Die Bilder von Lewis Hamilton, der sich nach dem Rennen in Baku nur unter Schmerzen aus seinem Formel-1-Boliden hieven konnte, gingen um die Welt. Weil sein Mercedes immer wieder stark auf dem Baku City Circuit aufgesessen hatte, klagte Hamilton schon während des Rennens über Rückenschmerzen.
Weil Hamilton nicht der einzige Pilot war, dem die 2022er Generation der Formel-1-Autos körperlich zusetzte, wurde zuletzt heftig darüber diskutiert, ob Maßnahmen eingeleitet werden müssen, um die Fahrer zu schützen.
Am Donnerstag vor dem Kanada GP meldete sich nun die FIA zu Wort. "Im Interesse der Sicherheit ist es notwendig, einzugreifen und von dem Teams die notwendigen Anpassungen zu fordern, dieses Phänomen zu reduzieren oder gar zu eliminieren", heißt es in einem Statement.
FIA überwacht Unterböden strenger
Aus diesem Grund hat der Automobilweltverband mit einer Technischen Direktive reagiert. Unter anderem wird in Zukunft das Design der Unterböden und der Schleifblöcke sowie deren Abnutzung genauer überwacht.
Außerdem wird ein Limit definiert, wie stark die Schläge maximal sein dürfen. Dabei wird auf die vertikale Beschleunigung des Autos Bezug genommen. Es handelt sich um G-Kräfte, die primär nicht beim Bremsen, Beschleunigen oder bei Kurvenfahrt auftreten, sondern durch springende Autos.
Die genaue Metrik hinter diesem Limit wird derzeit noch von der FIA in Zusammenarbeit mit den Teams ausgearbeitet. Die Daten kommen aus einem der beiden Beschleunigungssensoren, die das Reglement vorschreibt. Herangezogen wird der Sensor, der möglichst nah am Fahrzeugschwerpunkt liegen muss.
Eigentlich dienen diese Sensoren der Datenaufzeichnung bei Unfällen. Ab Montreal werden die Daten vom Unfalldaten-Aufzeichner direkt an das Einheitssteuergerät weitergegeben. In Phase 1 wird die sogenannte Aerodynamische Oszillations Metrik (AOM) nicht live angewandt.
Stattdessen werden drei aufeinanderfolgende Runden im 3. Training für die Messung herangezogen. Die Runden müssen im Rennspeed ohne Verkehr und DRS gefahren werden. Sandbagging bei diesen Runden wird nicht akzeptiert.
Wird der Test bestanden - die genauen Werte müssen erst noch definiert werden -, herrscht fast schon Parc-ferme. Bodenfreiheit, vertikale Steifigkeit und die aerodynamische Konfiguration dürfen dann nicht mehr verändert werden. Nur fünf Ausnahmen sind gestattet:
- Anhebung der Bodenfreiheit
- Änderungen aufgrund von Witterung
- Kühl-Anlassungen
- Reifendrücke
- Justieren des Front-Flügel-Flaps
Will ein Rennstall nach dem 3. Training auf eine zuvor gefahren Konfiguration zurückgehen, muss nachgewiesen werden, dass die AOM-Kriterien erfüllt werden. Erfüllt ein Team die Kriterien nicht, droht die Disqualifikation nach Artikel 1.3 des Technischen Reglements. Dann wird das Fahrzeug als 'gefährliche Konstruktion' angesehen.
Eine Ausnahme gibt es: Schafft es ein Team partout nicht, sein Auto so einzustellen, dass die AOM-Kriterien erfüllt werden, darf es unter einer Voraussetzung trotzdem noch fahren. Dann muss es das für die AOM am besten geeignete Setup fahren und die statische Bodenfreiheit an der Hinterachse um zehn Millimeter vergrößern. Gleichzeitig darf die Aufhängung nicht weicher oder härter eingestellt werden. Zum Ausgleich dürfen nur die Bodenfreiheit an der Vorderachse und der Frontflügel-Flap angepasst werden.
Ausschließlich für den Kanada GP erlaubt die FIA auch noch eine zusätzliche Strebe, um den Unterboden stärker zu befestigen. Diese Strebe muss vor der aktuell schon erlaubten Strebe angebracht werden. Außerdem darf der Unterboden stärker ausgeführt werden, selbst wenn die Radius- und Volumen-Regeln dabei geringfügig gebrochen werden.
Porpoising durch Ground-Effekt der 2022er Formel 1
Zusätzlich zu den kurzfristigen Maßnahmen wird die FIA auch noch ein Technisches Meeting mit den Teams einberufen, um mittelfristige Lösungen zu finden. Das Problem ist, dass das nicht alle Teams gleichermaßen betroffen sind. Mercedes leidet zum Beispiel besonders stark unter dem Aero-Phänomen namens Porpoising.
Mit zunehmender Geschwindigkeit steigt der Anpressdruck. Dadurch federn die Autos ein, die Bodenfreiheit wird geringer. Je geringer die Bodenfreiheit wird, desto stärker wird der Ground-Effekt, der Abtrieb nimmt weiter zu. Besonders schlimm ist das erst seit dieser Saison, weil die Autos nach dem neuen Reglement mehr Downforce über den Unterboden generieren.
An einem gewissen Punkt reißt die Strömung am Unterboden ab, der Abtrieb ist schlagartig weg. Das Phänomen beginnt von vorne. Das harte Aufschlagen mit der Bodenplatte auf dem Asphalt könnte man verhindern, indem man die Bodenfreiheit entsprechend groß wählt. Das kostet die Teams aber Performance.
Neue Regeln schlecht für Mercedes und Ferrari?
Die FIA tut sich schwer, eine minimale Bodenfreiheit vorzuschreiben, weil manche aerodynamischen Konzepte stärker darunter leiden würden und Teams Performance-technische Nachteile in Kaufen nehmen müssten, obwohl die Thematik des Porpoisings gar kein Problem bei ihnen darstellt.
Deshalb ist es schwierig, Maßnahmen zu treffen, welche die Piloten schützen, aber nicht in den sportlichen Wettbewerb eingreifen. Die FIA bezeichnet die Technische Direktive aus diesem Grund auch nur als kurzfristige Lösung.
Teams, die stärker vom Porpoising-Problem betroffen sind, müssen möglicherweise Maßnahmen ergreifen, die Performance kosten. Vor allem Mercedes und Ferrari müssen dem Phänomen womöglich gegensteuern.
Hartes Formel-1-Fahrwerk hilft nicht
Verstärkt wird die Problematik, weil die Autos seit der Saison 2022 deutlich härter abgestimmt sind. Einerseits muss die aerodynamische Plattform stabil bleiben, andererseits wurden die Seitenwände der Reifen durch den Umstieg von 13 auf 18 Zoll kleiner. Die Feder- und Dämpf-Eigenschaften der Pneus sind deshalb geringer.
Für die FIA hat das Thema nicht nur wegen der Rückenbeschwerden von Lewis Hamilton und anderer Piloten Priorität. Man fürchtet durch die starken Sprünge und teilweise auch Schmerzen einen Konzentrationsverlust. Den ganzen Trainings-Freitag der Formel 1 heute in Kanada gibt es hier im Live-Ticker.
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