Strategien sind in der Formel 1 genauso wichtig, wie ein gutes Qualifying oder ein guter Start. An der Box werden Rennen entschieden und wichtige Positionen gewonnen. Gleichzeitig kann ein strategischer Fehler fatal sein. Wir blicken noch einmal auf die Saison 2022 zurück und erinnern uns, wo Strategien besonders gut aufgingen und wo die Strategen im Nachhinein wohl lieber im Erdboden versunken wären.

Top: Alexander Albons ewige Fahrt in Melbourne

Der Williams FW44 war 2022 mit Sicherheit das schlechteste Auto im Feld. Nur auf Highspeedstrecken und mit härteren Reifenmischungen näherte sich das Traditionsteam den Punkten unter trockenen Bedingungen an. Die Rückkehr des Australien Grand Prix nach zwei Jahren Corona-Pause wartete mit einem modifizierten Streckenlayout auf. Der Albert Park Circuit in Melbourne war nun schneller und flüssiger und lag dem Williams daher etwas besser. Besonders auf harten Reifen funktionierte das Auto gut und so entschloss sich Alex Albon kurzerhand 57 Runden lang auf den weiß markierten Pirelli-Pneus draußen zu bleiben. Was auf anderen Strecken aufgrund des Reifenverschleißes wohl eine absolute Schnappsidee gewesen wäre, funktionierte hier zum Erstaunen aller Beobachter. Albon ging in der letzten Runde an die Box und kam als Zehnter wieder raus. Ein Punkt, den kaum einer für möglich gehalten hätte.

Alex Albon fuhr in Austalien ewig mit dem harten Reifen, Foto: LAT Images
Alex Albon fuhr in Austalien ewig mit dem harten Reifen, Foto: LAT Images

Flop: Ferrari lässt Leclerc in Silverstone im Stich

Manch ein Beobachter konnte sich beim Grand Prix in Großbritannien den Gedanken nicht verkneifen, dass Ferrari Carlos Sainz nach dessen erster Pole-Position auch unbedingt zum Premierensieg verhelfen wollte. Im Rennen duellierten sich der Spanier und sein Teamkollege Charles Leclerc um die Spitze. Die monegassische Speerspitze der Scuderia im WM-Kampf machte dabei den schnelleren Eindruck, obwohl der Frontflügel seines F1-75 an der Endplatte beschädigt war. Der ausrollende Alpine von Esteban Ocon verursachte in Runde 39 ein Safety-Car. Alle Spitzenpiloten kamen für frische Reifen rein, nur Charles Leclerc wurde von Ferrari zum Draußenbleiben aufgefordert. Leclerc führte nun, doch wurde er nach dem Restart in kurzer Folge wieder von Sainz, Perez und Hamilton geschluckt. Leclerc kämpfte wie ein Löwe, doch konnte er sich gerade noch auf Platz Vier vor Fernando Alonso ins Ziel retten. Statt 25 gab es nur 12 Punkte für den 25-Jährigen.

Top: Vettels und Latifis Risiko in Suzuka wird belohnt

Bei Regen ergibt sich häufig die Möglichkeit für den großen Poker. Die einen riskieren und gehen baden, während die anderen goldrichtig liegen. Letzteres gelang sowohl Sebastian Vettel als auch Nicholas Latifi in Suzuka mit ihrer Entscheidung, früh auf Intermediates zu wechseln. Als das Safety-Car zum Restart des vorher unterbrochenen Rennens in die Box kam, fuhren auch der Deutsche und der Kanadier sofort rein, um sich der ungeliebten Regenreifen von Pirelli zu entledigen. Mit freier Fahrt auf dem Intermediate legten beide sofort schnelle Rundenzeiten hin. Als die Mittelfeldkonkurrenz zwei Runden später auch an die Box kam, fuhren sie hinter den beiden wieder raus. Am Ende stand mit Rang sechs für Vettel und Rang neun für Latifi das jeweils beste Saisonresultat zu Buche.

Vettel machte ihn Suzuka alles richtig, genauso wie Latifi, Foto: LAT Images
Vettel machte ihn Suzuka alles richtig, genauso wie Latifi, Foto: LAT Images

Flop: Russell zu ungeduldig in Singapur

Auf auftrocknender Piste in Singapur wollte Mercedes-Pilot George Russell nach einem Start aus der Boxengasse ein Virtual-Safety-Car in Runde 22 nutzen, um beim Wechsel auf Slicks ein paar Sekunden zu sparen. Seine Wahl traf Russell eindeutig zu früh. Runde für Runde verlor er auf der zu rutschigen Fahrbahn selbst auf den Vorletzten Alex Albon Zeit, bis der Williams-Pilot verunfallte und ein erneutes VSC verursachte. Russells Reifen kühlten während der Langsamfahrt aus und er verlor im Folgenden sogar noch stärker. Er selbst erkannte seine Lage am Boxenfunk: "Die anderen werden irgendwann reinkommen, aber ich bin hier grade 5 Sekunden zu langsam." Als Russell endlich auf Tempo kam, hatte er aber bereits mehr als 50 Sekunden Rückstand auf das Ende des Feldes aufgerissen. Seine Konkurrenten konnten also locker auf Slicks wechseln und vor ihm bleiben. Russell verblieb Letzter und beendete das Rennen nach zwei weiteren Stopps mit zwei Runden Rückstand auf Sieger Sergio Perez.

Auf diesen Reifen hätte Russell in Singapur lieber länger bleiben sollen, Foto: LAT Images
Auf diesen Reifen hätte Russell in Singapur lieber länger bleiben sollen, Foto: LAT Images

Top: Ricciardos Alternativstrategie in Mexiko sitzt

Daniel Ricciardo sorgte 2022 kaum für positive Schlagzeilen, schon gar nicht sportlich. Nun ja, bis auf dieses eine Mal, als die Klasse des Australiers doch noch einmal aufblitze. Der Grand Prix in Mexiko sah zunächst nach einem üblichen Ricciardo-Wochenende des Jahres 2022 aus: Im Qualifying war der er hinter Teamkollege Lando Norris und im Rennen außerhalb der Punkteränge. Dies sollte sich aber ändern, denn McLaren gelang ein großartiger Strategiecoup. Ricciardo blieb lang auf den Medium-Reifen draußen, bis zur Runde 44, um genau zu sein. Dann wechselte er auf Soft und setzte zu einem sensationellen Schlussspurt an. Während die anderen Piloten auf härteren Mischungen Probleme hatten, ging der McLaren auf einmal wie die Feuerwehr. Zuerst kollidierte Riccardo aber mit Yuki Tsunoda und handelte sich eine 10 Sekunden Strafe ein. Aber auch das machte ihm nichts aus. Mit Rundenzeiten, die teilweise um mehrere Sekunden schneller waren als die Mittelfeldkonkurrenz, holte er sogar noch die benötigten 10 Sekunden heraus, um den zuvor siebtplatzierten Alpine von Esteban Ocon hinter sich zu lassen. Es war noch einmal eine Erinnerung daran, was der 'Honigdachs' eigentlich kann.

Flop: Aston Martin versaut Vettels Abschiedsrennen

Eigentlich war alles angerichtet für einen wunderbaren sportlichen Abschied für Sebastian Vettel. Der Heppenheimer hatte im Qualifying von Abu Dhabi noch einmal seine Klasse gezeigt und sein Auto auf einen, für Aston-Martin-Verhältnisse, hervorragenden neunten Startplatz gestellt. Und auch im Rennen schien zunächst alles glatt zu gehen, denn Vettel fuhr Munter um die Punkte mit und duellierte sich mit den Alpines um den achten Rang. Doch Aston Martin machte dem vierfachen Weltmeister einen Strich durch die Rechnung und zeigte sich strategisch wenig flexibel. Eine Einstopp-Strategie sollte es unbedingt sein bei Vettel, doch die Reifendaten des Abu Dhabi Grand Prix gaben sehr schnell her, dass hier mindestens zwei Stopps von Nöten waren. Vettel und Aston Martin zogen den Plan trotzdem durch und verloren, auch weil das Alfa-Romeo-Team alles daran setzte die Astons zu stören. Dass Vettel am Ende doch noch einen Punkt erkämpfte, zeigte wie stark er unterwegs war. Beim Deutschen herrschte dennoch Fassungslosigkeit: "Wie haben wir die Strategie so falsch eingeschätzt?" Es war doppelt bitter: Nicht nur das Abschiedsrennen von Vettel war kompromittiert, sondern der sechste Platz in der WM ging Aston Martin um einen Punkt durch die Lappen.

Sebastian Vettel wurde in Abu Dhabi viel zu lange draußen gelassen, Foto: LAT Images
Sebastian Vettel wurde in Abu Dhabi viel zu lange draußen gelassen, Foto: LAT Images

Top: Red Bulls richtiger Riecher in Monaco

In Sachen Monaco werden sicherlich viele sagen: Hier hat eher Ferrari den Sieg hergegeben. Dennoch schließen wir uns der Sichtweise von Red-Bull-Motorsportchef Dr. Helmut Marko an, der nach dem Rennen seine Strategieabteilung rund um Hannah Schmitz ausdrücklich lobte. Im Leitplankentunnel des Fürstentums kann bekanntlich nicht überholt werden, die richtige Strategie ist also der Schlüssel zum Sieg. Doch diesmal gab es eine zusätzliche Komponente: Eine nasse, aber immer weiter abtrocknende, Strecke. In Runde 17 holte Red Bull Sergio Perez herein, um von Regenreifen auf Intermediate zu wechseln. Ferrari reagierte zunächst zu spät und ging dann zu früh auf Trockenreifen. Red Bull hingegen schätze die Lage stets korrekt ein. So machten sie aus den Startplätzen 3 und 4 für Perez und Verstappen die Ränge 1 und 3 im Ziel. Verstappen kam dabei sogar trotz eines sehr langsamen ersten Stopps auf das Podest nach vorne.

Red Bull stoch Ferrari in Monaco aus, Foto: LAT Images
Red Bull stoch Ferrari in Monaco aus, Foto: LAT Images

Flop: Schumachers Warten auf das Suzuka-Safety-Car, das nie kam

Wie zuvor erwähnt: Im Regen können manche goldrichtig liegen und wiederum andere Baden gehen. Während Vettel und Latifi in Japan glänzten, war die Strategie bei Haas-Pilot Mick Schumacher ein Schuss in den Ofen. Der Deutsche blieb viel zu lange auf den langsamen Regenreifen draußen. Der Grund: Sein Team hoffte auf ein Safety-Car, um so den Zeitverlust beim Boxenstopp zu minimieren. Prinzipiell eine logische Überlegung, hatte doch zuvor der Unfall von Carlos Sainz im Ferrari die Schwierigkeit der Bedingungen aufgezeigt. Doch es passierte kein einziger Zwischenfall, Bernd Mayländer blieb in der Box. Währenddessen verlor aber Schumacher gegen die Piloten auf Intermediates massiv an Zeit. Dass er für ein paar Meter sogar in Führung lag, ehe Max Verstappen an ihm vorbeiflog, war nur für die Galerie. Schumacher, der 2022 im Regen meist gute Pace an den Tag legte, blieb einmal mehr ohne Punkte.

Schlussbemerkung

Viele werden sich nun denken, dass Ferrari bei den Flops dieser Liste noch deutlich häufiger hätte auftauchen können und das stimmt, man denke bspw. an Ungarn. Die Scuderia befand sich jedoch auch stark unter Druck im WM-Kampf gegen Red Bull. Schlechte Strategien fielen der Öffentlichkeit bei den Roten dadurch wesentlich mehr auf als etwa bei einem Fehlschlag eines Mittelfeldteams. Andersherum stechen allerdings unerwartete Erfolge, wie die von Albon und Australien oder Ricciardo in Mexiko, sofort positiv ins Auge. An schlechte Strategien von Williams wird sich hingegen kaum jemand erinnern, denn sie machten den Unterschied zwischen Platz 14 und 16 und eben nicht wie bei Ferrari zwischen Sieg oder Platz 4.