Felipe Massa strahlte, Felipe Massa weinte, Felipe Massa hüpfte fröhlich auf und ab und Felipe Massa wurde auf Händen getragen. Doch Felipe Massa war der einzige, der seine Freude über den erfüllten Traum vom ersten Grand Prix Sieg in einem Ferrari voll ausleben konnte.

Seine roten Kollegen machten keinen Hehl daraus, dass für sie der 'falsche' Mann ganz oben auf dem Podest gestanden hat. Ferrari hat seine Zielsetzung sogar gleich doppelt verfehlt: Schon am Samstag stand mit Massa der 'falsche' Pilot auf der Pole Position. Im Rennen setzte sich dieses falsche Spiel mit den Roten fort: "Wir hatten heute das Potenzial für einen Doppelsieg", trauerte Teamchef Jean Todt der verpassten Gelegenheit nach. "Die Tatsache, dass wir unser Potenzial nicht zu 100% ausschöpfen konnten, nimmt uns die Befriedigung Erster und Dritter geworden zu sein." Die Scuderia Ferrari ist eben doch, zumindest noch bis Saisonende, die Scuderia Schumacher.

Wege aus dem Dilemma I

Dabei sah es vor dem Start ganz nach einer roten Gala-Show aus. Beide Autos, wenn auch in 'falscher' Reihenfolge, in der ersten Startreihe, eine überlegene Qualifying-Performance und die Aussicht auf eine ähnlich starke Renn-Performance; bei Ferrari war man zuversichtlich einen Doppelsieg einzufahren - und zwar in der 'richtigen' Reihenfolge. Daraus wurde nur nichts.

"Das Rennen wurde durch das Safety-Car entschieden, da hat Michael Zeit verloren", analysierte Renault-Chefstratege Pat Symonds scharfsinnig und sicherlich mit einer gewissen Genugtuung. Aber was hätte Ferrari dagegen unternehmen können? Man hatte weder Einfluss auf den Dreher von Tonio Liuzzi, diesen konnte schließlich noch nicht einmal der Italiener selbst verhindern, noch konnte man das Safety-Car zwingen in der Box zu bleiben - auch wenn manche Verschwörungstheoretiker den Einfluss der Roten bei der FIA in ähnlich hohen Sphären sehen dürften.

Marc Surer und Hans Joachim Stuck glauben dennoch, dass Ferrari mit dem Beginn der SC-Phase einen taktischen Fehler beging. "Es war für mich unverständlich, warum man beim ersten Boxenstopp nicht Schumacher vor Massa reingeholt hat", kritisierte Stuck. "In der Formel 1 kann man schließlich nicht wie in anderen Rennserien beide Fahrer auf einmal abfertigen." Entsprechend musste sich Schumacher hinter dem führenden Massa anstellen und verlor somit Rang 2 an seinen Titelrivalen Fernando Alonso - genau so sollte die Reihenfolge bis zum Rennende bleiben. Ein kleiner Tausch bei der Einfahrt in die Boxengasse hätte das Ergebnis problemlos umdrehen können.

Der eine jubelt, der andere sitzt im Auto und grübelt..., Foto: Sutton
Der eine jubelt, der andere sitzt im Auto und grübelt..., Foto: Sutton

"Hätten wir das getan", verteidigte sich Todt nach dem Rennen, "hätten wir jetzt fünfmal mehr Journalisten hier, die danach fragen würden, warum wir das getan haben." Zumindest vom Titelrivalen gab es Lob für die sportlich faire Entscheidung. "Es war sehr sportlich von Ferrari, dass sie Massa und Schumacher gleichzeitig reingeholt haben", betonte Symonds. Stuck sah in dieser Aktion allerdings weniger sportlich faire Überlegungen als eine leichte Arroganz. "Die waren sich so sicher, dass sie gewinnen würden, dass sie diese Variante gar nicht in Betracht zogen."

Wege aus dem Dilemma II

Hätte, wäre, wenn... Setzen wir dieses Spielchen noch ein bisschen fort: Wenn Ferrari die Reihenfolge beim 1. Boxenstopp umgedreht hätte, hätten sie höchstwahrscheinlich mit dem 'richtigen' Fahrer gewonnen und ein möglicher dritter Platz von Massa hätte dann ein 'perfektes' Ergebnis komplettiert. So waren ihnen die Ränge 1 und 3 jedoch nicht genug. Aber es hätte noch eine zweite Variante gegeben, die Ferrari den erhofften 'richtigen' Triumph bringen hätte können; nämlich dann, wenn Michael Schumacher nicht so viele Fehler gemacht hätte.

Die ungewöhnlichen Patzer begannen schon im Qualifying, wo der Deutsche zweimal neben der Strecke war - einmal ruinierte er sich damit einen Reifensatz und seine erste fliegende Runde. In der zweiten Runde musste er dann auf Nummer sicher gehen und verlor die Pole an Massa. Ohne dieses Problem hätte er von der Pole locker gewinnen können.

Fehler Nummer 3 unterlief ihm im Rennen. In Runde 28 kam er in Kurve 8 von der Strecke ab und verlor 4,7 Sekunden - 4,7 Sekunden, die den WM-Kampf zugunsten von Fernando Alonso entschieden haben könnten, auf jeden Fall aber 4,7 Sekunden, die dem Spanier den zweiten Platz beim Türkei GP schenkten. "Ich verstehe den Michael nicht, dass er auf einmal so viele Fehler macht", war Niki Lauda regelrecht baff. "Er macht sich selbst zu viel Druck." Und eine alte Fahrerlager-'Weisheit' lautet: "unter Druck macht Michael Schumacher zu viele Fehler."

Druck gibt es in der entscheidenden Phase der WM momentan genug - bei Renault wurde man vor dem Wochenende deshalb nicht müde zu betonen, dass der Druck bei Ferrari liege, da sie hinten seien und aufholen müssten. "In dieser Situation gibt es andere, die besser fahren als Schumacher", sagte Lauda. "Massa war besser im gleichen Auto und Alonso war in einem unterlegenen Auto besser und vor allem fehlerfrei."

Da ist es nicht verwunderlich, dass der WM-Leader seinem Kontrahenten dessen Fehler direkt nach Rennende in der Pressekonferenz unter die Nase rieb. "Michael hatte ein Problem in Kurve 8, da hat sich mein Vorsprung um vier Sekunden vergrößert, das war wohl der Schlüssel. Wenn Michael den Fehler nicht gemacht hätte, wäre ich am Ende wohl nicht vorn geblieben."

War Istanbul eine Vorentscheidung im Titelkampf?, Foto: Sutton
War Istanbul eine Vorentscheidung im Titelkampf?, Foto: Sutton

In den Medien bekam Schumacher deshalb zum zweiten Mal in Folge viele Prügel. Nur Hans Joachim Stuck nahm den siebenfachen Weltmeister in Schutz. "Michael hat auch einen super Job gemacht", sagte der Ex-F1-Pilot. "Beide sind hart gefahren, da ist es normal, dass einer mal einen kleinen Fehler macht. Alonso ist fünf Runden vor Schluss auch einmal ein Verbremser unterlaufen, allerdings war das kein entscheidender Fehler. Motorsport ist keine Kaffeefahrt - alle sind am Limit und da es Menschen sind und keine Computer, gibt es eben Fehler."

Rennanalyse: So geht's auch im Trockenen!

Der Ungarn GP hatte alles, was man sich von einem Rennen erwartet. Der Ungarn GP? Warum sprechen wir in der Türkei-Rennanalyse vom Ungarn GP? Ganz einfach: Weil auch der Türkei GP ein packendes Rennen mit vielen Zweikämpfen, Überholmanövern und mächtig viel Spannung in den Schlussrunden war. All das schaffte er aber ohne den großen Spannungsbringer der modernen Formel 1: den Regen!

"Letztlich war es genau das, was wir uns alle gewünscht haben", war auch Hans Joachim Stuck mit dem Rennverlauf zufrieden. "Es gab einen direkten Zweikampf zwischen Alonso und Schumacher am absoluten Limit. Das war einfach schön anzuschauen."

Um die Parallelen zum besten Rennen dieser Saison auf dem Hungaroring zu komplettieren, bescherte uns auch die trockene Version eines spannenden F1-Grand Prix einen frisch gebackenen GP-Sieger. Nur drei Wochen nach dem Debütsieg von Jenson Button durfte der nächste ehemalige Jungstar über seinen ersten Triumph jubeln. Ob die brasilianische Presse wohl ähnlich darauf reagierte wie die britische? Nach Ungarn hieß es im britischen Blätterwald: "Bevor Sie diese Zeilen lesen, lehnen Sie sich bitte zurück und nehmen Sie einen harten Drink: Jenson Button hat einen Grand Prix gewonnen." Nun ist auch Felipe Massa ein GP-Gewinner. Prost!

Ausblick: Nur noch vier

Vier gewinnt: Noch viermal zehn Punkte sind in der Formel 1-WM 2006 zu haben. Für Ferrari ist trotz der Niederlage von Istanbul noch nichts verloren. "Wir haben ein gutes Auto, gute Reifen und Felipe hat heute bewiesen, dass auch er gewinnen kann - das sind gute Erkenntnisse, denn das wird noch wichtig sein", gab Ross Brawn beide WM-Titel noch nicht verloren. "Unser Auto ist schnell, und ich bin sicher, dass wir noch die Chance haben, beide WM-Titel zu gewinnen", fügte Jean Todt hinzu. Für Brawn ist die WM trotz der 12 Punkte Rückstand auf Alonso also noch "absolut offen".

Der falsche Sieger..., Foto: Sutton
Der falsche Sieger..., Foto: Sutton

"Da irrt sich Ross", konterte Pat Symonds. "Renault hat sich aus dem Tief herausgezogen und kämpft jetzt wieder um den Titel", stimmte Hans Joachim Stuck zu. "Der zweite Platz heute fühlt sich an wie ein Sieg", bohrte Symonds weiter in der roten Wunde keinen Doppelsieg errungen zu haben.

Dennoch war Fernando Alonso nicht ganz zufrieden. "Ich bin in die Türkei gereist mit dem festen Willen, diesen Grand Prix zu gewinnen. Das Resultat, das ich hier erzielt habe, ist okay. Aber wir haben in der Konstrukteurswertung zu viel Boden verloren." Ferrari trennen nur noch zwei Zähler von Renault.

"Dieses Rennen zeigte auch, dass wir uns weiter verbessern müssen, wenn wir gegen Ferrari um Siege kämpfen wollen", weiß Alonso um den Rückstand der Gelb-Blauen. Beim Ferrari-Heimspiel in Monza erwartet er aber noch einmal ein schwieriges Rennen. "Ich bin optimistisch für die letzten vier Grand Prix dieser Saison, aber angesichts der Charakteristik der Ferrari wird es in Monza für uns besonders schwierig. Die WM liegt jetzt in den Händen von Michelin und Bridgestone."

Ist in Istanbul trotzdem schon eine Vorentscheidung im Titelkampf gefallen? "Es kann eine sein", sagte Niki Lauda. "Wir wissen allerdings nicht, wie die nächsten vier Rennen ausgehen, aber die zwei Punkte könnten über das Schicksal entscheiden." Schließlich sind 12 Punkte nur sehr schwer in vier Rennen aufzuholen, da müssen sich Schumacher und Ferrari schon einen ganz besonderen Trick einfallen lassen. "Er kann sich nichts anderes einfallen lassen als einmal fehlerfrei zu fahren", stichelte Lauda. Hans Joachim Stuck macht den Tifosi aber Mut: "Ich bleibe dabei, dass Michael Weltmeister wird - ich falle nicht so leicht um." Das gilt normalerweise auch für Michael Schumacher.