Seit 9. Januar, also rund drei Wochen, ist Frederic Vasseur nun im Amt als Ferrari-Teamchef. Entsprechend vorsichtig gab sich der 54-jährige Franzose, von allen nur 'Fred' genannt, bei seinem ersten offiziellen Auftritt im Ferrari-Outfit. Große Änderungen kündigte er bei einem kleinen Pressegespräch, dem auch Motorsport-Magazin.com beiwohnte, nicht an.

Gerüchte über einen Wechsel an der Ferrari-Spitze geisterten bereits während der letzten Rennwochenenden durch das Formel-1-Fahrerlager. "Es gab aber erst nach Abu Dhabi Gespräche", versichert Vasseur.

"Danach ging der Prozess sehr schnell", so der Franzose. Am 29. November, neun Tage nach dem Saisonfinale in Abu Dhabi, verkündete Ferrari den Rücktritt von Mattia Binotto. Zwei Wochen später, am 13. Dezember, wurde der Wechsel von Fred Vasseur von Sauber zu Ferrari offiziell.

Binotto übergibt Ferrari-Führung an Vasseur

Der Wechsel zwischen Alt- und Neu-Teamchef erfolgte ordentlich, wie Vasseur verrät: "Ich habe mit Mattia telefoniert, danach haben wir uns getroffen und es gab auch eine Übergabe. Wir haben unter vier Augen gesprochen. Ich habe mich bei Mattia bedankt, und ich weiß es sehr zu schätzen, dass er geblieben ist, bis ich gekommen bin."

Die Teamchef-Übergabe von Mattia Binotto an Fred Vasseur soll bei Ferrari reibungslos abgelaufen sein, Foto: LAT Images
Die Teamchef-Übergabe von Mattia Binotto an Fred Vasseur soll bei Ferrari reibungslos abgelaufen sein, Foto: LAT Images

Vasseur seinerseits verließ Sauber vorzeitig. Wohl auch, weil er wusste, dass Audi mit Andreas Seidl schon einen neuen starken Mann in der Hinterhand hatte. Großartige Versuche seitens Audi, Vasseur zu halten, gab es jedenfalls nicht. "Ein Angebot von Ferrari kann man nicht abschlagen", sollen die Audi-Verantwortlichen laut Vasseur gesagt haben.

In Hinwil musste man derweil eine Zwischenlösung finden, mit der alle Beteiligten leben können: Alfa, Sauber und Audi. Andreas Seidl hat mit Alessandro Alunni Bravi einen Quasi-Teamchef für die Übergangszeit gefunden.

Vasseur ist für Ferrari der fünfte Teamchef in neun Jahren. In Maranello regierte die letzte Dekade das Prinzip 'Hire & Fire'. Die letzte wirklich erfolgreiche Ära prägte ebenfalls ein Franzose: Jean Todt. Vasseur und Todt kennen sich gut, die beiden befinden sich im Austausch. Ein Todt-Comeback - auch als Berater, wie zuletzt teilweise berichtet wurde - soll es trotzdem nicht geben. "Das ist eher privat", so Vasseur.

Für Vasseur ist Ferrari die dritte Station in der Formel 1. Das Glück bei Renault hielt 2016 nur eine Saison lang, von 2017 bis 2022 leitete er die Geschicke bei Sauber in Hinwil. Bei Renault sorgte die Doppelspitze mit Cyril Abiteboul für Probleme bei der Führung des Rennstalls, bei Sauber war Vasseur nicht nur Teamchef, sondern auch Geschäftsführer der Sauber Gruppe.

Das Setup, dass Vasseur bei Ferrari vorfindet, liegt irgendwo zwischen Enstone und Hinwil. Bei der Scuderia ist er nicht nur Teamchef, sondern auch General Manager der Gestione Sportiva. Vasseur berichtet direkt an Ferrari-Geschäftsführer Benedetto Vigna und Präsident John Elkann.

Vasseur scheiterte bei Renault an der Führungsstruktur, Foto: Sutton
Vasseur scheiterte bei Renault an der Führungsstruktur, Foto: Sutton

"Aber auch bei Sauber musste ich an den Vorsitzenden der Gruppe berichten, man hat immer einen Boss, das ist nicht neu für mich", stellt Ferraris neuer Teamchef klar. "Dis Situation ist kristallklar: Ich habe den Auftrag, das Team zu führen und das mache ich. Ich telefoniere fast täglich mit Benedetto und diskutiere mit ihm die Schlüsselpunkte."

Vasseur: Ferrari kein Teilzeit-Job

Vasseurs Leben vor der Formel 1 ist nicht minder interessant. Mit Nicholas Tod gründete er das erfolgreiche Nachwuchsteam ART, später baute seine Firma Spark die Einheitschassis der Formel E. Seit 32 Jahren steht er an der Boxenmauer, Vasseur ist ein Tausendsassa. "Aber ich bin zu 120 Prozent auf Ferrari fokussiert, ich habe keine anderen Verpflichtungen", versichert er. "Ferrari kannst du nicht als Teilzeitjob machen. Ich habe zwar noch Anteile, aber ich habe keine operative Rolle."

Die Ziele waren für Vasseur bereits vor dem Amtsantritt klar: "Als Top-Team kannst du kein anderes Ziel haben, als zu gewinnen. Wenn du sagst, Platz zwei ist okay, dann wären deine Ambitionen zu niedrig. Und wir haben alles, um einen guten Job zu machen. Das Ziel ist: Gewinnen."

2022 holte die Scuderia zwar die meisten Pole Positions und konnte immerhin vier Grands Prix gewinnen, aber vom großen Ziel, dem Gewinn der Weltmeisterschaften, war man ein ganzes Stück weit entfernt. Was muss Vasseur in Maranello umkrempeln, damit es auch mit dem Titel klappt?

Neuer Ferrari-Teamchef kein Revoluzzer

"Es wäre arrogant, nach dieser kurzen Zeit Änderungen an den Strukturen vornehmen zu wollen. Ich muss erst einmal identifizieren, wo die Schwächen liegen", wiederholte Vasseur gebetsmühlenartig, auf die verschiedenen Schwächen der Scuderia angesprochen.

Der Ferrari-Kommandostand genießt in der Formel 1 nicht den besten Ruf, Foto: LAT Images
Der Ferrari-Kommandostand genießt in der Formel 1 nicht den besten Ruf, Foto: LAT Images

Strategiechef Inaki Rueda, seit geraumer Zeit unter dem Beschuss der Öffentlichkeit, nimmt Vasseur aus der Schusslinie: "Wenn man über Strategie spricht, sieht man oft nur die Spitze des Eisbergs. Es geht nicht nur um denjenigen, der da ganz oben steht. Es geht um Organisation, um Kommunikation. Wir befinden uns dort im Prozess, das alles zu beurteilen. Wir müssen etwas verbessern, aber es ist noch zu kurzfristig für mich."

Schnellschüsse sind deshalb vom neuen Boss der Gestione Sportiva nicht zu erwarten: "Es geht um kontinuierliche Verbesserung, statt gleich etwas zu ändern. Ich vertraue den Leuten. Nach ein paar Wochen oder Monaten ist es an der Zeit, etwas zu ändern, wenn es nicht funktioniert. Aber man muss immer die Einstellung haben, etwas zu verbessern. Morgen muss man besser sein als heute. Wenn du sagst, dass dein Team in guter Verfassung ist, dann bist du tot."