Es war für die Formel 1 eine weitere lange Nacht gewesen, nachdem sich die Fahrer am Freitagabend infolge eines Raketenangriffs auf ein Öldepot in Jeddah, nur wenige Kilometer vom Austragungsort des Saudi-Arabien-GPs entfernt, stundenlang zusammengesetzt und besprochen hatten. Sorgen um die Sicherheit des Fahrerlagers standen im Raum, und bald machten Gerüchte von einem Boykott die Runde.

Letztendlich verlief sich alles im Nichts. Die Fahrer sprachen nach langer Überzeugungsarbeit den Veranstaltern, dem Formel-1-Management unter CEO Stefano Domenicali, und der FIA unter Präsident Mohammed Ben Sulayem ihr Vertrauen aus. Die beste Stimmung herrschte am Samstag in Saudi-Arabien unter ihnen aber nicht. Zumindest sie wollen die Zukunft von Rennen wie Saudi-Arabien weiter diskutieren. Domenicali und die Formel 1 stellen sich währenddessen hinter alle ihre Entscheidungen.

Formel-1-Fahrer fügen sich in Saudi-Arabien

Bei ihren ersten öffentlichen Auftritten am Samstag blieben die Fahrer auf der Linie des am Vormittag von der Fahrer-Gewerkschaft GPDA ausgegebenen Statements zur Fortführung des Rennens. Dass die Überlegung aufkam, nicht zu fahren, so viel steht zumindest fest. "Wir Fahrer, wir waren alle besorgt, ob es sicher ist, hier zu fahren, und wir haben brauchbare Erklärungen bekommen", sagt Valtteri Bottas.

Im Statement heißt es, eine "große Vielfalt an Meinungen wurde geteilt, debattiert, und nachdem wir uns nicht nur die Formel-1-Zuständingen, sondern auch die Regierungsminister angehört haben, die erklärt haben, wie die Sicherheitsmaßnahmen auf ein Höchstmaß verbessert wurden, war das Ergebnis eine Entscheidung, dass wir Training, Qualifying und Rennen fahren."

"Wir waren besorgt um unsere Sicherheit, aber auch um die Sicherheit unserer Mechaniker, Ingenieure, aller hier", sagt Sergio Perez. Letztendlich brauchte es Überzeugungsarbeit von Formel 1, FIA und örtlicher Behörden. Der Eindruck des Samstages: Man fährt weiter, weil die Sicherheit von den Verantwortlichen vor Ort noch einmal im Detail erklärt wurde. Aber auch, weil die Ausreise nicht über Nacht geschehen kann. Der F1-Zirkus umfasst hunderte Leute, Flüge sind gebucht, logistisch ist eine Blitz-Absage nicht machbar.

Ob die Fahrer nun wirklich fahren wollen - auf diese Frage will niemand einsteigen. Bottas wollte das nicht kommentieren, Lewis Hamilton wehrte die meisten Fragen ab, ließ sich dann aber auf Nachfrage nach seiner Gefühlslage zu einem kurzen Satz hinreißen: "Ich freue mich darauf, nach Hause zu kommen." Die Meinungen schienen schon am Freitag hinter verschlossenen Türen auseinanderzugehen.

Für die Fahrer ist das Thema noch nicht erledigt. "Natürlich werden wir Klarheit nach dem Rennwochenende brauchen", sagt George Russell, einer der Direktoren der Fahrer-Gewerkschaft. "Wie es von hier aus weitergeht." Bottas ergänzt: "Die Formel 1 hat uns zumindest versprochen, alle Events in Zukunft zu überdenken, einschließlich dieses, um sicherzustellen, dass wir an die richtigen Orte reisen, und dass sie unsere Sicherheit zu 100 Prozent garantieren können, wenn wir dorthin gehen."

Formel 1 will von Boykott-Gefahr nichts wissen

Die Formel 1 spielt die Fahrer-Boykott-Gerüchte herunter. "Das ist nicht das richtige Wort", widerspricht CEO Stefano Domenicali. "Wir sind hier nicht in zwei Kategorien, wir sind eine Formel-1-Familie. Die Fahrer haben ihre Sorgen geäußert, und es ging nur darum, die Dinge zu erklären, die in unseren Augen auf richtige Weise erklärt werden mussten."

"Was wir gestern getan haben, wurde korrekt getan", ist sich Domenicali sicher. "In so einer Situation musst du die Emotion vom rationalen Aspekt trennen." Den Fahrern wurde wohl von den örtlichen Zuständigen klar versichert: Nicht nur hat man umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen getroffen, sondern die jemenitischen Huthi-Rebellen, welche sich mit Saudi-Arabien in einem bewaffneten Konflikt befinden, greifen lediglich Infrastruktur-Ziele an. Eine Veranstaltung wie ein Grand Prix sei kaum ein Ziel.

Formel 1 sieht Saudi-Arabien als angemessenen Austragungsort

Über die Definition des "bewaffneten Konflikts" und seiner Gefahren kann man sich nun weiter streiten. Domenicali will nicht davon sprechen, dass sich Saudi-Arabien, welches seit 2015 eine Militärintervention gegen die Huthi-Rebellen im Jemen anführt, im Kriegszustand befinde: "Ist eine Terror-Attacke ein Krieg? Wir stehen mit allen Ländern, allen Botschaften in Verbindung. Wir würden nie die Sicherheit unserer Leute gefährden."

Der brennende Aramco-Öltank von Jeddah war an der Strecke klar zu sehen, Foto: LAT Images
Der brennende Aramco-Öltank von Jeddah war an der Strecke klar zu sehen, Foto: LAT Images

Mercedes-Teamchef Toto Wolff gab sich am Samstagabend betont entspannt: "Wir müssen verstehen, hier ist es kulturell sehr anders, als wie wir unsere westlichen Kulturen sehen. Ist es für uns akzeptabel, dass zehn Meilen von hier eine Drohne in einen Öltank einschlägt? Natürlich nicht. Aber hier passieren diese Dinge."

Wolff glaubt weiter an den Wert, den ein Rennen in Saudi-Arabien haben kann: "Ich komme lieber her und rücke die Region ins Scheinwerferlicht, damit sie zu einem besseren Ort wird." Das ist die gleiche Linie, die auch Domenicali einschlägt: "Wir sind nicht blind, aber dürfen nicht vergessen: Dieses Land macht massive Schritte vorwärts." In seinen Augen könne die Formel 1 bei der Modernisierung von Ländern eine wichtige Rolle spielen: "Das ist natürlich zentral bei unserer Agenda."

Auch die Frage, ob finanzielle Interessen den Entscheidungsprozess beeinflusst hätten, verneint Domenicali: "Ich denke nicht, dass das der richtige Gesichtspunkt ist." Doch Lewis Hamiltons "Cash ist King"-Kommentar von vor knapp zwei Jahren schwingt in solchen Situationen immer mit. Damals ging es darum, ob man ein Rennen bei einer drohenden Pandemie austragen solle. Es dauerte damals eine schlaflose Nacht, bis die Formel 1 diese Frage mit "Nein" beantworten konnte.