Der weitestgehend ereignislose Formel-1-Sprint in Katar fand am Samstag dennoch ein überraschendes Ende. Lando Norris verschenkte den sicheren Sieg kurz vor dem Zielstrich an Oscar Piastri. Der Brite zahlte damit den Gefallen zurück, den ihm der McLaren-Teamkollege unlängst in Brasilien getan hatte. Für Norris war die Revanche ein Leichtes, denn der Erfolg im Sprint hätte ihm ohnehin nichts bedeutet. Einzig die Punktausbeute für McLaren musste sichergestellt werden. Dem Team war der Platztausch deshalb eigentlich zu riskant, doch Norris machte es trotzdem.

"Es macht mir ehrlich gesagt nichts aus. Ich bin nicht hier, um Sprints zu gewinnen. Ich bin hier, um Rennen und die Weltmeisterschaft zu gewinnen", erklärt Norris, dass er sich aus dem verschenkten Triumph sowieso nichts gemacht hätte. Mit Blick auf die Gesamtwertung machte der Platztausch nur den Unterschied von einem Zähler. Da er seit Las Vegas ohnehin keine Chance mehr auf den WM-Titel hat, spielte das für den 24-Jährigen heute keine Rolle mehr.

"Das mit dem WM-Titel ist ja nicht nach Plan gelaufen, also habe ich das Beste gemacht, was ich tun konnte", erklärt Norris. Nachdem ihm Piastri vor zwei Rennen in Interlagos den Sprint-Sieg für die WM-Punkte überlassen hatte, war es ihm wichtig, sich dafür zu revanchieren. "Ich hatte seit Brasilien vor, das zu tun. Ich habe einfach getan, was ich für das Richtige hielt. Es war aber vielleicht etwas knifflig."

Norris setzt Platztausch gegen McLaren-Empfehlung um

Knifflig war die Tatsache, dass Norris das gesamte Rennen über das DRS für Piastri garantieren musste, damit dieser sich gegen Mercedes-Fahrer George Russell verteidigen konnte. Dadurch waren die Abstände stets sehr eng. Nach fast 19 Runden der Führungsarbeit ging Norris auf dem Weg zum Zielstrich vom Gas und ließ Piastri passieren. Der Australier gewann darauf mit anderthalb Zehntelsekunden Vorsprung. Russell wiederum kam nur vier Zehntelsekunden dahinter ins Ziel.

Tatsächlich setzte Norris die Teamorder ohne eine Anweisung vom Kommandostand um. "Lando wollte Oscar den Gefallen aus Brasilien unbedingt zurückzahlen. Aber wir wollten eigentlich keinen Druck aufbauen und haben Lando das im Funk auch gesagt. Er hat dann eine Möglichkeit gefunden, sich zu revanchieren", so McLaren-Teamchef Andrea Stella gegenüber Sky Sports F1. "Es war etwas enger als gedacht", räumt Norris ein. "Das Team sagte mir, dass ich es nicht machen soll, aber ich dachte mir, dass ich damit schon davonkommen werde."

Seit das Thema WM-Chancen durch ist, hatte es bei McLaren in den Briefings laut Norris keinerlei Teamorder-Überlegungen mehr gegeben. "Das war nichts, was diskutiert wurde. Ich hätte es nicht machen müssen, wenn ich es nicht gewollt hätte. Ich hatte meinem Ingenieur vor dem Rennen gesagt, dass ich es tun werde, wenn wir auf eins und zwei sind und einen kleinen Vorsprung haben. Er wusste es und sagte, dass ich es lassen soll, weil ihnen der Abstand gegenüber George zu gering war. Aber Oscar hat seinen Teil beigetragen, damit ich in der WM näher an Max [Verstappen] herankomme und eine Chance haben kann. Ich hatte es verdient, eine Chance zu haben. So arbeiten wir hier als Team, wenn einer von uns die Möglichkeit hat. Und das habe ich heute zurückgezahlt."

Bis dahin hatte es nach einem sicheren Sieg für ihn ausgesehen. An der Spitze managte er die Pace und musste nur Tempo herausnehmen, um Piastri das DRS zu ermöglichen. "Ich hätte wahrscheinlich noch mehr pushen können, aber wir wollten die anderen hinter uns halten. Also habe ich da etwas geholfen, damit George nicht so nah herankommt", sagt Norris. "Aber wir haben den Doppelsieg geholt, und das war heute das Ziel. Wir haben die maximale Punktzahl, damit sind wir zufrieden."

Piastri auf Hilfe von Norris angewiesen

Aus eigener Kraft wäre es für Piastri möglicherweise sogar mit Platz zwei schwierig geworden. Mehrfach musste er sich mit allen Mitteln gegen Russell zur Wehr setzen, der permanent im DRS folgte und beim Run auf Turn eins attackierte. "Das ganze Rennen drehte sich bei mir ehrlich gesagt nur ums Verteidigen", so der Sieger. "Ich habe mir wohl die Vorderreifen schon sehr früh ruiniert und hatte für den Rest des Sprints dann meine Probleme. Aber es war tolles Teamwork. Ohne diese Hilfe wäre es deutlich schwieriger geworden."

Über die Pläne des Teamkollegen hinsichtlich eines möglichen Platztausches war er von vornherein eingeweiht. Bei dem engen Rennverlauf hatte er damit allerdings nicht mehr gerechnet: "Ich wusste, dass es passieren kann aber war etwas überrascht, dass er es mit George eine halbe Sekunde hinter uns gemacht hat. Es war aber nicht ganz unerwartet, nur eben unter diesen Umständen. Letztendlich spricht es für unser Teamwork und unsere Fairness. Für das Team ändert sich mit Blick auf die Punkte nichts. Es zeigt nur, wie gut wir als Team arbeiten und dass Egos hier keine Rolle spielen."