Fernando Alonso kann die Finger nicht von der Formel 1 lassen, und er hat eine sehr klare Vorstellung davon, wie sein Leben in der Formel 1 auszusehen hat. Die hatte er schon immer. Immer fühlte er sich schon zu Höherem bestimmt, und dass er inzwischen 41 Jahre alt ist, hat daran nichts geändert. Sein größtes Problem ist 2022 jedoch dasselbe wie eigentlich in fast jedem Jahr seiner Karriere: Er sitzt an einem Ort, der nicht seinen Ansprüchen gerecht werden kann.
Nach dieser Erkenntnis und nach dem Auftauchen einer Alternative brach Alonso daraufhin zum siebten Mal die Zelte ab. Zum dritten Mal verlässt er Alpine, einst Renault, und macht sich zum ersten Mal auf nach Silverstone zu Aston Martin. Die Formel 1 belächelt - denn nur wer falsche Entscheidungen trifft, der wechselt in zwei Jahrzehnten sieben Mal. Oder? Wie kann ein zweifacher Weltmeister so oft zur falschen Zeit am falschen Ort sein? Alonsos Karriere ist ein Problem für sich.
Begonnen hatte er 2001 als Rookie bei den Hinterbänklern von Minardi. Ein kurzes Gastspiel ohne Punkte, aber für einen jungen Fahrer mit Talent bekanntlich nicht unüblich. Es folgte ein Jahr auf der Ersatzbank von Renault. Drahtzieher war damals schon Flavio Briatore, der Alonsos langjähriger Vertrauter werden sollte. Briatore, zugleich Renaults Teamchef, unterstützte das Talent mit der Beförderung ins Einsatzcockpit und wurde 2003 mit dem ersten Sieg belohnt. Die Ankunft fiel mit Renaults Aufstieg zusammen, was 2005 und 2006 in zwei WM-Titeln mündete. Da hatte das Wechselspiel aber schon begonnen. Hinter den Kulissen hatte Alonso, unglücklich mit den Zukunftsaussichten, schon 2005 mit McLaren geflirtet, und für 2007 war der Millionentransfer dann unterschrieben.
Mit ihm begann das Drama, welches Alonsos restliche Fahrermarktentscheidungen begleiten sollte. Bei McLaren hatte er sich einen Top-Deal als Nummer 1 erwartet, aber Teamchef Ron Dennis hatte den vom Team geförderten Rookie Lewis Hamilton ins zweite Cockpit gesetzt. Dennis ließ beide frei fahren, beide kämpften um die WM - nicht Alonsos Vorstellung. Die Beziehung ging nach nur wenigen Rennen in die Brüche, Alonso fühlte sich gegenüber Dennis' handverlesenem Wunderkind benachteiligt.
Als die beiden sich in Ungarn im Qualifying gegenseitig sabotierten, eskalierte der Streit endgültig. Alonso forderte Gerechtigkeit, und baute Druck auf, indem er Dennis verriet, belastende E-Mails im laufenden Spionageskandal zwischen Ferrari und McLaren zu haben. Danach war die Ehe hinüber. McLaren wurde für "Spygate" mit 100 Millionen Dollar bestraft. Dennis und Alonso verhandelten schließlich eine vorzeitige Trennung aus.
Kurzfristig, wie diese Trennung war, ließ sie Alonso nur wenige Optionen offen. Er kehrte zurück zu Renault, das ohne ihn und mit weniger Budget in der Hackordnung abgerutscht war. Nur boten sich keine besseren Chancen. Die Tür bei McLaren war vorerst zu und Ferrari hatte zwei Fahrer unter Vertrag. Laut Alonso riefen auch Toyota und das noch junge Red Bull an, aber das war lange bevor es sich als Top-Team etabliert hatte. Er schlug das Angebot aus. Sein zweiter Renault-Stint brachte ihm nur zwei Siege, einer davon wurde abermals von einer Kontroverse begleitet.
Diesmal hieß sie "Crashgate": Teamkollege Nelson Piquet Jr. verunfallte in Singapur absichtlich, um Alonsos Sieg zu sichern. Briatore wurde dafür aus dem Fahrerlager verbannt. Alonso wiederum wurde von jeglicher Beteiligung freigesprochen. Er war währenddessen auf der Suche nach Alternativen. 2010 war bei Ferrari endlich ein Platz frei, und er griff dankend zu. Wieder soll Red Bull kurzfristig angerufen haben. Da war die Situation eine andere, mit dem neuen Reglement war es zum Top-Team aufgestiegen. Aber war das auf Dauer? Alonso entschied sich dagegen, ging zu Ferrari und wurde mit einem Sieg im ersten gemeinsamen Rennen und dem ersten WM-fähigen Material seit 2007 belohnt. Den Titel verlor er im letzten Rennen, gegen Red Bull.
Die gute Laune bei Ferrari hielt nicht ewig an, denn 2011 war eine Enttäuschung. 2012 zwang Alonso ein unterlegenes Auto zurück in den Meisterschaftskampf, verlor aber wieder. 2013 war das Auto erneut unterlegen, und mit dem neuen technischen Reglement - Motor und Chassis - für 2014 am Horizont begannen sich bei Alonso ernsthafte Zweifel zu melden, ob denn Ferrari je in der Lage sein würde, trotz aller Ressourcen verlässlich jahrein, jahraus fähiges Material zu liefern. Wieder war er es, der provozierte.
In Ungarn wurde er anlässlich seines 32. Geburtstages nach Wünschen gefragt, und wünschte sich das "Auto eines anderen". Wieder machten Red-Bull-Gerüchte den Umlauf, aber Alonso blieb. Ein Fehler. Maranello implodierte 2014. Das Auto war nicht gut, das Management rotierte. Verhandlungen mit Alonso über seine Zukunft stagnierten, er verlor das Interesse, und das beruhte auf Gegenseitigkeit. Die Scuderia angelte stattdessen nach Sebastian Vettel. Die Trennung folgte einvernehmlich, als Vettel sicher war.
Denn Alonso hatte sich für eine Alternative erwärmt. Enttäuscht von Ferrari hatte er sich von neuen McLaren-Träumen verführen lassen, geleitet von der neuen Partnerschaft des Teams mit den F1-Rückkehrern Honda. Viel Nostalgie schwang damals mit, Erinnerungen an die Glanzzeiten dieser legendären Partnerschaft McLaren-Honda und Ayrton Senna wurden großzügig genährt. Ron Dennis und Alonso schafften es dafür, die Bitterkeit von 2007 zu verdrängen. Dennis sah einen reiferen Fahrer, zu dem Zeitpunkt unzweifelhaft einer der besten im Feld. Ein Dreijahresdeal wurde arrangiert. Dass Honda nicht sofort konkurrenzfähig sein würde, war zu dem Zeitpunkt jedem bewusst. Als 2016 und 2017 keine zählbaren Fortschritte kamen, stieg der Frust aber wieder.
Alonso trug wie so oft die schmutzige Wäsche in aller Öffentlichkeit aus, mit bösen Funksprüchen angeführt vom "GP2-Engine" beim Honda-Heimrennen. Diesmal blieb Alonso und unterschrieb einen neuen Vertrag, während Honda ging. Doch die großen Erwartungen von 2018, als McLaren mit Renault weitermachte, waren Tagträume.
Alonso hatte 2017 immer wieder versichert, es sei der Motor gewesen, und dass das Chassis siegfähig sei. Mit dem Renault-Motor folgte das böse Erwachen im Mittelfeld, und damit verging Alonso die Lust. Siegfähige Alternativen für 2019 gab es keine, also verabschiedete er sich in die Pause. 2017 hatte er sich schon am Indy 500 versucht, nun zog es ihn überallhin: Langstrecken-Weltmeister und zweifacher Le-Mans-Sieger mit Toyota, ein Gastspiel bei der Rallye Dakar.
Dann riefen die alten Freunde von Renault an. Ihnen war Daniel Ricciardo abgesprungen, und für 2021 brauchten sie einen Star für das als Alpine neu gebrandete F1-Projekt. Alonso stieg darauf ein - besser als ein Hersteller mit Zukunftsplan würden seine Optionen nicht mehr werden, und eigentlich wollte er noch immer in der Formel 1 fahren. Nur fehlte der große Fortschritt für die unmittelbare Zukunft. Alpine, seit Jahren stagnierend, kündigte im Herbst einen 100-Rennen-Plan bis zum nächsten Sieg an. Im Hintergrund tauchte mit Oscar Piastri ein junger Senkrechtstarter auf.
Den wollte das Team möglichst bald im Cockpit sehen und Alonso daher nicht langfristig binden. Als Sebastian Vettel 2022 bei Aston Martin seinen Rücktritt erklärte, öffnete sich innerhalb von Tagen, fast Stunden, für Alonso plötzlich eine Tür, dieser unbequemen Situation zu entkommen. Er griff zu, über Nacht am Ungarn-Wochenende, nachdem er davor noch fest mit der Alpine-Verlängerung kalkuliert und darüber verhandelt hatte. Aber noch immer fühlt er sich wie ein Fahrer, der ganz vorne mitfahren kann. Und ein Fernando Alonso will eines nicht: unter Wert geschlagen werden. Das hat er hinlänglich bewiesen. Er fährt Formel 1 nur zu seinen Bedingungen.
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