Drittes Rennen der Formel-1-Saison 2022, und auch in Australien zeichnet sich nach dem Qualifying erneut ein Duell zwischen dem aktuellen WM-Leader Charles Leclerc im Ferrari und dem amtierenden Weltmeister Max Verstappen im Red Bull ab.

Die ersten beiden Rennen waren zu epischen Showdowns mit zahlreichen Überholmanövern geworden, und beide Fahrer trugen je einen Sieg davon. Gibt es in Melbourne wirklich eine dritte Auflage? Motorsport-Magazin.com macht den Favoritencheck.

Ferrari auch in Australien mit wenig Topspeed

Das Hin und Her zwischen Leclerc und Verstappen in den DRS-Zonen war zuletzt das große Thema. Leclerc initiierte sowohl in Bahrain als auch in Saudi-Arabien Taktik-Spielchen, denn beide Male lag er in Führung, und wurde von Verstappen gejagt. Und beide Male gab es ein kritisches Element: einen topspeedschwachen Ferrari.

Seit dem Saisonstart fährt die Scuderia, die auf der Motorenseite mindestens mit Red Bull auf einem Level agiert, wenn nicht sogar stärker ist, mit sehr viel Abtrieb. Daher sind Leclerc und Teamkollege Carlos Sainz in den Kurven schnell, aber auf den Geraden langsam. Red Bull verfolgt den umgekehrten Ansatz.

Dieses Bild zeichnet sich auch in Australien wieder ab. Red Bull, mit effizient getrimmtem Auto und effizientem DRS, war in den Topspeed-Messungen im Qualifying einmal mehr ganz vorne zu finden, während Ferrari in der Highspeed-Passage vor Kurve neun im oberen, vor der ersten Kurve im unteren Mittelfeld rangiert.

Topspeeds Qualifying - Red Bull und Ferrari

FahrerKurve 1Kurve 9
Perez322,6307,8
Verstappen320,6306,7
Sainz314,1304,5
Leclerc313,9302,9

Bei ursprünglich vier angedachten DRS-Zonen äußerte das Ferrari-Lager am Freitag schon Sorgen: Wenn der Red Bull im Rennen mit DRS-Überschuss von hinten Druck macht, droht Gefahr. Die Rahmenbedingungen änderten sich aber am Samstag abrupt. Kurz vor dem dritten Training ließ die Rennleitung wissen, dass die vierte DRS-Zone entlang des Highspeed-Linksbogens vor Kurve neun aus Sicherheitsgründen gestrichen wurde.

Zweifel in Australien: Reichen drei DRS-Zonen?

Das könnte Verstappens Rennen schwieriger machen. Der Kurs in Melbourne ist dank einem Umbau zwar schneller, aber noch immer schmal. "Ohne die DRS-Zone hat sich der Kurs nicht groß verändert, da wird es schwierig werden zu überholen", prognostiziert Carlos Sainz, der nach einem verkorksten Qualifying nur von Platz neun starten wird. Die Red-Bull-Piloten beklagten nach dem Qualifying beide, dass die Entscheidung, das DRS dort zu streichen, in ihren Augen unnötig war.

Weniger DRS könnte einem das Rennen anführenden Leclerc entgegenkommen. Der Ferrari ist im kurvigen letzten Sektor dank viel Abtrieb stark, aber genau dort müsste Verstappen den Anschluss halten, um dann in den DRS-Zonen hin zu den Kurven eins und drei nahe genug zu kommen.

Im Gegenzug gibt es allerdings wie in Bahrain und Saudi-Arabien zwei aufeinanderfolgende DRS-Zonen - hier die Zielgerade und die Gerade hin zu Kurve drei - aber nur einen Messpunkt, nämlich vor der vorletzten Kurve. Leclercs Trick, Verstappen vorbeizulassen und so DRS für die nächste Zone abzugreifen, ist also nicht möglich.

Renn-Vorteil für Verstappen und Red Bull?

Und Verstappen fluchte zwar nach dem Qualifying ausgiebig über ein Auto, mit dem er nicht in einen guten Rhythmus kam, aber das muss für das Rennen nicht gelten. "Das Auto stabilisiert sich normalerweise, da ist es nicht so spitz, verglichen mit dem Grip-Finden im Qualifying", sagt er. "Also sollte es besser sein, und ich glaube, mein Longrun sah gestern ziemlich gut aus, was das Gefühl betrifft."

Und auch was die Zeiten betrifft, war Verstappen im Renn-Trimm am Freitag unter dem Strich der schnellste Fahrer im Feld. Mit einem Red Bull, der das schnellere Rennauto ist und auch noch mehr Topspeed hat, stünde Leclerc eine große Herausforderung ins Haus.

Außerdem hat Ferrari einen strategischen Nachteil. Nach einem problembehafteten Q3 startet Carlos Sainz nur von Platz neun. Leclerc ist vorne als Einzelkämpfer gegen zwei Red Bulls unterwegs. Die können Ferrari so strategisch unter Druck setzen, in einem Rennen, bei dem Pirelli höchstwahrscheinlich von nur einem Boxenstopp ausgeht.

Red Bull fährt mit weniger Flügel und mehr Topspeed, Foto: LAT Images
Red Bull fährt mit weniger Flügel und mehr Topspeed, Foto: LAT Images

Was Reifen angeht, wird ein Start auf Medium und ein einziger Wechsel auf Hard als Optimum angesehen. Zwischenfälle könnten aber auf einem Kurs wie Melbourne, der Fehler oft nicht verzeiht, Safety-Car-Stopps auslösen. Ferrari hat sich für das Rennen zu diesem Zweck zwei Sätze Medium und einen Satz Hard in der Hinterhand behalten, während Red Bull mit zwei Sätzen Hard und einem Satz Medium einen anderen Ansatz verfolgt. Der Medium scheint aber auf dem Papier der bessere Reifen, Melbourne nimmt die Reifen weniger hart ran.

Fazit: Für Prognosen bleibt es im dritten Rennen der Saison weiterhin zu eng. Die Stärken und Schwächen von Ferrari und Red Bull sind allerdings nun etabliert. Mit guter Rennpace könnte sich Verstappen in beste Position bringen - sofern die verbliebenen DRS-Zonen reichen, um sich Leclerc zurecht zu legen. Und dass der weiß, wie er Verstappens Attacken unterbinden kann, steht außer Frage.

Nicht beteiligt sein wird bei normalem Rennverlauf der Rest des Feldes. Eine Sekunde verliert das Mittelfeld, zu dem hier in Australien wohl auch Mercedes gehört. Hinten wird es aber auf jeden Fall eng werden. McLaren und Alpine sehen Lewis Hamilton und George Russell als Zielscheibe, und ein nach seinem Qualifying-Pech angesäuerter Carlos Sainz will mit einem viel schnelleren Ferrari durchs Feld stürmen.