Ein regelrechtes Strafen-Gewitter brach beim Großen Preis von Österreich 2021 über die 20 Formel-1-Piloten herein. Gleich zehn Strafen gegen acht verschiedene Fahrer sprachen die Stewards allein im 71 Runden langen Rennen am Sonntag aus. Dabei verteilten die Kommissare zusätzlich satte 18 Strafpunkte. Rechnet man Sebastian Vettels Sanktion für das Behindern Fernando Alonsos im Qualifying hinzu, stehen unter dem Strich 19 Strafzähler - nur zwei weniger als bei allen vorherigen acht Grands Prix der F1-Saison 2021 zusammen.

Besonders hart - und potenziell mit Folgen - traf es Lando Norris und Sergio Perez. Während der Mexikaner für zweimaliges Abdrängen Charles Leclercs mit insgesamt vier Strafpunkten von allen Fahrern am heftigsten sanktioniert nach Hause ging, füllte sich Norris' Konto wegen zwei Punkten für das Abdrängen Perez' auf insgesamt zehn Zähler. Damit verfügt der McLaren-Fahrer aktuell über die meisten Strafpunkte aller Fahrer - direkt vor Perez mit deren acht.

Lando Norris & Sergio Perez droht Formel-1-Sperre

Das Problem in beiden Fällen: Hat in der Formel 1 ein Fahrer zwölf Punkte erreicht, wird er automatisch für den folgenden Grand Prix gesperrt. Dieser Marke sind nun sowohl Norris als auch Perez bedrohlich nahegekommen. Vorteil Norris: Grundsätzlich bleiben Strafpunkte auf der Superlizenz immer für genau ein Kalenderjahr gültig. Am 10. Juli, also noch vor dem nächsten Rennen in Silverstone, verjähren zwei Strafzähler des Briten aus der vergangenen Saison. Die hatte sich Norris im Training zum Steiermark-GP 2020 für Überholen unter gelben Flaggen eingehandelt.

Formel-1-Strafpunkte: Die aktuelle Sünderkartei

FahrerStrafpunktedavon Übertrag aus 2020
Norris102 vom 10.07., 3 vom 14.11.
Perez81 vom 16.08., 1 vom 11.09.
Russell63 vom 01.08., 3 vom 14.11.
Vettel6
Räikkönen61 vom 19.07., 1 vom 13.09., 2 vom 11.10.
Latifi6
Giovinazzi51 vom 02.08., 2 vom 06.09.
Mazepin5
Stroll43 vom 25.10.
Tsunoda4
Leclerc31 vom 11.07., 2 vom 06.12.
Bottas2
Hamilton22 vom 06.09.
Ricciardo11 vom 27.09.
Ocon11 vom 08.08.
Sainz11 vom 14.11.
Gasly1

Eine ganz akute Gefahr ist damit zumindest gebannt, dennoch bleibt Norris gefährdet. Die nächsten Punkte - drei für zu schnelles Fahren unter doppelt gelben Flaggen im Qualifying zum Türkei-GP 2020 - verfallen erst Mitte November. Die übrigen drei hatte sich der Drittplatzierte des Österreich-GP erst dieses Jahr in Baku eingehandelt. Dort war Norris im Qualifying unter roter Flagge nicht sofort an die Box gekommen.

Norris fordert: Strafpunkte nur für wirklich gefährliche Szenen

Eine Szene, die Norris nicht einmal für gefährlich hielt. Genauso wenig wie sein Rad-an-Rad-Duell mit Perez nun in Spielberg. Deshalb stellt der Brite nun die Strafpunktvergabe in der Formel 1 grundlegend in Frage. "Meiner Meinung nach sollte es solche Entscheidungen nur geben, wenn jemand etwas Gefährliches gemacht hat, jemanden gefährdet hat und etwas getan hat, dass er nicht hätte machen sollen", sagt Norris. Bei Rennzwischenfällen wie mit Perez oder dem Vorfall in Baku solle man allerdings gesunden Menschenverstand walten lassen und nicht sofort neben der Strafe auch noch zum Strafpunkt greifen.

Norris: "Wie bei meiner Herangehensweise an den Vorfall in Baku, als ich bei der roten Flagge nicht an die Box bin, als ich sollte. Da habe ich niemanden gefährdet. Tatsächlich war sogar das Gegenteil der Fall. Ich habe alles sicher gemacht. Warum sollte ich dafür dann Strafpunkte verdienen? Warum sollte ich heute Strafpunkte dafür verdienen, dass jemand ins Kiesbett gefahren ist? Nichts von dem, was ich getan habe, ist gefährlich."

Max Verstappen: Strafpunkte nicht korrekt, System überdenken

Deshalb habe man in manchen Fällen vielleicht eine direkte Strafe wie eine Zeitstrafe verdient. "Etwa, weil du beim Racing etwas Schlechtes oder einen Fehler gemacht hast", sagt Norris. Das sei allerdings etwas anderes, als eine Gefahrensituation heraufzubeschwören. "Wenn du absichtlich unter einer gelben Flagge überholst oder etwas anderes machst, was eine klare Regel ist und was andere Leute gefährdet, dann verstehe ich Strafpunkte für einen Fahrer und dass das eine Rennsperre geben kann, wenn es sich summiert", sagt Norris. "Aber für Kleinigkeiten wie diese ist das meiner Meinung nach dumm. So sollte die Formel 1 nicht sein. Ich hoffe, dass mich andere Leute mit dieser Meinung unterstützen."

Strafen-Chaos: Gibt es in der Formel 1 zu viele Strafen? (29:55 Min.)

Gesagt, getan. Rennsieger Max Verstappen - in seiner Karriere bereits selbst einst nicht weit von einer Rennsperre entfernt - springt Norris bei. Man müsse zwei Strafpunkte wie für Norris' Zwischenfall in Spielberg nur hochrechnen. Bei zwei Punkten brauche es nur sechs solcher Momente, um eine Sperre zu kassieren. "Und ich denke nicht, dass du eine Sperre dafür verdienst, was er heute gemacht hat. Das halte ich einfach nicht für korrekt", sagt Verstappen. "Ich habe bereits vor zwei Jahren gesagt, dass wir das anschauen sollten, aber warten wir mal ab."

McLaren-Teamchef Seidl: Norris vs. Perez auch keine Strafe!

Eine ähnliche Forderung kommt auch von der McLaren-Führung. Wie Norris selbst hielt Teamchef Andreas Seidl die Szene mit Perez schon nicht einmal für strafwürdig. "Noch dazu bekommt Lando für so etwas zwei Strafpunkte, was ihn näher an eine Rennsperre bringt, was ehrlich gesagt etwas ist, über das man nochmal nachdenken muss - ob das das richtige System ist", kritisiert Seidl. "Auch wenn du den Vorfall von Lando und Checo [Perez] mit dem von Checo und Charles [Leclerc] vergleichst, dann ist es ein ganz anderer Vorfall. Checo ist in Charles reingefahren und kam von weiter hinten. Ein ganz anderer Vorfall", meint der McLaren-Leiter.

Deshalb müsse man das gesamte Strafpunktsystem nun auf den Prüfstand stellen. Seidl: "Von meinem Standpunkt aus braucht es einen Review. Denn ich denke, dass wir uns alle einig sind, dass es nicht richtig sein kann für einen Vorfall wie heute in letzter Konsequenz eine Rennsperre bekommen zu können."

FIA erteilt Absage: Teams wollten es so

Wenig Hoffnung auf eine schnelle Anpassung macht Norris, McLaren und Verstappen die FIA. "Das ist nichts, was wie jemals innerhalb des Jahres ändern würden", sagt Rennleiter Michael Masi. Noch dazu hätten die Teams dem Beibehalt des derzeitigen Systems erst im Winter zugestimmt, so der Australier. "Der Strafpunktskala, welche die Stewards nutzen, haben alle Teams zugestimmt und haben zu Saisonbeginn sogar ihren Input geben", berichtet Masi.

"Es wurde Ende vergangenen Jahres besprochen. Und es ist lustig, denn es betrifft verschiedene Fahrer und Teams auf andere Weise und der Konsens, unter Einbezug aller - Teams, FIA und F1 -, war, dass es für dieses Jahr keine Änderung geben sollte." Für Masi sei die aktuelle Praxis nicht zu hart. "Es ist nichts anders wie bei allen, die in vielen Ländern auf den Straßen fahren. Die müssen auch unter einer maximalen Punktzahl bleiben. Sie müssen ihren Fahrstil und so weiter entsprechend anpassen. Sie [die Strafpunktregeln] sind nicht hart", sagt der Australier.