Dieses Interview erschien in Ausgabe 85 unseres Print-Magazins. Am Ende des Jahres veröffentlichen wir traditionell einen kleinen Teil unserer Print-Artikel kostenfrei auf der Website. Viel Spaß beim Lesen!
Leichter Nieselregen klopft zart gegen die breite Glasfront der Alfa Romeo Hospitality im Fahrerlager von Spielberg. Während Valtteri Bottas noch von Termin zu Termin eilt, wartet bereits eine Tasse Espresso auf dem Tisch vor uns auf den Finnen. Kurz darauf taucht Valtteri auf. Er kommt direkt von den TV-Interviews und der offiziellen FIA-Pressekonferenz, hat also gerade schon viel geredet. Ob er da noch Lust auf noch mehr Fragen hat? "Ein bisschen geht schon noch", sagt er mit einem Lächeln. Na dann los.
MSM: Ich habe gerade bemerkt, dass dein altes Auto auf der Rückseite unserer Moderationskarten abgebildet ist...
Valtteri Bottas [schaut genau hin]: Das ist es! [überlegt kurz] Ein Williams von entweder 2015 oder 2016.
Kommen wir zur Gegenwart. Die erste Saisonhälfte ist vorbei und wir haben in unserer Redaktion Alfa Romeo zur Überraschung des bisherigen Jahres gewählt. Hättest Du das nach der ersten Testwoche und all den Problemen gedacht?
Valtteri Bottas: Nach der ersten Testwoche ganz sicher nicht. Ich dachte, dass wir einige große Probleme zu lösen hatten und angesichts der eingeschränkten Testkilometer war es schwierig, ein richtiges Gefühl für das Auto zu bekommen und zu verstehen, wo wir standen. Deshalb waren die Erwartungen nach dem ersten Test alles andere als hoch, aber sobald wir das Auto zum Laufen bekommen haben, verlief die Saison ein bisschen wie eine Achterbahnfahrt. Wir wussten, dass wir ein Auto hatten, das ziemlich schnell ist - und wenn wir die Zuverlässigkeitsbedenken beseitigen können, dann können wir etwas Tolles erreichen.
Du kannst das große 'aber' sicher schon wittern. Du hattest einige Ausfälle und nicht weniger als acht Trainings Probleme - wie frustrierend war das?
Valtteri Bottas: Es macht keinen Spaß. Wir hatten fast an jedem Wochenende irgendein Problem. Das macht es ein bisschen schwieriger, weil das Mittelfeld so eng ist, dass ein oder zwei Zehntel im Qualifying einen riesigen Unterschied ausmachen können. Wenn wir im Training nur wenig mit viel Benzin fahren können, kann es das Rennen leicht beeinträchtigen. Und wenn die Defekte im Rennen passieren, bedeutet das natürlich sofort null Punkte. Die Lösung dieser Probleme steht also ganz oben auf unserer Prioritätenliste. Denn wenn das Auto funktioniert und wir ein gutes Wochenende haben, dann ist es auch schnell.
Ist es besonders frustrierend, diese Chancen verpasst zu haben, weil Du natürlich nicht weißt, ob die anderen nachlegen?
Valtteri Bottas: Ich habe das Gefühl, dass es im Mittelfeld weiterhin so eng zugehen wird wie bisher auch. Irgendwann werden auch wir weitere Updates bringen, die uns hoffentlich im Kampf um die "Best of the Rest"-Positionen halten. Ich glaube, dass wir am Sonntag wahrscheinlich das viertschnellste Team sind. Entsprechend sehe ich den vierten Platz in der Konstrukteurs-WM als ein gutes Ziel für uns an. Aber dafür müssen wir die Probleme lösen.
[Mit dieser Zielsetzung scheint Valtteri das Pech ein bisschen herbeigerufen zu haben. Vor dem Rennwochenende in Spielberg lag Alfa Romeo (P6, 51 Punkte) nur 22 Zähler hinter McLaren (P4, 73 Punkte). Doch nach der Saison liegt man nur auf Rang 6. Lediglich vier Punkte kamen für das Team aus Hinwil noch dazu (55 Punkte insgesamt). Nur knapp konnte man Platz 6 vor Aston Martin sichern.]
Du hast das enge Mittelfeld angesprochen. Macht dir das Spaß? Oder macht es alles nur noch schwieriger?
Valtteri Bottas: Es macht Spaß. Mir gefällt es sehr. Das Racing ist sehr gut. Es gibt so viele Teams, deren Pace im Qualifying und Rennen so eng zusammenliegt. Wenn man ein tolles Ergebnis einfährt, macht das einen riesigen Unterschied. Das gefällt mir. Und auch das Racing ist mit den neuen Autos viel besser. Es bieten sich viel mehr Möglichkeiten. Mir macht die F1 aktuell richtig Spaß.
Jetzt spielen die Details eine viel größere Rolle. Letztes Jahr entschieden ein oder zwei Zehntel für dich zwischen P1 und P3. Jetzt geht es um P6 oder P13!
Valtteri Bottas: Exakt. Das ist es. Man kann einen großen Unterschied ausmachen - sowohl im Qualifying als auch im Rennen.
Einige Fahrer mussten ihren Fahrstil anpassen. Wie war das für Dich?
Valtteri Bottas: Ich denke, ich habe mich ziemlich schnell angepasst. Sobald wir bei den Tests endlich ein paar Runden fahren konnten, fühlte es sich schon bald sehr gut an. Es macht mir wirklich sehr viel Spaß, dieses Auto zu fahren. Ganz besonders in den Rennen. Es lässt sich gut fahren und die Balance ist ziemlich gut. Für mich war es also kein großes Problem. Mein Teamkollege [Guanyu Zhou] hatte am Anfang ein paar Schwierigkeiten im Qualifying, aber jetzt hat er gezeigt, dass er sich daran gewöhnt hat. In einigen Qualifyings lag er sogar vor mir, er lernt also schnell dazu. Vor allem im Nassen ist er richtig schnell!
Du musstest Deinen Fahrstil also nicht umstellen?
Valtteri Bottas: Nur ganz leicht, nichts Fundamentales. Grundsätzlich habe ich das Gefühl, dass dieses Auto gut zu meinem Fahrstil passt.
Mit den neuen Autos soll es auch einfacher sein, dem Vordermann zu folgen. Ist das mit dem Alfa genauso?
Valtteri Bottas: Auf jeden Fall. Es ist mindestens 50% besser als vorher. Das ist ein guter Schritt. Das einzig Negative ist vielleicht, dass der Windschatteneffekt etwas geringer ausfällt. Aber wenn man in den Kurven nah dran ist und danach DRS bekommt, ist es okay.
Apropos DRS: Manchmal schien es etwas zu stark zu wirken, manchmal zu schwach...
Valtteri Bottas: Es hängt von der Strecke ab. Außerdem sind viele Teams unterschiedliche Downforce-Levels gefahren. In Silverstone hing ich hinter [Nicholas] Latifi, weil er auf den Geraden so schnell war. Selbst mit geöffnetem DRS kam ich kaum an ihn heran.
Obwohl Du das schnellere Auto hattest.
Valtteri Bottas: Genau. Genauso war es mit dem Alpine in Montreal. Er war aus dem gleichen Grund sehr schwer zu überholen.
Mit den neuen Autos und Regeln ist die Formel 1 dieses Jahr viel unvorhersehbarer geworden. Gefällt Dir das?
Valtteri Bottas: Mir gefällt, dass es einen Neustart gegeben hat und nun ein anderes Team an der Spitze steht. Es geht sehr eng zu zwischen Ferrari und Red Bull und im Mittelfeld hängt es von der Strecke ab. Manchmal ist Haas urplötzlich sehr schnell, dann sind sie auf einmal wieder am hinteren Ende. Mir gefällt das. Es ist sehr erfrischend für den Sport und den Fans gefällt es ebenso. Das sieht man an ihrem Feedback und jedes Rennen ist noch mal ein größeres Event. Die Formel 1 boomt und als Fahrer macht das richtig viel Spaß.
Die Performance Eures Autos war, abgesehen von der Zuverlässigkeit, relativ konstant.
Valtteri Bottas: Ja, zumindest auf normalen Strecken, auf Straßenkursen war es etwas schwieriger. Aber in Silverstone war unsere Rennpace besser als die der Autos vor uns. Das ist ermutigend, denn ich sehe Alpine und McLaren als unsere Hauptkonkurrenten an und hoffe, dass wir in jedem Rennen mit ihnen kämpfen können.
Als Rennfahrer willst Du immer gewinnen, hilft Dir dieser Charakterzug in Deiner Rolle als Teamleader?
Valtteri Bottas: Sicher, die Rollenverteilung kommt ganz natürlich, weil es sein erstes Jahr ist und mein Teamkollege noch viel lernen muss. Gleichzeitig habe ich vorher bei zwei Teams viel Erfahrung gesammelt. Es ist schön, diese Erfahrung an das Team weiterzugeben und alles herauszuholen, was ich kann. Ich bin definitiv noch immer sehr wettbewerbsfähig und das gesamte Team hat das Gefühl, dass wir mit den neuen Autos, den neuen Regeln und dem Budget-Cap noch besser abschneiden können. Das motiviert uns alle. Wenn man in der Vergangenheit Probleme hatte, konnte man leicht sagen: Ja, aber die haben 200 Millionen mehr als wir! Diese Ausrede gilt jetzt nicht mehr.
Im Auto verändert sich für Dich natürlich nichts, aber hast Du als Teamleader sonst mehr zu tun? Lastet dadurch mehr Druck auf Dir?
Valtteri Bottas: Die Arbeitsbelastung ist relativ ähnlich zu dem, was ich gewohnt bin. Ich bin oft in der Fabrik, arbeite im Simulator, nehme an Meetings teil und treffe mich mit den Teammitgliedern. Was den Druck angeht, denke ich, dass ich bei diesem Team weniger habe. Ich habe mir komplett neue Ziele gesteckt. Als ich zum Team gekommen bin, hatte ich das Gefühl, dass ich nur gewinnen kann und nichts zu verlieren habe. Das war ziemlich erfrischend.
Du bist aus Deiner Zeit in einem Top-Team ganz anderen Druck gewohnt... Valtteri Bottas: Absolut, ja. [lacht] Fünf Jahre. Wie stark ich unter Druck gestanden habe, habe ich erst gemerkt, als ich gegangen bin. Jetzt fühle ich mich etwas entspannter.
Kannst Du es dadurch mehr genießen?
Valtteri Bottas: Absolut. Es fühlt sich jetzt mehr oder weniger wie in meiner Williams-Zeit an. Es macht mir auf jeden Fall sehr viel Spaß. Wir hatten einige gute Ergebnisse und wenn das Auto hält, dann können wir noch mehr gute Ergebnisse einfahren.
Du hast den Simulator angesprochen. Wie kannst Du dem Team mit Deiner Erfahrung helfen?
Valtteri Bottas: Die ersten paar Monate ging es vor allem darum, den Simulator zu verbessern, zum Bespiel bei den Bewegungen, dem Reifenmodell, es ging um Feedback. Der Mercedes-Simulator ist wahrscheinlich einer der besten, wenn nicht sogar der beste in der Formel 1. Dadurch hatte ich eine gute Referenz. Der Sauber-Simulator besitzt jetzt eine gute Basis, sodass wir vor den Wochenenden am Setup arbeiten können. An jedem Rennwochenende sitzt zudem ein Fahrer im Simulator, probiert verschiedene Abstimmungen aus und gibt uns Rückmeldung. Er entwickelt sich also zu einem nützlichen Werkzeug. Wir haben noch etwas Arbeit vor uns, aber wir sind fast soweit.
Du sagst dem Team also, wie es sich anfühlen sollte? Was Du gewohnt bist?
Valtteri Bottas: Genau, bei Mercedes war die Korrelation zwischen Simulator und Strecke sehr gut. Wenn man Veränderungen am Setup vorgenommen hat, war es fast identisch zur Realität. Das ist sehr hilfreich. Das wichtigste Feedback, das ich bislang gegeben habe, betrifft die Arbeit an der Korrelation zwischen dem Rennwochenende und dem Simulator, damit dieser so reagiert wie das Auto auf der Rennstrecke.
Als Du zum Team gestoßen bist, hast Du gesagt: Es ist die richtige Zeit für ein neues Abenteuer. Was kannst Du jetzt einbringen, das Du vorher gelernt hast?
Valtteri Bottas: Ich habe technisch viel gelernt. Wir konnten einige Setup-Tools verbessern, damit wir das Auto mechanisch besser abstimmen können, als es das Team vorher konnte. Lauter solche Dinge. Alles, was ich bei Mercedes und Williams über Teamwork gelernt habe, besonders der Umgang mit den Leuten, wie du das Team um dich herum motivierst. Meine Rolle ist größer als nur die eines reinen Fahrers. Ich bin ein wichtiger Teamplayer, der versucht, die Leute zu motivieren und das Beste herauszuholen.
Wie motivierst Du die Leute? Macht ihr Teambuilding-Maßnahmen? Nehmen die Mechaniker an Deinem Duathlon teil?
Valtteri Bottas: [lacht] Bei einigen Rennen haben wir gemeinsame Abendessen veranstaltet. Das sind einfache Dinge, aber es ist wichtig, in der Garage zu sein und die Leute kennenzulernen. Sobald man sie besser kennt, weiß man, wie man sie motivieren kann. Wichtig ist, dass ich da bin und ihnen zeige, dass es mir wirklich wichtig ist, das Team nach vorne zu bringen - das zieht die Leute mit.
Du stehst erst am Anfang dieses Kapitels, aber fühlt es sich besser an, weil Du mehr Einfluss hast?
Valtteri Bottas: Sicher, das Team hat mit der Entwicklung des Autos natürlich schon viel früher begonnen, aber es macht mir viel Spaß. Der Anfang unserer gemeinsamen Reise war gut und wie Du sagst, es geht damit erst los. Was mich jetzt interessiert, ist mehr in die Entwicklung des nächstjährigen Autos eingebunden zu werden und langfristig zu denken - nicht nur für die nächsten sechs Monate.
Du hast sicher nicht damit gerechnet, dass das Auto schon zu Beginn so gut sein würde...
Valtteri Bottas: Ich denke, es hat die Erwartungen von uns allen übertroffen. Ich wusste, dass es schnell ist und im Mittelfeld sein kann, aber bei einigen Rennen war es eine positive Überraschung.
Könnte es sich vielleicht zu einem Problem entwickeln, dass ihr schon jetzt am Anfang über dem Soll liegt?
Valtteri Bottas: Ich denke nicht. Für das Team war es wichtig, sofort gute Ergebnisse zu erzielen, denn ich sehe dadurch die Motivation steigen. Ich kann das Funkeln in den Augen der Leute erkennen. Es motiviert sie mehr. Man kommt mit ein paar Punkteergebnissen auf den Geschmack und möchte dann immer mehr davon. Das ist ein gutes, gesundes Gefühl.
Letztendlich landete Alfa Romeo auf Rang 6 der Konstrukteure. Im Verlauf der Saison fiel das Auto im Vergleich zur Konkurrenz ab. Zu einem richtigen Kampf mit den Mittelfeld-Konkurrenten McLaren und Alpine kam es nicht mehr. Die Leistung von Alfa Sauber haben wir in der aktuellen Ausgabe unseres Print-Magazins genau untersucht.
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