Nie war ein Formel-1-Team über eine so lange Zeit dominanter als Mercedes. Von 2014 bis 2021 wurden 159 Formel-1-Rennen ausgetragen. Davon gewann Mercedes 111. Diese hohe Siegquote von 69,81 Prozent über acht Saisons hinweg haben Lewis Hamilton und Co. einem ganz bestimmten Teil des Teams zu verdanken: der Motorenschmiede in Brixworth. Hywel Thomas, Managing Director der Motorenfabrik in West Northamptonshire, verriet nun den genialen Kniff, der einst das Fundament für acht Konstrukteurs-Weltmeisterschaften in Serie legte.

Hywel Thomas: Zündsystem war ein Meilenstein

Als im Sommer 2011 bekannt wurde, dass Formel-1-Autos ab 2014 mit V6-Turbo-Hybrid-Motoren angetrieben würden, lief bei Mercedes AMG High Performance Powertrains in Brixworth bereits der ursprünglich vorgesehene Vierzylinder auf dem Motorenprüfstand. So früh war Mercedes bei der Entwicklung der modernen Formel-1-Motoren dran. Doch als Wendepunkt macht Hywel Thomas etwas anderes aus: "Die Entdeckung unseres Vorkammer-Zündsystems war ein Meilenstein."

"Als es zum ersten Mal auftauchte und wir uns die Ergebnisse auf dem Prüfstand ansahen, waren wir wirklich beeindruckt", erzählte Thomas. Eigentlich standen die Ingenieure respektive die Fahrer immer vor der Wahl: Ein fettes Benzingemisch mit viel Kraftstoff und wenig Luft in der Brennkammer zu fahren (höherer Benzinverbrauch, viel Leistung). Oder ein mageres Benzingemisch mit wenig Kraftstoff und viel Luft in der Brennkammer zu wählen (niedrigerer Benzinverbrauch, weniger Leistung). Die Mercedes-Ingenieure fanden mit dem Vorkammer-Zündsystems einen Weg, das Beste von beiden Welten zu kombinieren.

Der größte Nachteil des mageren Benzingemisches bestand darin, dass es nur sehr schwer zu entzünden war und aufgrund der häufigeren Fehlzündungen ein erheblicher Leistungsverlust aufgrund des unverbrannten Benzins miteinherging.

Die Mercedes Power Unit von 2016, Foto: Mercedes-AMG
Die Mercedes Power Unit von 2016, Foto: Mercedes-AMG

Mercedes Power Unit: Mehr Leistung bei geringerem Spritverbrauch

In Brixworth entwarfen die Ingenieure deshalb eine kleine Vorkammer und platzierten dort die Einspritzdüsen sowie die Zündkerzen. Diese Vorkammer schafft einen lokalen Bereich, in welchem im Wesentlichen ein fettes Kraftstoffgemisch vorherrscht. Bei der Zündung werden Flammenstrahlen erzeugt, die anschließend in der Lage sind, eine mager angereicherte Brennkammer ohne Fehlzündungen zu entzünden. Die Fahrer konnten dadurch ein sehr mageres Gemisch fahren, während die gleichmäßige Verbrennung wesentlich mehr Leistung erzeugte.

Aus dieser Innovation entwuchs neben dem Erfahrungsvorsprung ein weiterer Vorteil: Der deutlich geringere Kraftstoffverbrauch ermöglichte Mercedes, die Rennen mit weniger Sprit und damit weniger Gewicht zu starten. Ferrari brauchte ein Jahr, um mit dem Zündsystem nachzuziehen, doch die Mercedes-Power-Unit blieb über Jahre hinweg das Nonplusultra.

Nicht nur das Vorkammer-Zündsystem wurde serienrelevant

Exakt jenes System werde mittlerweile vermehrt im Straßenverkehr eingesetzt, berichtete Thomas: "Man sieht unser Vorkammer-Zündsystem immer häufiger in Straßenautos. Heutzutage werden Verbrennungsmotoren eigentlich nicht mehr wirklich weiterentwickelt, aber wir sehen diese Vorkammer-Zündsysteme immer häufiger - und das kommt direkt aus der Formel 1." Im selben Zug beklagte sich der Motorenchef über die fehlende Aufmerksamkeit: "Das sollte eigentlich eine wirklich große Geschichte sein…"

Mercedes sei aber nicht nur bei Verbrennungsmotoren Vorreiter für den Straßenverkehr gewesen, betonte Thomas: "Etwas, das wir jetzt auch häufiger sehen, ist der Teil des Pakets, in dem die Batterien gelagert werden. Wir haben diesen als zylindrische, flüssigkeitsgekühlte Zelle gestaltet. Wenn man sich die jüngsten Trends bei den Batteriepaketen von Elektrofahrzeugen anschaut, ist das genau der Weg, den Serienhersteller einschlagen."

"Wenn ich diese Frage vor ein paar Jahren hätte beantworten müssen, hätte ich mich wahrscheinlich schwergetan. Aber ich denke, in den letzten zwei oder drei Jahren haben wir gesehen, dass diese Technologien aus der Formel 1 mehr und mehr in die Serien-Produktion einfließt", fasste Thomas zusammen.