Ferrari ist 2022 das erste Mal seit der Saison 2018 wieder im Kampf um die Formel-1-Krone. Der letzte Fahrertitel durch Kimi Räikkönen im Jahr 2007 liegt schon weit zurück. Auch der letzte Konstrukteurstitel gelang nur ein Jahr später in der Saison 2008. Seitdem hat die Scuderia vergeblich versucht, die Weltmeisterpokale zurück nach Maranello zu holen.

Auf Fahrerseite zog man seitens der Roten alle Register. Zunächst sollte es Fernando Alonso richten, doch der Spanier unterlag 2010 und 2012 knapp Sebastian Vettel im Red Bull. Der Heppenheimer selbst wurde dann als neuer Hoffnungsträger verpflichtet, um 2017 und 2018 an der Kombination aus Lewis Hamilton und Mercedes zu scheitern. In die riesigen Fußstapfen der Ära Michael Schumachers konnten selbst die beiden Ausnahmefahrer nicht treten.

2012 schrammte Fernando Alonso um 3 Punkte am Titel für Ferrari vorbei, Foto: Sutton
2012 schrammte Fernando Alonso um 3 Punkte am Titel für Ferrari vorbei, Foto: Sutton

Nun versucht Ferrari, ein Team um den eigenen Nachwuchsmann Charles Leclerc aufzubauen. Teamchef Mattia Binotto erläuterte diesen Weg in einem Interview mit der BBC. "Es geht darum, ein Team aufzubauen. Seit 2017 haben wir Schritt für Schritt das richtige Team aufgebaut. Mit dem richtigen Team kannst du dann deine Ziele erreichen", betont der Italiener den Aufbauprozess von Ferrari.

Basis schon 2017 vorhanden, aber Ferrari fehlte Erfahrung

Eine Grundvoraussetzung dafür, Ferrari wieder zu einem WM-Kandidaten zu machen, war laut dem damaligen Technikchef schon 2017 vorhanden. "Wir hatten bereits bewiesen, dass wir kreativ in der Interpretation neuer Regeln sein konnten. Das Auto, das wir damals produzierten, war ein Gutes in Sachen Basis, Konzept und Ideen. Es ist Fakt, dass in den Folgejahren andere Teams unsere Lösungen kopiert haben", sprach der heutige Teamchef den Regelumbruch von 2016 auf 2017 an.

Dennoch habe dem Team damals einiges zum Gewinn der Weltmeisterschaft gefehlt. "2017 hatten wir Zuverlässigkeitsprobleme. Unsere Fahrer sind ineinander gekracht. Außerdem waren die Kultur und die Mentalität des Teams nicht stark genug. Zu alledem kam hinzu, dass wir nicht die richtigen Werkzeuge hatten, denn wir brachten Updates, die dann nicht so funktionierten wie erwartet", arbeitete Binotto eine Liste an Problemen Ferraris ab. Besonders das Problem der Updates zog sich auch durch die nächsten Jahre: "Was wir 2017,2018 und 2019 nicht konnten, war unser Auto weiterzuentwickeln."

2018 führte Sebastian Vettel die Weltmeisterschaft nach seinem Sieg in Silverstone an. Danach übernahm Lewis Hamilton das Kommando, Foto: Sutton
2018 führte Sebastian Vettel die Weltmeisterschaft nach seinem Sieg in Silverstone an. Danach übernahm Lewis Hamilton das Kommando, Foto: Sutton

Tatsächlich startete Ferrari die Saisons 2017 und 2018 sehr gut und war während der ersten Saisonhälfte mit Sebastian Vettel in der Fahrerwertung in Führung. Im Verlauf der Saisons wurde das Team dann aber von Lewis Hamilton und Mercedes überholt. Im Vergleich zum dominierenden Team aus Brackley zog Binotto sein Fazit: "Wir hatten viel Potential, aber waren in Sachen Erfahrung und Werkzeuge im Rückstand."

Motoren-Rückschlag von 2020 als Tiefpunkt

Eine Methode, diesen Rückstand aufzuholen, flog Ferrari jedoch um die Ohren. 2019 hatte man in Maranello vermutlich ein Schlupfloch im Motorenreglement im Bereich der Benzindurchflussmenge gefunden, welches für 2020 wieder geschlossen wurde. Binotto erinnert sich nur ungern: "Das ist Vergangenheit. Ich will darüber nicht mehr sprechen. Was wir damals taten, ging an die Grenze der Regelinterpretation. Faktisch war es nicht illegal, sonst wären wir disqualifiziert worden."

Die Folgen der Motorensaga trafen Ferrari hart. "Das 2020er Auto wurde mit dem Wissen designt, einen Vorteil beim Motor zu haben. Also haben wir nach möglichst viel Abtrieb gesucht und den hohen Luftwiderstand akzeptiert", schilderte der Italiener. Der hohe Luftwiderstand konnte nicht mehr durch den Motorentrick kompensiert werden und Ferrari erlebte mit Platz 6 in der Konstrukteurs-WM die schlechteste Saison seit 1980.

Der Ferrari von 2020 litt unter der Kombination aus zu viel Luftwiderstand und wenig Motorleistung. Charles Leclerc zauberte immerhin 98 WM-Punkte aus dem SF1000, Foto: LAT Images
Der Ferrari von 2020 litt unter der Kombination aus zu viel Luftwiderstand und wenig Motorleistung. Charles Leclerc zauberte immerhin 98 WM-Punkte aus dem SF1000, Foto: LAT Images

Die Scuderia organisiert sich neu

Dennoch habe sich das Team in dieser schweren Zeit weiterentwickelt. "Damals war Louis Camilleri unser Geschäftsführer und er verstand, dass Stabilität für unser Team am allerwichtigsten war. Er verstand, dass wir uns bereits in einem Aufbauprozess befanden", betonte Binotto den Vertrauensvorschuss durch die Führungsetage.

Auch seine eigene Rolle musste Binotto in dieser Zeit aussortieren. 2019 hatte er den Posten des Teamchefs übernommen und blieb zunächst weiterhin Technischer Direktor. "Du kannst nicht beides gleichzeitig machen. Erst als wir uns so organisiert hatten, dass ich nicht mehr Technischer Direktor war, ging es voran. Wir hatten klare Verantwortlichkeiten", gab der Teamchef seine Überforderung zu.

"Das Team besteht aus den Menschen, einer Arbeitskultur, Werkzeugen und Methodiken. Das Auto ist einfach das Produkt des Teams. 2017 waren wir mit einer guten Basis gestartet, aber nicht mit den richtigen Erfahrungen, Werkzeugen und Fähigkeiten. Seitdem haben wir Schritt für Schritt, auch durch 2019 und 2020 hindurch, dahin gearbeitet, wo wir heute stehen", fasste Binotto zusammen.

Teile dieses Prozesses waren laut des Teamchefs eine Arbeitskultur ohne Schuldzuweisungen, die Rekrutierung von Mitarbeitern anderer Teams sowie die Arbeit der Motorenabteilung nach dem Rückschlag von 2020. Auch die corona-bedingte Verzögerung der neuen Regeln von 2021 auf 2022 war ein Faktor: "Das hat uns mehr Zeit gegeben uns Vorzubereiten. Es brachte auch weniger Ablenkung von unseren Prioritäten."

Charles Leclerc Speerspitze im Kampf um die Weltmeisterschaft

Für einen Baustein des Aufbauprozesses hatte Binotto dann noch besonderes Lob übrig: Charles Leclerc. "Als wir ihn 2019 in unser Auto gesetzt haben, hat er mit einer starken Saison sein Talent bewiesen. Die Art und Weise wir er attackierte, verteidigte und fuhr, hat aufgezeigt, wozu er fähig ist", schilderte Binotto einen ersten Eindruck des damaligen Nachwuchspiloten.

Mit seinem Sieg über Sebastian Vettel in der Saison 2019 begann Charles Leclerc seinen Weg zum neuen Leader von Ferrari, Foto: LAT Images
Mit seinem Sieg über Sebastian Vettel in der Saison 2019 begann Charles Leclerc seinen Weg zum neuen Leader von Ferrari, Foto: LAT Images

Auch aufgrund von Leclercs starkem Jahr 2019 traf Binotto die Entscheidung, den Vertrag von Sebastian Vettel nach der Saison 2020 nicht mehr zu verlängern und auf den Monegassen als neues Zugpferd zu setzten. "Wir vertrauten darauf, er würde ein Fahrer werden, der Weltmeisterschaften gewinnt und ein starker Anführer im Team ist", begründete der Ferrari-Boss seine damals durchaus umstrittene Personalpolitik.

2022 ist Ferrari mit dem F1-75 wieder an der Spitze der Königsklasse angekommen und kämpft mit Red Bull um den Titel. Binotto sieht das Team trotzdem nicht am Ende des Weges: "Intern gehen wir davon aus, uns immer noch verbessern zu müssen, um die Meisterschaft gewinnen zu können." Aus den Erfahrungen von 2017 und 2018 heraus fügt er hinzu: "Das heißt nicht, dass wir es nicht schaffen können. Vielleicht gelingt es uns schon dieses Jahr, aber wir wissen, es geht um mehr als nur Konkurrenzfähigkeit."