McLaren präsentierte am Freitagabend als zweites Team ein echtes Formel-1-Auto. Der MCL36 erblickte kurz vor dem Launchtermin das Licht der Welt. Obwohl der Shakedown erst kurz vor dem ersten Test in Barcelona geplant ist, baute die Mannschaft von Teamchef Andreas Seidl den neuen Renner pünktlich für die Präsentation schon komplett zusammen.

Auch abseits der neuen Farben 'Fluro Papaya' und 'New Blue' gab es Spannendes zu sehen. "Wie aggressiv das Auto ist, ist wie die Performance relativ. Wir sind aber definitiv Risiken eingegangen, wir haben uns das Leben nicht einfach gemacht, indem wir die einfachen Optionen gewählt haben in Bereichen, von denen wir dachten, dass Potential darin steckt", kündigte Techik-Chef James Key schon vor der Präsentation an.

Bei einer völlig neuen Generation von Autos ist die Entwicklungskurve steil. Möglicherweise würden sich mit konservativen Lösungen zunächst bessere Ergebnisse erzielen lassen, langfristig gesehen ist das Entwicklungspotential aber eingeschränkt. 2022 ist es deshalb nicht wichtig, wo man die Saison beginnt, sondern wo man sie beendet. "Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Reihenfolge beim Saisonstart in Bahrain eine andere sein wird als beim Finale in Abu Dhabi", glaubt Key.

Das erste Flügelprofil schwebt vor der Nase, das zweite wächst aus ihr heraus, Foto: McLaren
Das erste Flügelprofil schwebt vor der Nase, das zweite wächst aus ihr heraus, Foto: McLaren

An der Front gibt es noch keine großen Überraschungen. Wie am Haas und am Aston Martin schwebt das erste Flügelprofil vor der Nase. Das zweite Flügelprofil wächst allerdings nicht nur seitlich, sondern auch vorne aus der Nase. Die beiden oberen Elemente folgen der üblichen Formensprache, unterscheiden sich aber im Detail von den bisher gezeigten Exemplaren.

McLaren baut Fahrwerk komplett um

Frontflügel und Unterboden dürften bei der Weiterentwicklung 2022 ganz oben auf der Prioritätenliste stehen. Bei Launch-Fahrzeugen wurde hier früher gerne geschummelt. Diese Zeiten sind dank Budgetobergrenze vorbei. Der gezeigte MCL36 wird so auch bei den Testfahrten anrollen. Alle Details hat man freilich noch nicht gezeigt und das erste Update ist für den Saisonstart in Bahrain geplant.

Die Bremsbelüftungen am MCL36 sind deutlich kleiner als jene des Aston Martin, Foto: McLaren/Aston Martin
Die Bremsbelüftungen am MCL36 sind deutlich kleiner als jene des Aston Martin, Foto: McLaren/Aston Martin

Die Bremsbelüftungen am McLaren fallen deutlich kleiner aus als am Aston Martin. So war es eigentlich von der neuen Fahrzeuggeneration zu erwarten, weil es 'nur' noch die Bremsen zu kühlen gilt. Die Radkappen verhindern, dass Luft nach außen geblasen wird.

An der Vorderachse gibt es die erste Überraschung: McLaren setzt hier auf Pullrods, also Zugstreben. In den letzten Jahren fuhren alle Teams mit Druckstreben, auf Englisch Pushrods genannt. Freilich sind die Zugstreben keine Neuerfindung, aber zuletzt eben stark aus der Mode gekommen.

Die Pullrods ziehen beim Einfedern am Umlenkhebel, Foto: McLaren
Die Pullrods ziehen beim Einfedern am Umlenkhebel, Foto: McLaren

Die Regeln schreiben 2022 ein niedrigeres Chassis vor, dazu sind die Ingenieure nun am Radträger stark mit den Fahrwerkspunkten eingeschränkt. Erweiterungen am Radträger für die Aufnahme des Pushrods sind nicht mehr erlaubt.

Der Hauptgrund für den Wechsel von Push- und Pullrods dürfte aber wohl in der Aerodynamik liegen. Die Bargeboards hinter der Vorderachse sind 2022 verboten. Stattdessen befinden sich dort die Einlässe der Venturi-Kanäle. Dort wird ein Großteil des Abtriebs erzeugt. Von den Einlässen selbst ist aber noch wenig zu erkennen auf den Launch-Bildern. Hier will sich McLaren nicht in die Karten schauen lassen.

Die Seitenkästen wirken eher konservativ: Konventionelle Öffnung, kein starker Undercut, kein extremer Downwash, Foto: McLaren
Die Seitenkästen wirken eher konservativ: Konventionelle Öffnung, kein starker Undercut, kein extremer Downwash, Foto: McLaren

Die Seitenkästen wirken hingegen eher konservativ. Die Öffnungen sind konventioneller gestaltet als am Aston Martin. Interessanter ist aber, wie es dahinter weitergeht: Kein extremer Undercut wie am AMR22, kein extremer Downwash wie am Haas. Die Seitenkästen verjüngen sich nach innen und unten, nicht aber extrem. Hier wählt McLaren einen ganz anderen Ansatz als Aston Martin.

Die Unterschiede zum Aston Martin sind deutlich. Die Kiemen könnten am McLaren noch kommen, Foto: McLaren
Die Unterschiede zum Aston Martin sind deutlich. Die Kiemen könnten am McLaren noch kommen, Foto: McLaren

Dazu sind am MCL36 noch ein paar nette Details zu erkennen: So zum Beispiel kleine Leitbleche am Cockpitrand oder seitlich unter dem Halo an der Cockpitumrandung. Auch die Spiegel sind eigenwillig. Sie sind nur an der Innenseite mit dem Chassis verbunden.

Interessante Technik-Details am McLaren MCL36, Foto: McLaren
Interessante Technik-Details am McLaren MCL36, Foto: McLaren

An der Hinterachse gibt es die zweite große Risiko-Revolution. Seit 2010 setzten hier alle Teams auf eine Pullrodaufhängung. Auch hier dreht McLaren den Spieß um und setzt auf eine Pushrodaufhängung. Auf den Bildern ist das nicht gut zu erkennen, wurde aber durch das Team bestätigt.

An der Hinterachse setzt McLaren nun auf Pushrods, Foto: McLaren
An der Hinterachse setzt McLaren nun auf Pushrods, Foto: McLaren

Auch hier hat die Änderung wohl aerodynamische Gründe. Der Diffusor des Autos hat sich aufgrund der neuen Regeln massiv verändert. Die Platzverhältnisse am Unterboden sind durch die Kanäle ganz anders.

McLaren kauf Getriebe nicht von Mercedes

Im Gegensatz zu Aston Martin hat McLaren hier die Freiheit, auf Pushrods zu setzen. Denn Aston Martin kauft das Getriebe und die Hinterradaufhängung von Mercedes. McLaren bezieht zwar den Motor von Mercedes, baut Getriebe und damit auch die Hinterachse aber komplett selbst.

Der Heckflügel hängt auf einem zentralen Schwanenhals, Foto: McLaren
Der Heckflügel hängt auf einem zentralen Schwanenhals, Foto: McLaren

Vom Heck wollte McLaren bei der Präsentation noch nicht zu viel Preisgeben. Eine Heckansicht fehlt noch komplett. Was aber auf den Bildern schon zu erkennen ist: Der Heckflügel steht auf einer zentralen Strebe. Bei den 2022er Modellen und bei den beiden bisher gezeigten Autos gibt es zwei Streben.

Doppelter Beamwing auch am McLaren, Foto: McLaren
Doppelter Beamwing auch am McLaren, Foto: McLaren

Wie am Aston Martin gibt es auch am MCL36 einen doppelten Beamwing. Details lassen sich auf den Renderings aber noch nicht erkennen. Dafür wäre die Heckansicht nötig. Spätestens beim Test am 23. Februar in Barcelona fällt auch dieses Geheimnis. Auch die interessante Partie unter den Seitenkästen kann dann nicht mehr verheimlicht werden.