorm hart auf sein Formel 1-Debüt vorbereitet. Seine Schnelligkeit während der Testfahrt erreichte ein sehr hohes Niveau. Wir werten dies als eindeutiges Signal, dass er so bereit für diesen Job ist, wie er nur sein kann. Er arbeitet sehr gut mit seinen Ingenieuren zusammen, die ihm ihrerseits jede erdenkliche Hilfestellung haben zukommen lassen. Jetzt muss er sein Können auch im Rennen umsetzen und beweisen, dass er diesem Stress gewachsen ist - denn die Belastungen auf die Fahrer während eines Grand Prix übersteigt jenen Druck, den er von Testfahrten gewohnt ist, immens. Wir sind gespannt darauf zu sehen, wie er mit diesen Aufgaben klarkommt - ich bin mir sehr sicher, dass er es packt.

Renault sieht sich in besserer Verfassung als 2007., Foto: Sutton
Renault sieht sich in besserer Verfassung als 2007., Foto: Sutton

Sie haben in den vergangenen Monaten immer wieder eingeräumt, dass der Renault R27 des Vorjahres zu konservativ konstruiert war. Wie seid Ihr an die neue Saison herangegangen?
Bob Bell: Wir haben nochmals intensiver versucht, in allen sich uns bietenden Bereichen noch näher ans Optimum heranzukommen. Dies trifft nicht zuletzt auf die Aerodynamik zu. In der heutigen Formel 1 entscheiden vor allem die aerodynamischen Eigenschaften des Autos über seinen Erfolg oder Misserfolg. Darum haben wir uns auf diese Thematik besonders intensiv konzentriert. Dabei widmeten wir uns speziell dem Vorderwagen, sprich dem Frontflügel und den Radaufhängungen vorn. Mit einer sogenannten "Zero-Keel"-Konstruktion nähern wir uns einem gängigen Trend an, der uns in den vorherigen Jahren keine Vorteile gebracht hat. Jetzt erleichtert er es, das Potenzial der Vorderreifen noch besser zu nutzen.

Wie beurteilen Sie die bevorstehende Grand Prix-Stecke, den Albert Park Circuit, aus technischer Sicht - kommt er den spezifischen Eigenschaften des neuen Renault R28 entgegen?
Bob Bell: Ich rechne auf jeden Fall nicht damit, dass uns der Große Preis von Australien benachteiligt. Dieser Straßenkurs bevorzugt traditionell Formel 1-Fahrzeuge, die besonders agil auf Richtungswechsel reagieren und auch gute Bremseigenschaften aufweisen - soweit also sind wir mit dem R28 gut gewappnet. Allerdings ist die Asphaltoberfläche immer etwas uneben, an diesem Punkt und beim Räubern über die Kerbs müssen wir vor Ort vermutlich noch Feinarbeit leisten. Auf der anderen Seite kommt es in Melbourne aber auch immer darauf an, dass sich die Fahrer in ihren Rennwagen wohlfühlen und ein hohes Maß an Selbstvertrauen entwickeln - was in erster Linie auf einem harmonisch funktionierenden Setup basiert. Und diesbezüglich stehen wir mit dem neuen Auto recht gut da. Ich sehe für uns keine speziellen Nachteile. Der Australien-Grand Prix wird ein guter Indikator dafür, wie es uns im weiteren Verlauf des Saisonbeginns ergehen sollte.

Im vergangenen Jahr hattet Ihr große Probleme, den Renault auf die für euch neuen Bridgestone-Pneus anzupassen. Habt Ihr diese Schwierigkeiten lösen können?
Bob Bell: Unsere Partnerschaft mit dem japanischen Reifenhersteller war immer ausgesprochen gut - auch in jenen Zeiten, als wir nicht in der Lage waren, aus ihren Produkten das volle Potenzial herauszuholen. Tatsächlich aber ist uns ein immenser Fortschritt gelungen, was das Verständnis der Reifen angeht und die Art und Weise, wie sie optimal funktionieren. Dieses Thema bereitet mir keine Sorgen mehr. Wir haben nun kapiert, wie wir mit den Pneus umgehen müssen.

Das Team hat hier in Melbourne in den vergangenen Jahren grandiose Erfolge gefeiert - wie zwei von drei gewonnenen Rennen beweisen. Welches Ergebnis peilen Sie für das bevorstehende Wochenende an?
Bob Bell: Wir wollen um einen Platz auf dem Podium kämpfen - so wie wir uns dies auch für alle übrigen Rennen der Saison 2008 vorgenommen haben. Auch wenn noch niemand einen realistischen Überblick über die wahre Konkurrenzfähigkeiten innerhalb des Starterfeldes besitzt, so werden wir dennoch alles dransetzen, dieses Ziel zu erreichen. Der Albert Park ist eine Strecke, auf der sich Fernando Alonso besonders wohlfühlt und wo er zuletzt 2006 gewonnen hat. Für Nelson Piquet stellt dieser Kurs natürlich Neuland dar. Wir werden alles unternehmen, um ihm die bestmögliche Hilfestellung angedeihen zu lassen. Wobei ihm keine leichte Aufgabe bevorsteht: Kaum eine andere Formel 1-Piste ist für Grand Prix-Neulinge so anspruchsvoll und schwierig zu lernen.

Bob Bell möchte sein Team auf dem Podium sehen., Foto: Sutton
Bob Bell möchte sein Team auf dem Podium sehen., Foto: Sutton

Die Formel 1 startet in eine neue Ära, die von einer standardisierten Elektronik geprägt wird, die jegliche Form von Fahrerassistenzsystemen unterbindet. Wie wirkt sich diese "Abrüstung" auf die Rennen aus?
Bob Bell: Für die Zuschauer wird es spannender und interessanter, da die Formel 1-Rennwagen mehr rutschen könnten - fundamentale Veränderungen etwa bei der Hackordnung zwischen den Fahrern schließe ich aber aus. Speziell auf regennasser Fahrbahn ist die Chance, dass Unwägbarkeiten den Grand Prix-Verlauf beeinflussen, allerdings deutlich größer. Gewaltige Unterschiede erwarte ich aber auch dann nicht. Durch die Einführung einer einheitlichen Elektronik sollte die Formel 1 in erster Linie ja nicht spektakulärer werden, sondern preiswerter.

Der Wettbewerb zwischen den einzelnen Teams könnte in dieser Saison nochmals eskalieren. Mit welcher Reihenfolge rechnen Sie im Moment?
Bob Bell: Soweit ich die Ergebnisse der Winter-Testfahrten richtig analysiere, besitzt Ferrari aktuell einen kleinen Vorteil gegenüber McLaren. Gleich dahinter aber geht es enorm knapp zu - viele Rennställe konkurrieren auf einem sehr vergleichbaren Niveau. Gut möglich, dass sie auch zu den Silberpfeilen aufschließen. Melbourne wird uns Aufschluss geben. Wir reisen mit sehr hohen Erwartungen nach "Down under".