Indianapolis. Das US-Motorsportmekka. Für viele Amerikaner ist das heiliger Boden oder besser: heilige Ziegelsteine. Für Bernie Ecclestone ist es eines der wichtigsten Rennen des Jahres, im Kernmarkt Nordamerika. In diesem Jahr ist es aber vor allem die Rückkehr zur Normalität. Die schrecklichen Bilder des zerfetzten BMW Sauber von Robert Kubica sind verarbeitet, der Schock überwunden, der Pole steht Gott sei dank schon wieder auf den eigenen Beinen. Er selbst will sogar an diesem Wochenende, nur wenige Tag nach seinem Horrorcrash, wieder im Auto sitzen. Die Ärzte intervenieren noch - Timo Glock und Sebastian Vettel stehen als Reserve bereit.
Die Qual der Wahl liegt im Fall der Fälle bei Motorsportdirektor Mario Theissen. Entweder er wählt den BMW-Jungspund, die offizielle Nummer 3, die zuletzt von der Freitagsrolle entbunden wurde und ein wenig in die Kritik geraten ist. Oder er entscheidet sich für den Führenden in der international angesehenen GP2-Meisterschaft, den Ex-F1- und ChampCar-Piloten und sowohl erfahrenen als auch technisch versierten zweiten Testfahrer. Falsch liegt Theissen wohl mit keiner Wahl.
Schon gar nicht, weil BMW Sauber auf einer Erfolgswelle von Quebec nach Indy schwappt. "Nicks 2. Platz und Roberts Unversehrtheit sind wie ein Doppelsieg für uns", sagte er in Montreal. Dort war BMW Sauber durchweg die zweite Kraft. "Wir waren schneller als beide Ferrari", betont Nick Heidfeld - in Qualifying und Rennen und aus eigener Kraft. "Wir müssen jetzt abwarten, ob das nur ein schwaches Wochenende von Ferrari war oder ob es so bleibt", warnt Theissen und stapelt vorerst noch tief. "Indianapolis wird deshalb interessant." Denn insgeheim hofft er auf eine Wiederholung des Kräfteverhältnisses von Montreal. "Wir hatten im Qualifying in Kanada die höchsten Topspeed-Werte, also sollten wir wenigstens auf der Hälfte der Strecke in Indy stark sein. Dann geht es darum, die richtige Balance für das Infield zu finden." Eines sollte den Weiß-Blauen auf alle Fälle entgegen kommen: "Umso schneller die Strecke ist, desto besser stehen unsere Chancen."
McLaren scheint momentan jede Strecke recht zu kommen. Sie waren auf der superlangsamen Lowdownforce-Strecke in Monaco allen überlegen und auch auf dem Highspeed-Stop-and-Go-Kurs in Montreal klar am schnellsten. "Wir wären sehr enttäuscht, wenn wir in Indy nicht konkurrenzfähig wären", gibt sich Martin Whitmarsh zuversichtlich. Zudem kündigte er für den Frankreich GP ein größeres Update an. Dann möchte er weiterhin als WM-Führender zurück nach Europa kommen. "Wir wollen von Rennen zu Rennen stärker werden."
Das gleiche Ziel haben auch die Konkurrenten. "Ferrari ist ein gutes Team, sie werden sich nicht zurücklehnen und es uns einfach machen; auch BMW kann hart pushen." Doch zwischen Kanada und den USA geht nichts mehr, die Autos werden direkt von der einen an die nächste Strecke gebracht, Tests und Weiterentwicklung sind nicht möglich. Alles muss schon vor Montreal geschehen sein; die Tests sogar schon vor Monaco, denn danach wurde nicht mehr getestet. Whitmarsh bleibt trotz des weiß-blauen Höhenflugs bei seiner Meinung: "Wenn mich jemand fragt, wer in diesem Jahr unser Hauptgegner ist, dann fürchten wir immer noch Ferrari am meisten - aber wir haben sehr viel Respekt vor BMW Sauber." Und das nicht nur aus Anstand.
Aber was ist mit den Roten? Eigentlich sollte Monaco ihrer Meinung nach nur ein einmaliger Ausrutscher gewesen sein. Der riesige Rückstand auf McLaren soll an der einmaligen Streckencharakteristik des Straßenkurses gelegen haben. Doch dann musste Felipe Massa auch in Montreal gestehen: "McLaren war heute sehr stark." Kimi Räikkönens Renningenieur Chris Dyer schrieb einen Sieg unter normalen Bedingungen sogar schon vor dem Rennen ab. Trotzdem glaubt Massa, dass man ohne seine Disqualifikation locker auf das Podium gefahren wäre. Davon geht auch Luca Baldisserri aus. "Unsere Rennpace war konkurrenzfähig", sagt der Italiener.
Massa klammert sich deswegen an einen bekannten Strohhalm: "Die Saison ist noch lang und ganz offen, aber wir müssen unsere Performance verbessern." Teamboss Jean Todt gibt nämlich nur ungern zu, dass sein Team im zweiten Rennen in Folge von einem "stärkeren Team geschlagen" wurde. "Es sind vier Zehntel. Sie waren schon in Monte Carlo vor zwei Wochen voraus. Sie haben einen guten Schritt nach vorne gemacht. Vielleicht hat der Kurs unserem Auto nicht so gepasst", so Todt, der damit aber nicht sagen will, dass er in Indianapolis eine volle Trendwende erwartet. Es meint nur, dass man dort auf einen anderen Kurs komme, wo einiges anders ein könne. "Es gibt viele Ähnlichkeiten zwischen Monaco und Kanada - Indianapolis wird eine andere Art Kurs." Dann soll alles besser werden. Aber hat man das nicht schon vor Montreal gesagt?
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