Als in Montreal der Halbzeitpfiff zur Formel 1-WM 2006 ertönte, schmeckte Fernando Alonso der Pausenchampagner umso mehr. Ein Jahr nach seinem letzten Ausfall, holte er sich den überfälligen Triumph auf der Ile de Notre Dame. Dabei machten es ihm Strecke und Gegner bis zu einem gewissen Grad äußerst schwer, den sechsten Saisontriumph einzufahren. Auf einem anderen Level machten sie es ihm jedoch auch übermäßig einfach.

Made in Canada

Die Mauern nah an der Strecke, jeder Fehler könnte der letzte sein. Der Kanada GP versprach nach dem Langweiler von Silverstone wieder mehr Action. Zudem erhoffte sich Michael Schumacher, dass die andere Streckencharakteristik mit ihrem Low-Downforce-Profil, das Kräfteverhältnis durcheinander wirbeln könnte. Das scheint auch funktioniert zu haben - zu Schumachers Leidwesen aber in die andere Richtung...

Wie einige seiner Kollegen knüpfte der Ex-Weltmeister eine enge Verbindung zu den Mauern des Circuit Gilles Villeneuve, wobei Schumacher sich gleich zweimal an die legendäre Wall of Champions anlehnte. Tiago Monteiro und Jacques Villeneuve zeigten hingegen, wie man es nicht machen sollte. Die Mauern waren jedoch das geringere Übel für die Fahrer; ausgerechnet hier fehlte ihnen seit Freitag der berüchtigte Grip.

Die Mauer darf man nur streicheln, nicht küssen..., Foto: Sutton
Die Mauer darf man nur streicheln, nicht küssen..., Foto: Sutton

"Bisher sieht es so aus, als ob die Reifenwahl dieses Wochenende interessant werden würde", prophezeite Mark Webber nach dem Freien Training. "Der Grip-Level ist sehr niedrig und beide Reifenhersteller haben ihre Wahl schon vor ein paar Wochen getroffen." Die Franzosen von Michelin scheinen dabei die bessere Reifenmischung gewählt zu haben. Im Gegensatz zu Williams, die die "interessante" Reifenwahl verpatzten und am Sonntag zugeben mussten: "Wir haben die falschen Reifen gewählt."

Das gleiche Geständnis machte Ralf Schumacher, der eindeutige Dreherkönig von Montreal; er erinnerte fast schon an die seligen, alten Zeiten eines Ukyo Katayama. "Das war für alle ein schwieriges Rennen, weil so viel Reifenabrieb auf der Strecke lag und jedes Mal, wenn ich darauf kam, habe ich die Kontrolle über das Auto verloren." Und das geschah oft - fast so oft, wie Ralf an die Box ging!

Was aber machte den Kurs am Sonntag so schwierig zu fahren? "Das war, was die Streckenbedingungen und die Balance betrifft, der schwierigste Grand Prix von Kanada, den ich je gefahren bin", klagte David Coulthard, der in seiner langen F1-Karriere schon einige Male in Montreal Station machte. "Die Haarnadelkurve war wegen des Reifenabriebs wirklich schwierig. Die Menge an Gummi, die jetzt von den Reifen kommt, ist unglaublich und wenn man nur ein paar Zentimeter von der Ideallinie abkommt, kann einem das zum Verhängnis werden." Für Scott Speed war die Haarnadel gegen Ende des Rennens "fast unfahrbar".

Am Ende durfte sich DC aber nicht zu sehr darüber beschweren; genau das passierte nämlich Jenson Button, weswegen sich Coulthard Rang 8 und einen WM-Zähler sichern konnte.

"Ich hatte weder auf den Vorderreifen noch auf den Hinterreifen Grip, dazu noch Untersteuern und wenig Traktion", beschwerte sich der Brite. "Das Schwierige bei dieser Strecke ist, dass sie einfach zu viel Reifenabrieb produziert, der in den Kurven in großen Stücken liegen bleibt. Wenn man einen kleinen Fehler macht oder etwas von der Linie abkommt, verliert man ein paar Sekunden bei dem Versuch, die Reifen wieder auf Temperatur zu bringen."

Noch schlimmer erwischte es Jacques Villeneuve. Der Lokalmatador wollte Ralf Schumacher überrunden, als er auf die schmutzige Streckenseite kam und in die Mauer abflog. "Da war so viel Dreck und Gummi - es war wie auf Eis." Seinen Teamkollegen Nick Heidfeld hätte beinahe das gleiche Schicksal ereilt. "An genau der Mauer, in die später Jacques geflogen ist, wäre es bei mir auch einmal fast soweit gewesen. Ich habe sie sogar leicht berührt."

Der Dreck und Gummiabrieb war aber nicht das einzige Problem: "Man musste nur ganz geringfügig von der Ideallinie abkommen und lief Gefahr, ganz von der Strecke zu fliegen da der Kurs so schmutzig war und der Asphalt aufbrach", sagte Michael Schumacher. "Es kann schon sein, dass manches, was ich für Gummiabrieb gehalten habe, kleinere Steine und Asphaltbrocken waren", wollte Nick Streckenschäden nicht ausschließen.

Abseits der Ideallinie sammelten die Reifen viel Dreck auf., Foto: Sutton
Abseits der Ideallinie sammelten die Reifen viel Dreck auf., Foto: Sutton

Etwas Neues wäre das nicht: Bereits vor einem Jahr sorgten Zementierarbeiten am Donnerstag vor dem Rennen für Aufsehen. Am Samstagmorgen wurden erneut Ausbesserungen an der Strecke durchgeführt, die während des Rennens aufbrachen und für einen schalen Beigeschmack sorgten. Der Anblick der geflickten Asphaltstücke verbesserte die Meinung über kanadische Handwerksarbeit nicht gerade.

Hübsch verpackt

Da die Geschenkverpackung des kanadischen Asphalts abermals Risse aufwies, störte sich Fernando Alonso nicht daran, dass ihm seine Rivalen ihre Geschenke unverpackt überreichten. Die schwierigen Streckenverhältnisse verursachten zwar bei allen Fahrern, auch Alonso, kleinere Fehler, diese konnte die Konkurrenz aber nicht nutzen. Stattdessen machte sie selbst noch mehr Fehler und schenkte dem Spanier den Sieg.

Den Anfang machte Kimi Räikkönen, der wegen Kupplungsproblemen bei beiden Boxenstopps Zeit und damit die Chance auf den Sieg verlor. Michael Schumacher kam erst gar nicht in diese Situation, da er mit seinem Ferrari wieder einmal "nicht schnell genug" war. Somit hatte Alonso freie Fahrt zu seinem ersten Montreal-Triumph.

"Es läuft fantastisch für mich: sechs Siege in neun Rennen", freute er sich über das Geschenk der Konkurrenz. "Alle Siege sind schön, aber diesen Fluch in Kanada zu besiegen, ist großartig."

Kimi hatte aber nicht nur für Fernando ein Geschenk dabei, auch Michael Schumacher wollte er unbedingt etwas schenken; den zweiten Platz. "Es ist eigentlich egal, ob man das Rennen als Zweiter oder Dritter beendet, wenn man nicht gewinnen kann", nahm der Ice Man seinen Fehler in der vorletzten Runde gelassen hin. "Lieber verliere ich den zweiten als den ersten Platz", schloss sich Martin Whitmarsh an. Nur dumm, dass man den ersten Platz schon zuvor verspielt hatte - somit verschenkte man quasi Platz 1 und 2.

"Vor drei Jahren ist in Magny-Cours etwas Ähnliches passiert", erinnerte Michael Schumacher an seinen 5. Titelgewinn. "Es war sicher keine Absicht, und heute mit den Bedingungen, als sich der Asphalt aufgelöst hat, war es sehr schwer zu fahren. Es gab zehnmal mehr Dreck und Steine auf der Strasse als bei normalen Bedingungen. Es war wie Schmierseife, wenn man von der Linie abgekommen ist."

Jean Todt war von dem Geschenk seines möglichen Neuzugangs allerdings nicht besonders beeindruckt. "Was für ein Geschenk?", fragte er. "Das ist vielleicht ein finnisch-deutsches Geschenk, also höchstens ein halbes Geschenk, aber ich hätte lieber mal ein spanisch-französisches Geschenk. Vielleicht gibt es das dann das nächste Mal."

Rennanalyse: Spannend oder nicht?

Alonso freute sich über die Geschenke., Foto: Sutton
Alonso freute sich über die Geschenke., Foto: Sutton

Wie soll man den Kanada GP beschreiben? War er nun spannend? Er war sicherlich spannender als das vorherige Rennen in Silverstone - aber dazu war auch keine schwarze Magie notwendig. Wirklich packend war der Kampf um den Sieg nicht.

Andererseits bot das Rennen durchaus einige Höhepunkte - für die Hälfte davon war Juan Pablo Montoya zuständig; obwohl er nur 13 Runden lang mitwirkte. Allerdings betrafen seine Action-Einlagen hauptsächlich Negativhöhepunkte - jedenfalls für Michael Schumacher, Nico Rosberg, Ralf Schumacher, David Coulthard und letztlich ihn selbst.

Zumindest in einem Punkt hatte Michael Schumacher bei all seinen Vorhersagen Recht: Das Kräfteverhältnis hat sich in Kanada verändert - McLaren ist näher an Renault herangerückt und vielleicht sogar an Ferrari vorbeigezogen; mindestens aber auf gleicher Höhe mit den Roten. Schumacher wäre es aber wohl lieber gewesen, wenn seine andere Prognose gestimmt hätte; jene über seine "großen Siegchancen".

Teamanalyse: Franzosen an der Macht

Renault Obwohl McLaren den Gelb-Blauen in der Anfangsphase hart zusetzen konnte, freuten sich die Franzosen am Ende über das gewohnte Bild: Fernando Alonso jubelte über einen deutlichen Sieg. Dennoch schien zumindest die silberne Konkurrenz näher dran zu sein als noch vor zwei Wochen in Silverstone. Giancarlo Fisichella verspielte seine Chance auf ein besseres Ergebnis durch seinen Fehlstart. Trotz der Ankündigung, dass es keine Teamorder geben werde, hätte der Italiener Alonso aber wohl nicht bezwingen können. Dafür ist der Spanier einfach zu überlegen.

Ist der Titel schon weg?, Foto: Sutton
Ist der Titel schon weg?, Foto: Sutton

Ferrari "Wir waren zu langsam." Diese Analyse wird bei Ferrari mittlerweile zum Dauerbrenner. Nachdem man in Imola und am Nürburgring zwei Siege einfahren konnte, geht bei den Italienern nicht mehr viel. Im Titelkampf kann der Scuderia nur noch eins helfen: Die Hoffnung auf Ausfälle des WM-Leaders. Ohne diese können Michael Schumacher und Ferrari die Ambitionen auf beide WM-Titel begraben.

McLaren Während Ferrari sich noch immer als zweite Kraft sieht, hat man bei McLaren Mercedes logischerweise eine andere Meinung. Die Silbernen sehen sich mindestens auf dem gleichen Level wie Ferrari. In Montreal habe man sogar vor den Italienern gelegen - ohne den Fehler von Kimi hätte sich dies auch im Ergebnis widergespiegelt. Der Aufwärtstrend des Teams ist seit Monaco jedenfalls nicht mehr zu verkennen. Sollte es so weitergehen, könnte sich die silberne Ankündigung von Rennsiegen doch noch in diesem Jahr bewahrheiten.

Honda Was bei Honda derzeit stattfindet ist bestenfalls Stillstand; und dieser ist in der Formel 1 nicht nur sprichwörtlich ein Rückschritt. Statt sich über die Flügel der Konkurrenz zu beschweren, sollte man in Brackley vielleicht mehr an den eigenen Flügeln feilen. Dabei besitzt der RA106 fast schon das meiste Geflügel des Startfeldes, was da alles an Winglets und Flaps aus dem Bodywork herausragt, ist fast schon zu viel des Guten - vielleicht ist das ja das Problem...

Villeneuve endete in der Mauer., Foto: Sutton
Villeneuve endete in der Mauer., Foto: Sutton

BMW Sauber Ein schlechter Samstag verhagelte den Weiß-Blauen ein ansonsten perfektes Wochenende. Inwiefern die Performance der Freien Trainings sie im Rennen vielleicht in Podestnähe gebracht hätte, bleibt für immer ein Geheimnis, aber Plätze zwischen 5 und 8 wären für beide Piloten möglich gewesen. Nichtsdestotrotz setzt sich der Aufwärtstrend des Teams fort - mit ihm aber auch die Diskussionen um möglicherweise flexible Flügel. Jetzt liegt es an der FIA eine klare Richtlinie herauszugeben.

Toyota Neben BMW Sauber und McLaren ist Toyota das Team der letzten Rennen. Die Japaner konnten die Probleme der ersten Rennen hinter sich lassen und wurden in Montreal endlich dafür belohnt. Ralf Schumacher erlebte zwar einen Sonntag zum Vergessen, dafür endete aber die Pechsträhne von Jarno Trulli. Dieser kommt in Indianapolis an den Ort seiner Vorjahres-Pole zurück, diese wurde aber wohl mit nicht mehr als einem Fingerhut Benzin im Tank eingefahren. Demnach wäre eine Wiederholung des 4. Startplatzes von Montreal in diesem Jahr genauso hoch anzusehen.

Williams Eine falsche Reifenwahl kostete Williams den Grand Prix. Für diesen hatte sich Nico Rosberg wieder einmal stark qualifiziert. Was für ihn drin gewesen wäre, werden wir allerdings nie erfahren. Der Unfall mit Juan Pablo Montoya beendete sein Rennen vorzeitig - mit mehr als ein paar Pünktchen rechnete Nico aber nicht.

Klien zog wiederum den Kürzeren gegen DC., Foto: Sutton
Klien zog wiederum den Kürzeren gegen DC., Foto: Sutton

Red Bull Wie sich McLaren, BMW Sauber und Toyota auf dem aufsteigenden Ast befinden, so klettert Red Bull immer weiter nach unten. Derzeit mischen sich sogar die Fahrer des Schwesterteams immer wieder munter unter die beiden RBR-Piloten. Mehr als ein Punkt war für David Coulthard nicht zu holen.

Toro Rosso Immer noch ohne Punkte, aber immerhin mit einer positiven Tendenz. Tonio Liuzzi und Scott Speed blühten in Montreal geradezu auf. Trotz des PS-Defizits ihrer V10-Motoren mischten sie die Top-Speed-Liste auf und fuhren im Mittelfeld gegen Honda, Red Bull & Co.

Midland Noch nicht verkauft. Noch gehört das MF1 Racing Team Alex Shnaider. Und auch vor Indy soll keine Entscheidung über einen möglichen Verkauf des Rennstalls fallen. Das zweite Heimrennen in Folge brachte MF1 nicht so viel Glück wie Silverstone. Die Krönung des Wochenendes war die Kollision zwischen Tiago Monteiro und Christijan Albers in der ersten Runde. Auf diese Weise hätte man beinahe das Duell gegen Super Aguri verloren.

Super Aguri Wieder ein Doppelausfall. Mehr gibt es zu den Japanern nicht zu sagen. Gerade da Aguri Suzuki selbst immer wieder betont, dass man nicht schnell genug, zu langsam und nicht zuverlässig sei. Die große Hoffnung ist der neue SA06, der beim übernächsten Rennen in Magny Cours debütieren und ganze drei Sekunden schneller sein soll.

Der WM-Ausblick: Alles gelaufen?

Ist das schon der Jubel des Weltmeisters?, Foto: Sutton
Ist das schon der Jubel des Weltmeisters?, Foto: Sutton

Jean Todt und Michael Schumacher geben öffentlich die Unverwüstlichen: "Wir werfen noch lange nicht das Handtuch", kündigte Jean Todt an. "Das ist nicht so gut wie der erste und der zweite Platz, aber es waren immerhin wichtige Punkte für die WM." Trotzdem musste Todt zugeben, dass es "jedes Mal etwas schwieriger" werde Alonso und Renault doch noch abzufangen. "Wir haben drei Punkte gegenüber dem Konkurrenten verloren, der mit einem Auto und einem Fahrer praktisch keine Fehler macht."

Dennoch wollte Todt die Leistung seines Teams nicht als schlecht bezeichnen. "Aber im Vergleich zu Renault haben wir wohl überall etwas verloren." McLaren sieht er trotz deren Aufwärtstrend noch nicht vor der Scuderia. "Im Moment würde ich sagen, dass wir stärker sind als McLaren. Bisher kann man nur sagen, dass Alonso zusammen mit Renault und Michelin das konstanteste Paket hat."

Und was macht Renault so stark? "Sie haben einen guten Fahrer, ein gutes Team, und sie machen keine Fehler." Sie könnten es sich also erlauben, einmal nicht so stark zu sein. "Und nicht mal das ist bisher vorgekommen." Ferrari müsse dagegen immer Vollgas geben und endlich wieder gewinnen.

Trotz der sich immer weiter verdüsternden Hoffnungen will Todt noch nicht aufgeben. "Wir kämpfen, und hoffen, dass wir noch Rennen gewinnen können und unsere Position in der WM verbessern." Michael Schumacher musste jedoch gestehen, dass der zweite Platz "das Beste" gewesen ist, was man im Rennen erreichen konnte. Ans Aufgeben denkt er noch lange nicht. "Wir waren an diesem Wochenende einfach nicht schnell genug, um unsere Rivalen zu überholen", gab sich Ross Brawn ehrlich. "Jetzt müssen wir uns noch mehr anstrengen, um die Lücke zu schließen."