Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Strietzel! Was wünschst du dir zum 70.?
Hans-Joachim Stuck: Vor allem wünsche ich mir Gesundheit und dass unsere schöne Welt möglichst schnell wieder in so eine Ordnung kommt, wie sie einmal gewesen ist. Dass das Leben wieder normale Formen annimmt und wir so leben können wie wir es eigentlich gewohnt sind. Was wir jetzt haben, ist außer Kontrolle geraten und hat niemand verdient.
Heute wollen wir auf deine lange Karriere im Motorsport zurückblicken und beginnen mit deinem ersten Rennen 1969 bei den 300 Kilometern auf dem Nürburgring. Wie kam es dazu?
Hans-Joachim Stuck: Damals habe ich meinen Vater ("Bergkönig" Hans Stuck; d. Red.) bei Lehrgängen der Scuderia Hanseat auf dem Nürburgring begleitet. Ich bin immer mal wieder mitgefahren und dem damaligen BMW-Tuner Hans-Peter Kopechen fiel meine spektakuläre Fahrweise auf. Er fragte mich, ob ich das 300-Kilometer-Rennen auf einem seiner Autos bestreiten wolle. Mein Vater hat erst mal 'nein' gesagt, weil er genau wusste: Wenn er einmal 'ja' sagt, dann ist die Kacke am Dampfen! Ich konnte ihn aber überzeugen. Beim BMW 2002 TI haben wir dann im Fahrerlager die Stoßstangen abgebaut, die Sitze ausgebaut, Nummernschilder abgeschraubt und fertig war das Rennauto. Was ich nie vergessen werde: In dem Rennen bin ich Dritter oder Vierter geworden, musste aber immer wieder aussteigen, weil sich bei Sprunghügeln das Gasgestänge ausgehängt hat! Das war ein cooler Einstand.
Nur ein Jahr später, 1970, hast du ebenfalls auf einem Koepchen-BMW zum ersten Mal die 24 Stunden auf dem Nürburgring gewonnen. 1972 folgte dein erster Sieg beim 24-Stunden-Rennen in Spa-Francorchamps. Aus diesem Jahr datiert ein bis heute gültiger Rekord. Kennst du ihn?
Hans-Joachim Stuck: Nein, auf Anhieb wäre mir nichts bekannt.
Zusammen mit Teamkollege Jochen Mass hast du auf einem Ford Capri RS 2600 mit 4498,436 Kilometern einen bis heute bestehenden Distanzrekord aufgestellt.
Hans-Joachim Stuck: Ach, das ist ja cool! Klar, damals sind wir in Spa noch die alte Streckenvariante ohne Schikanen und alles gefahren.
Wie war das eigentlich, 24-Stunden-Rennen mit nur zwei Fahrern pro Auto zu bestreiten?
Hans-Joachim Stuck: Das war höchste Anspannung und du hattest immer dieses konstante Level an Adrenalin. Später bin ich 24h-Rennen zu dritt oder zu viert gefahren und je länger die Pausen zwischen den Stints waren, desto mehr bist du aus dem Rhythmus gekommen. Da waren eineinhalb Stunden Pause eigentlich kontraproduktiv. Das Fahren zu zweit war zwar anstrengender, mir persönlich aber lieber. Früher hatten wir ja keine Servolenkung, ABS oder sonstigen Schnickschnack, da warst du nach Rennende der Erschöpfung schon ziemlich nahe.
Dann war der Start bei einem 24-Stunden-Rennen damals wesentlich anspruchsvoller als heute?
Hans-Joachim Stuck: Das würde ich nicht sagen. Mit Blick auf das Material konntest du damals dem Auto nicht 95 Prozent abverlangen. Du musstest mehr auf Motor und Bremsen achten. Deshalb lag der eigentliche Fahreinsatz zwischen 70 und 80 Prozent. Heute können die Fahrer sich dank Technologien wie Klimaanlage mehr aufs Fahren konzentrieren und deshalb mehr als Limit gehen.
Wir machen einen kleinen Sprung ins Jahr 1974, zu deinem ersten Formel-1-Rennen in Argentinien auf einem March 741 Ford. Wie kam es dazu?
Hans-Joachim Stuck: Das war so eigentlich gar nicht geplant. Im November 1973 kam der Max Mosley zu meinem Vater und mir nach Grainau und sagte, dass Jean-Pierre Jarier das Team verlässt und ein Platz frei sei. Vor meinem ersten Formel-1-Rennen im folgenden Januar hatte ich keine Gelegenheit zum Testen und war noch nie in einem F1-Auto gesessen. Ich bin dann nach Argentinien geflogen, wir haben einen Sitz gemacht und ich bin einfach losgefahren. "Donnerwetter, das ist schon ein geiles Auto", dachte ich zuerst. Als dann in einer Doppelrechtskurve außen ein rotes Auto an mir vorbeirauschte, war ich aber erst mal bedient und wusste, dass ich etwas machen muss. Ich bin dann zu Carlos Reutemann gegangen, den ich nur vom Namen kannte, habe mich vorgestellt und gefragt, ob er mir die Strecke erklären könne. In seinem Privatauto sind wir dann zehnmal um die Strecke gefahren, das war sensationell! Sehr kameradschaftlich, das hat mir viel gebracht und im Rennen bin ich dann auch nicht ganz weit hinten gelandet.
1975 sollst du ein Angebot vom amtierenden Weltmeister-Team McLaren-Ford gehabt haben. Stimmt das?
Hans-Joachim Stuck: Ja, das ist richtig. Wir haben es allerdings nicht gemacht, weil Ende 1974 für BMW unter der Leitung von Jochen Neerpasch schon klar war, dass es mit dem ganzen Programm in die USA geht. Damit war auch klar, dass ich als Bayer und Tourenwagenfahrer mitgehe. Mit einer F1-Saison für McLaren hätte das zu einem Konflikt geführt. Im Nachhinein war das vielleicht schade. Andererseits hatte ich tolle Jahre mit BMW, das für mich immer ein sicherer Hafen war.
Nach drei Jahren bei March-Ford bist du 1977 für das Brabham-Team von Bernie Ecclestone an den Start gegangen. Wie kam es dazu?
Hans-Joachim Stuck: Im Frühjahr 1977 ist ja leider Carlos Pace mit einem Flugzeug abgestürzt. Bernie rief mich an, erzählte von dem tragischen Unfall und fragte, ob ich Interesse hätte, für sein Team zu fahren. Ich bin am nächsten Tag nach England zu Bernie geflogen und in seinem Büro haben wir auch über die Konditionen gesprochen. Ich sagte, dass ich im Jahr davor bei March 100.000 Dollar verdient habe und mir etwas in dieser Richtung vorstellte. Plötzlich klingelte Bernies Telefon, er nahm ab und sagte: "Ciao, Arturo, wie geht's dir?", und dann: "Ich rufe dich später an!" Bernie anschließend zu mir: "Das war der Merzario. Der würde auch gerne fahren, macht's aber für 30.000 Dollar." Ich habe kurz überlegt, 30.000 plus Punkteprämien, gutes Auto und John Watson als Teamkollegen - okay, Deal!
Das war aber nicht das Ende der Geschichte...
Hans-Joachim Stuck: Beim Monaco GP stand ich am Donnerstag auf der Pole und abends beim Essen nahm mich Bernie zur Seite. "Du erinnerst dich noch an unser Gespräch damals bei mir im Büro?", fragte er. Na klar! Und dann: "Wir wollen ja eine ehrliche und offene Beziehung aufbauen. Das war gar nicht der Arturo am Hörer, sondern meine Sekretärin im Vorzimmer." Das ist halt der Bernie, da war ich ihm auch nie böse drüber. Wir sind bis zum heutigen Tag sehr gut befreundet. Letztes Jahr wäre ich beinahe einem Gebrauchtwagenhändler in England aufgesessen. Da habe ich Bernie angerufen und er hat das innerhalb von Minuten geregelt. Wenn du ihn brauchst, ist er da.
Du bist zwischen 1974 und 1979 bei 74 Formel-1-Rennen für March, Brabham, Shadow und ATS an den Start gegangen und hast zwei Podestplätze erzielt. Wie hat sich die F1 heute im Vergleich zu deiner Zeit verändert?
Hans-Joachim Stuck: Die Formel 1 mit ihren Autos, Technologien und auch Strecken ist viel sicherer geworden und das finde ich sensationell. Nicht so gut finde ich, dass heute der Fahrer technisch nicht mehr so entscheidend ist für Sieg oder Niederlage. Wenn ich mir dagegen den Einsatz der Fahrer in der MotoGP anschaue, das ist geil! In der Formel 1 schaue ich mir den Start und Zieleinlauf an, der Rest ist langweilig. Da ist zu viel Technik. Der Fahrer müsste wieder mehr Einfluss bekommen, das wünsche ich mir.
1986 und 1987 hast du mit Porsche zweimal in Folge die 24 Stunden von Le Mans gewonnen. Ist der Porsche 962C das Lieblingsauto deiner Karriere?
Hans-Joachim Stuck: Ja, ganz klar. Die Kombination aus Leistung, aerodynamischem Abtrieb, Reifenbreite, Aussehen, den Erfolgen und dass ich in die Entwicklung eingebunden war - der Porsche 962 war mein Lieblingsauto, gar keine Frage.
Du hast als einziger Fahrer weltweit die drei berühmten 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring, in Spa und Le Mans gewonnen. Nur beim 24h-Rennen von Daytona hat es nie geklappt...
Hans-Joachim Stuck: In Daytona kam immer irgendein Mist dazwischen! Da hätte ich auch noch gerne gewonnen, aber...
Ja, bitte?
Hans-Joachim Stuck: Anfang 1986 bin ich beim Rennen in Daytona nachts ausgefallen. Der Vorteil dabei war, dass ich in dieser Nacht den Johannes gezeugt habe. Also war das auch ein Sieg!
Wir springen ins Jahr 1990, als du Audi zur ersten Meisterschaft in der DTM geführt hast. Welche Erinnerungen hast du daran?
Hans-Joachim Stuck: Für mich ein ganz tolles Jahr mit vielen Emotionen und dem DTM-Titel, da bekomme ich heute noch Gänsehaut. Trotz aller Zusatzgewichte und anderen Geschichten hat Audi immer wieder nachgelegt. Auch der Allradantrieb hatte einen großen Anteil, was das Reifenschonen anging. Es ist unbeschreiblich, was bei der Entwicklung geleistet wurde. Und dazu gehört noch die Geschichte vom Finale in Hockenheim, als zwei Runden vor Schluss in der zweiten Schikane ein Fahrer geradeaus gefahren ist und Dreck auf die Strecke geworfen hat. Ich musste drüber fahren und hatte bis zum Zieleinlauf ein komisches Geräusch unter dem Auto. Wenige Tage später kam raus, dass sich dabei ein Stein zwischen Kardanwelle und Kardantunnel eingeklemmt hatte. Audi sport-Werkstattleiter Franz Braun sagte, dass bei einer weiteren Runde die Kardanwelle, die ja aus Karbon war, gebrochen wäre. Wahnsinn, an welch seidenem Faden der Sieg und der Titel gehangen haben!
Nach 1970 hast du 1998 und 2004 zwei weitere Male die 24 Stunden auf dem Nürburgring gewonnen und bist mit drei Gesamtsiegen der erfolgreichste BMW-Fahrer. Dieses Kunststück ist dir sogar mit drei unterschiedlichen Teams gelungen: Koepchen, BMW Motorsport unter der Leitung von Günther Warthofer sowie mit Schnitzer Motorsport. Was sagst du zur kürzlichen Trennung von BMW und Schnitzer?
Hans-Joachim Stuck: Darüber bin ich sehr traurig, nicht zuletzt, weil Tradition für mich eine große Rolle spielt. Ich selbst war lange ein Teil des Schnitzer-Teams. Man muss die Entscheidung von BMW akzeptieren, die werden ihre Gründe haben. Nachvollziehbar ist das für mich nicht.
Du bist 20 Mal beim 24h-Rennen Nürburgring angetreten, zuletzt 2011 auf einem GT3-Lamborghini zusammen mit deinen Söhnen Johannes und Ferdinand sowie Dennis Rostek. Beschreibe bitte deine Emotionen.
Hans-Joachim Stuck: Die Inspiration dazu lieferte die Andretti-Familie, die zu dritt in Le Mans gefahren ist. Wir wollten das Rennen beenden und waren mit Platz 15 zufrieden. Die letzten beiden Runden mit all den jubelnden Zuschauern werde ich nie vergessen. Nach Rennende lagen wir uns in den Armen und es sind auch ein paar Tränen geflossen. Das war schon brutal emotional und der Rückblick auf eine tolle Karriere - die ich auch überlebt habe. Da muss ich mich auch bei meinen Schutzengeln bedanken, hier heute mit 70 Jahren zu sitzen und fit zu sein. Ich habe eine tolle Frau, zwei tolle Buben und zwei Hunde, was will ich mehr?
Von 2012 bis Anfang 2020 warst du Präsident des Deutschen Motor Sport Bund DMSB. Warum hast du dieses Amt angenommen und wieso endete es vorzeitig?
Hans-Joachim Stuck: Es war eine Gelegenheit, meinem Sport etwas zurückzugeben. Das hat auch gut funktioniert, denken wir nur an den Nürburgring. Nach dem Unfall (2015 mit einem Todesfall bei einem VLN-Rennen; d. Red.) hätte es mit Sicherheit keine Rennen gegeben, wenn wir nicht diese Maßnahmen (Umfangreiches Sicherheitspaket inklusive Tempolimit; d. Red.) ergriffen hätten. Auch, wenn ich dafür sogar Morddrohungen im Briefkasten hatte... Schlussendlich sind wir aber weiter Rennen gefahren und es hat alles weiter gut funktioniert. Im Januar 2020 gab es intern beim DMSB aber Vorfälle, die mich dazu veranlasst haben, das Amt aus persönlichen Gründen niederzulegen. Bei der FIA bin ich weiterhin als Steward in der Formel E tätig und auch künftig wieder im Einsatz. Ich bin froh über meinen Kontakt zu Jean Todt und gespannt, wer der nächste FIA-Präsident wird. So viele Gute wie den Jean Todt gibt es nämlich nicht, die diese Erfahrung mitbringen. Der Motorsport wird einen großen Verlust erleiden, wenn er aufhört.
Was wünschst du dir für die Zukunft des Motorsports speziell in und für Deutschland?
Hans-Joachim Stuck: Ich wünsche mir einen guten Basis-Motorsport mit guten Aufstiegsmöglichkeiten vom Kart- in den Formelsport. Außerdem wünsche ich mir von Herzen einen guten Tourenwagen/GT-Sport. Mit den GTs haben wir jetzt ein perfektes Werkzeug in der Hand, um den Menschen spektakulären Motorsport zu bieten, wenn das Thema richtig gehandhabt wird. Und aus deutscher Sicht, Fahrer in allen wichtigen Klassen bis hin zur Formel 1 zu haben, um weiterhin führend mit dabei zu sein.
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