10.000 Euro für ein paar Sekunden Verspätung bei der Nationalhymne, 10 Sekunden für einen wahrscheinlich absichtlichen Rammstoß bei einem Formel-1-Rennen - das klingt irgendwie ziemlich schräg. Ist es auch. Ja, das eine ist 'nur' eine Geldstrafe, das andere hat 9 WM-Punkte gekostet. Aber auch nur, weil es zuvor ein Safety Car gab und die 10 Sekunden fünf Plätze ausmachten.

Aber das ist nicht mein Problem. Die FIA hat zuletzt für reichlich Schlagzeilen mit reichlich hohen Geldstrafen für ziemlich lächerliche Vergehen gesorgt. Gut, man hat den Fehler eingesehen, ist zumindest etwas zurückgerudert und hat einige Sachen klargestellt. Richtig so.

Bei all den unnötigen Nebenkriegsschauplätzen hat man aber das Wesentliche aus den Augen verloren. Wesentlich ist nicht, dass Carlos Sainz nicht rechtzeitig bei der Hymne auf dem Teppich stand oder Max Verstappen in der Pressekonferenz sein Auto mit unschönen Worten bedachte.

Wesentlich ist, dass vor allem dort Anstand in der Formel 1 herrscht, wo er zwingend erforderlich ist: Auf der Rennstrecke. Max Verstappen fuhr in Barcelona einem Kontrahenten offenbar absichtlich ins Auto. Dass Russell trotzdem noch auf Rang vier ins Ziel fuhr, ist egal. Jacques Villeneuve gewann 1997 auch noch die Weltmeisterschaft.

Verstappen-Rammstoß ohne Konsequenzen für Russell? Egal für Strafe!

Die Konsequenzen eines Zwischenfalls sollen laut Richtlinien eigentlich keine Rolle für das Strafmaß spielen. Das ist oftmals schwer nachzuvollziehen und man kann sich sicherlich darüber streiten, ob es überhaupt richtig ist.

Dass der Rammstoß auf der Strecke keine größeren Konsequenzen für Russell hatte, war schlichtweg Glück. Das Rennen des Mercedes-Fahrers hätte damit beendet werden können. In Zeiten der Budgetobergrenze sind auch die finanziellen Schäden nicht irrelevant.

Hätte sich Verstappen verbremst und wäre es deshalb zur Kollision gekommen, hätte er wohl die gleiche Strafe erhalten wie für die vorsätzliche Attacke. Der Präzedenzfall, der damit geschaffen wird, ist mehr als gefährlich.

Ich fordere nicht, dass Verstappen alle Punkte der Saison verliert und er lebenslang geächtet werden muss. Aber eine 10-Sekunden-Strafe wird dem Vergehen bei weitem nicht gerecht. Nach aktuellen Steward-Richtlinien sind 10 Sekunden die Standard-Strafe für kleine Vergehen. Es hätte nach dem Rennen zumindest eine ordentliche Anhörung mit Analyse der Fahrzeugdaten und Aussagen der Beteiligten und allem, was eben dazugehört, geben müssen.

Stroll gehört disqualifiziert

Wenn wir schon bei Anhörungen sind: Die hätte es eigentlich auch für Lance Stroll gegeben. Der Kanadier konnte oder wollte erst nicht auf die Waage, dann konnte oder wollte er nicht zur Anhörung. In Summe gab es dafür eine Warnung. Weil es durch den Rückzug ohnehin egal war und die alte Verletzung als Entschuldigung akzeptiert wurde.

Das macht mich wütend. Ein Fahrer hat eine der wichtigsten Regeln überhaupt verletzt. Charles Leclerc verlor Platz fünf beim China GP, weil sein Auto ein Kilogramm zu leicht war. George Russell verlor deshalb sogar den Sieg letztes Jahr in Spa. Und hier gibt es eine Warnung?

Bin ich ein Unmensch, weil ich dem verletzten Lance Stroll den Weg zur Waage zumute? Hätte er sich für Q3 qualifiziert, wäre er wohl noch weitergefahren. Für einen Wutausbruch reichte die Energie auch noch, für den Weg zur FIA-Waage nicht mehr?

Und aus gesundheitlichen Gründen die Anhörung erst verlegen und sich dann ganz entschuldigen? Ich glaube, die Belastung auf das rechte Handgelenk wäre bei der Anhörung aus medizinischer Sicht durchaus vertretbar gewesen. Wo bleibt hier der Respekt vor der Regelbehörde?

Hat die FIA nun Angst vor richtigen Strafen?

Regeln sind das Heiligtum des Sports. Wer sie so mit Füßen tritt, sollte bestraft werden. Zumindest mit einer Disqualifikation. Egal, ob er dann startet oder nicht. Es scheint, als hätte die FIA mit den Kleinkriegen das Augenmaß verloren. 'Die FIA' gibt es so nicht. Es sind die Stewards, die von der FIA eingesetzt werden.

Mag sein, dass Chef-Steward Nish Shetty und seine Kollegen in Barcelona gut gelaunt waren und deshalb die Fahrer an der langen Leine hielten. Ich glaube aber nicht, dass es an der Besetzung oder der Laune der Stewards lag. Ich glaube, die FIA hat bei all den Lappalien, um die man sich zuletzt kümmerte, das große Ganze aus den Augen verloren.

Vielleicht scheuen sich die Stewards nach den Kontroversen inzwischen auch vor drakonischen Strafen. Die hätte es aber für Verstappen und Stroll geben müssen. In Barcelona tanzten die beiden der FIA auf der Nase herum.

Die Verstappen-Strafe sorgt für viele Diskussionen - auch bei uns in der Redaktion. Markus und Florian haben den Sachverhalt im Video-Studio diskutiert. Ob sie mit Christians Meinung d'accord gehen?

Verstappen härter bestrafen? 10-Sekunden, die dümmste F1-Strafe (30:49 Min.)