Ein Jahr nach dem verlorenen WM-Finale kehrt Mercedes zurück nach Abu Dhabi. George Russells Debüt-Sieg sorgt für hohe Erwartungen beim letzten Rennen. Im 1. Freien Training noch das schnellste Team, mussten die Silberpfeile im Qualifying der Realität ins Auge blicken: Nur dritte Kraft hinter Red Bull und Ferrari, fast sieben Zehntel langsamer als Polesetter Max Verstappen. Trotzdem wirft in der Mercedes-Garage niemand das Handtuch (oder die Kopfhörer), im Rennen ist noch alles möglich.

Mercedes: Zurück in der Realität angekommen

"Das Ergebnis ist eine faire Abbildung davon, wie gut unser Auto wirklich ist", meinte George Russell nach dem Qualifying. 0,687 Sekunden hinter der Pole-Zeit von Max Verstappen, nur P6 für den frischgebackenen Rennsieger. Und drei Tausendstel hinter Lewis Hamilton: "Es war sehr knapp zwischen uns, das nervt natürlich immer. Wenn du so knapp verlierst."

Nach zwei guten Rennen in Mexiko und Brasilien schien der W13 wieder auf dem Boden der Tatsachen angekommen. "Unsere Pace war etwas langsamer als wir erwartet und erhofft hatten", erzählte Russell. "Trotzdem sind wir für morgen in einer guten Ausgangslage. Wir können um ein Podium kämpfen." Auch strategietechnisch hätte Mercedes Optionen im Rennen.

Mercedes abgeschlagen hinter Red Bull und Ferrari?

"Wir sind einfach nicht effizient genug", erklärte der Brite. "Immer wenn wir an eine Strecke mit unterschiedlichen Kurventypen und langen Geraden kommen, wird es sehr schwierig für uns. Das war schon in Spa so." Besonders auf den Geraden in Abu Dhabi verliere Mercedes viel Zeit auf Red Bull.

Red Bull und Max Verstappen scheinen dieses Wochenende eine Nummer zu groß für Mercedes. Aber auch von Ferrari wurde das Team aus Brackley im Qualifying überholt. "Vielleicht haben sie sich mehr verbessert als wir", spekulierte George Russell. Am Freitag sei das noch nicht so gewesen.

Mercedes: Voller Fokus auf das Rennen, Foto: LAT Images
Mercedes: Voller Fokus auf das Rennen, Foto: LAT Images

"Wir wissen, dass wir uns am Sonntag im Vergleich zu anderen Teams noch steigern können", meint Russell. Und: Bei den Longruns am Freitag lag Mercedes zwar hinter Red Bull, aber vor Ferrari. "Ungewöhnlicherweise war der Reifenverschließ höher als bei unseren Konkurrenten", bemerkte Chefingenieur Andrew Shovlin jedoch.

Hamilton mit unangenehmen Deja-Vu-Erlebnissen

"Dass es hier schwierig werden würde, wussten wir. Ich hatte aber nicht so einen großen Abstand erwartet. Wir verlieren sechs Zehntel auf der Geraden!", beklagte sich Lewis Hamilton. "Das erinnert mich an die Rennen vor Austin." Mit den schnellen Kurven kehrte auch das Porpoising zurück. "Ja, das war nicht unbedingt angenehm", beschreibt George Russell seinen hüpfenden W13.

Hamilton und Mercedes zurück am Schicksalsort, Foto: LAT Images
Hamilton und Mercedes zurück am Schicksalsort, Foto: LAT Images

Nicht nur kein Wohlfühlerlebnis, sondern auch performance-technisch schlecht: "Das war ein Mitgrund, warum wir weiter hinter Red Bull zurückliegen als in den letzten zwei Rennen", meint Russell. Zusätzlich traten Probleme mit den Bremsen auf.

Abu Dhabi, der Mercedes-Schicksalskurs

"Abu Dhabi, unser 'Table of Doom' ist einer unserer schwierigeren Kurse", weiß Toto Wolff. "Nicht katastrophal, wie auf Hochgeschwindigkeitsstrecken, aber auf jeden Fall nicht ideal." Der Yas Marina Circuit hat seine Unebenheiten, der W13 schlug auf den 5,281 Kilometern teilweise hart am Boden auf. "Wir mussten bei der Anstellhöhe einen Kompromiss schließen, um das zu beheben", verriet Toto Wolff.

Der hohe Luftwiderstand macht dem Mercedes-Boliden (oder dem 'Scheunentor', wie ihn Wolff taufte) zu schaffen. "Das kann auch nicht einfach durch einen kleineren Heckflügel gelöst werden. Dem Auto fehlt aerodynamische Effizienz", so der Mercedes-Teamchef. Zumindest die Korrelation zwischen Simulation und Realität stimme wieder, das sei das einzig Positive bisher. "Wir wussten aber immer, dass wir unsere Erwartungen nicht an Brasilien knüpfen dürfen. Dort ist alles perfekt gelaufen."

In Brasilien noch das schnellste Auto in Qualifying und Rennen, stürzte Mercedes in Abu Dhabi regelrecht ab, Foto: LAT Images
In Brasilien noch das schnellste Auto in Qualifying und Rennen, stürzte Mercedes in Abu Dhabi regelrecht ab, Foto: LAT Images

Toto Wolffs Geheimplan: Topspeed vs. Reifen

"Heute lief es gar nicht gut für uns, wir haben keinen guten Job gemacht und bei der Performance einen Schritt zurück gemacht", gibt sich Toto Wolff kritisch. Eine Setup-Änderung für mehr Abrieb ließ Mercedes auf der Geraden verhungern. "Wir hoffen, dass wir zumindest ein gutes Rennauto haben, das mit den Reifen behutsam umgeht."

Mercedes hatte bewusst etwas Topspeed geopfert, um mit den Reifen im Rennen besser aufgestellt zu sein. So zumindest Teil eins des Plans. "Obwohl du hier nicht wirklich überholen kannst. Oder verteidigen. Im dritten Sektor müssen wir dann einfach schnell das Weite suchen", verrät Toto Wolff noch Teil zwei des Mercedes-Plans. Teil drei ist das Wetter: Bei höheren Temperaturen funktioniert der W13 besser. So spielt auch der frühe Rennstart Mercedes in die Karten.