Nigel Stepneys letzte Monate waren sicher kein Spaß, nachdem er einer der zentralen Dreh- und Angelpunkte im Spionagefall zwischen Ferrari und McLaren war. Da er nicht die Chance bekommen hatte, im Rahmen des Verfahrens Stellung zu der ganzen Angelegenheit zu nehmen, wollte er eine Biografie schreiben, die aber vom Herausgeber wieder zurückgegeben wurde - laut Stepney auf Druck von außen. Wer den Druck ausgeübt hat, konnte er nicht sagen. Nun will er das Buch anderweitig veröffentlichen und meint, er habe ohnehin nichts mehr zu verlieren.

"Ich bin mir nicht sicher, ob ich wieder in der Formel 1 arbeiten will, wenn ich ehrlich bin. Ich bin nicht verärgert. Ich denke, die FIA muss sich etwas ändern. Es ist ein Geschäft und sollte von Leuten mit mehr Professionalität gemanagt werden", erklärte er gegenüber den Kollegen von grandprix.com. Einmal sei ihm gesagt worden, er solle sich nicht mit Max Mosley anlegen, sonst könne er alles verlieren, doch Stepney betonte, er habe bereits alles verloren. "Das ist aber nicht der Punkt, das macht mir nichts. Ich kann wieder von vorne beginnen", sagte er. Stepney sprach davon, dass die Weltmeisterschaft eine der aufregendsten der vergangenen Jahre ist und fragte, wieso das so sei. "Gehen Sie zurück zum Anfang. Ich habe akzeptiert, was Ferrari über das Auto gesagt hat und mitgespielt. Ferrari gewann das erste Rennen mit riesigem Vorsprung. Hätte ich da einfach mitspielen sollen?"

Er spielte nicht mit und unterrichtete McLaren über den Unterboden von Ferrari und McLaren ging zur FIA. Der Unterboden musste geändert werden und das Machtgefüge verschob sich. Im August schrieb er der FIA dazu auch einen Brief und erklärte, dass er es dem Automobil Weltverband eigentlich selbst mitzuteilen versucht hatte, bevor er sich an McLaren wandte. Während Jean Todt gegenüber der Times davon spricht, dass Stepney "den Verstand verloren" hat, bekam grandprix.com anscheinend eine Kopie des Briefes in die Finger und veröffentlichte diese auch. Darin gab Stepney seine Sicht der Geschehnisse wieder, deren Richtigkeit aber weder bestätigt noch widerlegt ist.

Stepney gliederte sein Schreiben in drei Punkte. Zu Beginn schrieb er über die ursprünglichen Zweifel, die ihm gekommen waren, als er das Konzept des Unterbodens sah. Er sprach darüber mit Chefdesigner Aldo Costa und zwei weiteren hochrangigen Mitarbeitern. "Ich zeigte ihnen verschiedene Punkte, die mich besorgten und bei denen andere Teams einhaken könnten. Der Chefdesigner sagte, er würde sich das ansehen", war zu lesen. Vor dem Rennen in Australien seien dann einige der Dinge vor dem Rennen in Australien besser versteckt worden, mehr als Kosmetik sei das aber nicht gewesen. Stepney erkundigte sich, ob man das System der FIA zur Begutachtung vorgelegt habe und bekam ein "Nein" als Antwort. Der Plan war, das System und dessen Vorteil zu nutzen, bis sich ein anderes Team darüber bei der FIA beschwerte, schrieb Stepney weiter.

Da die Dinge so gehandhabt wurden, entschied sich Stepney, als technischer Manager aufzuhören und war auch nicht glücklich, Team Performance Manager zu sein, wodurch er auch für die Legalität des Autos zuständig hätte sein sollen. Das lehnte er ab und erklärte einigen Verantwortlichen, das Auto sei illegal. Später im Februar kontaktierte Stepney Peter Wright und bat ihn um technischen Rat. "Er sagte, er würde seinen eigenen Rat in der Sache geben können, könnte eine offizielle Klarstellung aber nur von Charlie Whiting erhalten." Deswegen schickte Stepney eine E-Mail mit Plänen des Systems an Wright, der meinte, es sei verdächtig.

Charlie Whiting reagierte nach Australien auf Ferraris Unterboden, Foto: Sutton
Charlie Whiting reagierte nach Australien auf Ferraris Unterboden, Foto: Sutton

Danach gefragt, wie weiter mit der Situation umgegangen werden sollte, betonte Stepney, dass man die Informationen an Whiting weitergeben solle, allerdings ohne die Quelle zu nennen. "Peter hat mich auch gefragt, was ich wolle und was ich damit erreichen wollte und ich antwortete, dass ich nichts will, außer einer sauberen und fairen Weltmeisterschaft." Zehn Tage vor Beginn der WM informierte Wright Stepney davon, dass er die Angelegenheit mit Whiting diskutiert hatte und er beteuert hatte, dass er sich in Australien weiter damit beschäftigen würde. "Ich hätte gedacht, dass es wegen der Schwere der Anschuldigung VOR der Veranstaltung passieren würde", monierte Stepney.

Nachdem er den Ablauf der Dinge bis Australien dargelegt hatte, ging er auf die technischen Gründe ein, weswegen er das System zur Anzeige bringen wollte. Dabei stellte er vor allem folgende Punkte heraus: das Auto könne damit über Kerbs in Schikanen härter fahren, da an der Vorderkante des Unterbodens eine Biegung von 14 bis 15 Millimeter erreicht würde und das Auto weniger gestört werde; das Auto könnte eine geradere Linie durch Schikanen nehmen; außerdem gäbe es einen aerodynamischen Vorteil, wegen des Feder- und Masse-Layouts am Vorderboden, wodurch ein Masse-Dämpfer-Effekt erzielt würde; die Abnutzung des Bodenbretts vorne wäre geringer, wodurch man das Auto vorne niedriger fahren könne, was wieder einen Vorteil bei der Aerodynamik-Effizienz gebracht hätte; und schließlich wäre das Auto ab rund 160 bis 180 km/h vorne sieben bis acht Millimeter niedriger, was sich bis zum Vorderflügel zu einem Vorteil von 19 bis 20 Millimeter vergrößert hätte.

Da er darin einen unfairen Vorteil sah, sprach er in Australien mit Mike Coughlan und fragte ihn, ob die FIA bereits wegen irgendwelcher Dinge etwas unternommen hätte und bekam ein Nein als Antwort. Da Coughlan hellhörig geworden war, bat ihm Stepney an, die Mail, die er an Wright geschickt hatte, auch an ihn zu schicken und gab wieder eine saubere und faire WM als Grund dafür an. "Ich schlug vor, er solle sein eigenes Urteil fällen und dann mit Charlie Whiting sprechen, um Klarheit zu haben. Vom Rest der Geschichte, die dann passierte, haben Sie sicher schon gehört", schrieb Stepney.

Stepney hatte aber auch eine Mail an Jo Bauer verschickt, in der er darauf hinwies, dass der Ferrari nicht parallel zu der Testebene der FIA liegen würde, wenn man ihn auf die ebenen Referenzpunkte setzte. Dadurch wäre wieder ein Vorteil erreicht worden, weil der Vorderflügel weiter unten gelegen wäre. Auch damit setzte sich Charlie Whiting nach dem Australien GP auseinander, wobei es Stepney wunderte, warum das nicht vorher passiert war. Er betonte aber, dass er glaubt, dass Whiting immer im besten Interesse des Sports gehandelt hat. Er fragte sich aber, warum nicht früher an die Arbeit gegangen wurde, ob es noch länger gedauert hätte, wenn McLaren sich nicht beschwert hätte und wie die Autos trotz der gesendeten Informationen durch die Überprüfung kamen.

Mike Coughlan wollte seinem Kollegen angeblich nur helfen, Foto: Sutton
Mike Coughlan wollte seinem Kollegen angeblich nur helfen, Foto: Sutton

Doch mit Australien und dem Unterboden war ja noch nicht Schluss. Für Stepney und alle Beteiligten ging die Geschichte noch weiter. Denn der damalige Noch-Ferrari-Mitarbeiter suchte eine neue Herausforderung. Er hatte zwar vom Technischen Direktor des Teams das Angebot erhalten, mehr beim Design und Konzept der Autos mitzuarbeiten, musste sich aber erst ansehen, ob er das auch konnte. Außerdem wollte Stepney anscheinend lieber andere Herausforderungen annehmen und einem Team von unten nach oben helfen. "Ich entschied mich, auf Honda zuzugehen, dachte aber auch, dass ich ein paar andere Leute brauchte, um das Ziel zu erreichen. Also brauchte ich zunächst einen Chefdesigner oder einen Technischen Direktor, weswegen ich Mike Coughlan kontaktierte."

Es folgte das Treffen in Barcelona, wo man laut Stepney zunächst darüber sprach, wie man sich in ein anderes Team einbringen könnte und welchen Zugang man wählen sollte. In seinem Brief beteuerte Stepney weiter, dass er die Ferrari-Unterlagen damals nur dabei hatte, um sie für seine mögliche Rolle bei seinem damaligen Arbeitgeber zu studieren und Coughlan sich dafür zu interessieren schien. "Ich sagte, es sei vielleicht keine gute Idee, wenn er sie sich ansehe. Es war anscheinend falsch, dass ich ihn überhaupt Zugang dazu haben ließ." Schließlich soll Coughlan dann anscheinend ein paar der Unterlagen mitgenommen haben und gemeint haben, Stepney solle sich deswegen keine Sorgen machen. Auf dem Weg zum Flughafen soll Coughlan dann noch weitere Dokumente gesehen haben und diese ebenfalls eingepackt haben. "Ich dachte nicht, dass das eine gute Idee war und sagte, er könne damit nichts machen. Er meinte nur, ich soll mich nicht sorgen und er würde nichts davon verwenden."

Soweit Stepney laut seinem Brief wusste, hat Coughlan auch keine Informationen verwendet, sondern wollte nur seinem Kollegen helfen. "McLaren ist eine respektierte Organistation und sehr wohl in der Lage, die Weltmeisterschaft ohne Hilfe oder Informationen von außen zu gewinnen, die sie durch Täuschung gewonnen haben. Man kann außerdem keine Konzepte vom Design eines Autos nehmen, sie herstellen und erwarten, dass man auf einem anderen Design Vorteile hat. Es gab nie ein Gespräch darüber, dass diese Informationen bei einem anderen Team verwendet werden sollen", schrieb Stepney.