Gestern lieferte die Formel 1 bereits einen Vorgeschmack auf den Kanada-GP. George Russell und Max Verstappen fuhren zeitgleich im Qualifying auf den ersten Rang - in der Startaufstellung steht daher erstmals seit Brasilien 2022 ein Mercedes ganz vorne. Damals gewann Russell auch. Will er das heute im Rennen wiederholen, muss er sich gegen eine lange Liste an Konkurrenz durchsetzen. Denn es ist F1-Roulette angesagt, und das halbe Feld scheint Ambitionen zu haben.
Und tatsächlich stellt der Favoritencheck zum Rennen heute fest: Das halbe Feld hat gar nicht mal so unrecht. Mercedes, McLaren, Max Verstappen, ja, selbst bis zu den auf den Startplätzen 11 und 12 hängengebliebenen Ferrari muss man zurückschauen. Zumindest gibt es nach zwei Tagen in Kanada keine guten Ausschlussgründe. Vielmehr muss der "Favoriten"-Kreis weit gezogen werden. Denn der Grand Prix selbst wird von einer mehrschichtigen Beliebigkeit bedroht.
Der Wetter-Faktor: Wer hat in Kanada die besten (Regen-)Karten?
Der wichtigste Faktor an diesem Wochenende war bisweilen der Regen. Nicht unbedingt seine Anwesenheit. "Ein wichtiges Element ist, dass wir bis jetzt keine konstanten, stabilen nassen Bedingungen gesehen haben", hält McLaren-Teamchef Andrea Stella fest. "Es war trocken, schmierig, komplett nass, komplett variabel."
Das ist am Samstagabend die vorherrschende Ansicht im Fahrerlager. Ja, irgendwann wird es am Sonntag regnen. Blöd nur, dass es völlig unmöglich vorherzusagen ist. Ein Blick zurück auf den Samstag illustriert das Problem mit der Großwetterlage im Raum Montreal. Seit Tagen ziehen Regen und Gewitterstürme durch die Region, aber auf unvorhersehbaren Pfaden.
Im Qualifying rechnete jeder mit Regen. 80 Prozent Regenwahrscheinlichkeit wurden ausgegeben. Dann begann sich der Ankunftstermin zu verschieben. Ende von Q1. Ende von Q2. Dann kam er gar nicht. Es sind keine gigantischen Unwetter, um die es hier geht, sondern lokalisierte Schauer. Genau das wird auch am Sonntag der Fall sein. 50 Prozent Regenwahrscheinlichkeit rund ums Rennen sind der letzte Stand.

"Dann geht es weniger um die Pace, und mehr um den strategischen Aspekt, zum richtigen Moment auf den richtigen Reifen zu sein", hält McLaren-Teamchef Stella fest. Und beim Regen-Raten richtig zu liegen.
Neuer Asphalt als große Hürde im Rennen
Erst recht, wenn im Trockenen spielt der neue Montreal-Asphalt eine zusätzliche Rolle. Die ganze Strecke wurde für 2024 neu asphaltiert und bislang kaum genutzt. Der Asphalt ist sehr glatt, hat praktisch keinen Gummiabrieb. Das sorgt zum einen dafür, dass sich sein Zustand bei viel Fahrbetrieb schnell ändert. Zum anderen macht es die Angelegenheit auch ohne Regen richtig rutschig.
Mit dem zusätzlichen Bonus an kalten Temperaturen lost das auf den Reifen signifikantes Graining aus. "Besonders auf dem Medium, jener Mischung, mit der fast jeder Longruns gefahren ist", so Pirelli-Sportchef Mario Isola. "Daher scheint es sehr wahrscheinlich, dass bei einem trockenen Rennen zwei Stopps die effektivste Strategie sind, mit der vorherrschenden Wahl von zwei Hard." Nur Aston Martin, Sauber und die Racing Bulls trennten sich bereits von einem Hard, die sieben anderen Teams haben pro Fahrer zwei Sätze für das Rennen zur Verfügung.

Vor dem Graining haben alle Angst. "Sobald du von der Reifenklippe fällst, wird es schwierig sein, sich zurückzukämpfen", prognostiziert Polesetter George Russell. "Es wird ehrlich gesagt für alle ein hartes Rennen werden. Graining scheint ein Problem zu sein und mit dieser neuen Streckenoberfläche weiß niemand, wie das ausgehen wird."
Kampfansagen: Red Bull & McLaren bauen auf vergangene Stärken
Diese Umstände machen das Wählen eines klaren Favoriten also schwierig. Die zuversichtlichsten aller Top-Piloten scheinen aber tatsächlich nicht bei der Pole-Mannschaft von Mercedes zu sitzen. "Ich glaube, dass wir im Renntrimm da vielleicht das bessere Paket haben", mutmaßt Red Bulls Motorsport-Chef Dr. Helmut Marko auf ServusTV nach dem Qualifying.
Gleich in Red Bulls Kielwasser folgt McLaren. "Wir hatten die letzten Rennen über tolle Rennpace", so der von Platz drei startende Lando Norris, der sich deshalb ohne Zweifel im Kreis der Siegesanwärter sieht. McLaren ist mit Oscar Piastri auf P4 auch das einzige Top-Team, das beide Autos ganz vorne hat. Max Verstappens Teamkollege Sergio Perez steht auf P16, Russells Teamkollege Lewis Hamilton auf P7.
Ist Mercedes in Kanada noch besser?
"Aber George ist das ganze Wochenende schon der Favorit, sie waren sehr schnell", streut Norris der Konkurrenz bei Mercedes dennoch Rosen. Im Qualifying hatte noch mehr im Mercedes gesteckt. Doch aus unbekannten Gründen vermochte man auf dem entscheidenden Q3-Schuss nicht das Maximum aus dem Reifen zu holen. Eigentlich hätte sich Russell locker drei Zehntel Vorsprung ausgerechnet.
Ob der nach den letzten über mehrere Rennen verteilten Updates erstmals richtig schnelle Mercedes aber auch im Renntrimm mithalten kann ist eine offene Frage. Die einzigen sinnvollen Runden mit vollen Tanks fuhren alle am Samstag in FP3. Nur kann man die nicht vergleichen, weil aufgrund des verregneten Freitags jeder ein anderes Programm durchzog. Und das teils massive Graining dürfte einige Teams danach wohl dazu bewogen haben, noch einmal ordentlich beim Setup umzubauen.
An dieser Stelle noch ein Absatz zu Ferrari. Die fanden sich auf dem rutschigen Asphalt am Samstag überhaupt nicht zurecht. Ein Rennen nach Charles Leclercs Sieg startet er jetzt nur von Platz elf. Bleibt es trocken, ist es ein langer Weg an die Spitze. "Ich glaube, unsere Quali-Probleme werden im Rennen anders sein", hofft Leclerc. Wirklich Hoffnung wird aber nur das Wetter bieten.
Dann kann wie bereits festgestellt wiederum alles passieren. Aston Martin und Fernando Alonso (Startplatz 6) führten am Freitag die Tabelle an, und sind besonders gut darin, die Reifen aufzuheizen. Zumindest solange es nass bleibt, gilt es daher auf Alonso zu achten. Mitten in der Spitzengruppe sind schließlich auch die beiden Racing Bulls Daniel Ricciardo (5.) und Yuki Tsunoda (8.). Tritt Chaos ein, so sei auch ihnen gedacht.
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