Als Racing Point am Morgen des ersten Testtags in Barcelona zum ersten Mal aus der Garage fuhr, staunten die meisten nicht schlecht. Racing Point hatte zwar bereits die neue Lackierung des RP20 präsentiert, das Auto aber noch nicht. Nicht einmal Renderings oder Teaserbilder gab es.

Teamchef Otmar Szafnauer hatte große Änderungen angekündigt, doch dass die so radikal ausfallen würden, damit hatte wohl niemand gerechnet. Aber nicht nur ob der zahlreichen Neuerungen staunten die Betrachter nicht schlecht, vor allem die Ähnlichkeit zum letztjährigen Mercedes sticht sofort ins Auge.

Racing Point bestreitet nicht, bei Mercedes kopiert zu haben, Foto: LAT Images
Racing Point bestreitet nicht, bei Mercedes kopiert zu haben, Foto: LAT Images

Zufall? Nein. "Wir haben uns vom schnellsten Auto des gesamten Formel-1-Feldes inspirieren lassen", gesteht Racing Points Technik-Chef Andrew Green im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com und fügt an: "Alle Teams bezahlen Fotografen dafür, Fotos von der Konkurrenz zu machen."

Racing Point nutzt Mercedes-Windkanal

War es nicht Racing Point, das am lautesten über das Haas-Modell schimpfte, die sich ihr Auto, sofern vom Reglement erlaubt, bei Ferrari kaufen? Racing Point zog unlängst vom Toyota-Windkanal in Köln in den Mercedes-Windkanal nach Brackley um. Motoren und Getriebe bezieht der Rennstall schon seit Jahren vom Weltmeisterteam, dazu auch radseitige Aufhängungsteile.

"Aber wir machen es nicht wie Haas", verteidigt sich Green. Während Haas alles von Ferrari bezieht, was das Reglement erlaubt und auch das Chassis nicht selbst baut, bezieht Racing Point lediglich den Antriebsstrang und wenige Aufhängungskomponenten von Mercedes. "Der Rest wird komplett von Racing Point entwickelt."

Doch lässt sich die frappierende Ähnlichkeit zum letztjährigen Silberpfeil lediglich mit Inspiration und Fotos erklären? Wir sind die Auffälligsten Änderung des RP20 die neuen Ähnlichkeiten zum Mercedes mit Green durchgegangen.

Mercedes-Nase kein Trendsetter

Dass Racing Point bei der Frontflügelphilosophie nachzieht, sorgt noch für vergleichsweise wenig Verstimmung. Fast das gesamte Feld hat sich in Richtung der Ferrari-Philosophie entwickelt. Bei der Nase sieht es anders aus: Mercedes fährt seit Jahren mit der schmalen Nase. Nachahmer gab es nur wenige: Toro Rosso und Renault versuchten ihre Glück damit, wechselten aber zur breiten Lösung.

Im vergangenen Jahr hatte Racing Point noch eine breite Nase, Foto: LAT Images
Im vergangenen Jahr hatte Racing Point noch eine breite Nase, Foto: LAT Images

2020 wechselte Renault wieder zurück zur schmalen Version, doch das Design der Franzosen unterscheidet sich deutlich von der Weltmeister-Lösung. Bei Racing Point hingegen wirkt es so, als hätte man die Original-Formen aus Brackley benutzt.

Aber warum hat man in Silverstone urplötzlich die Mercedes-Lösung ausgegraben? "Weil wir festgestellt haben, dass es besser ist, wenn hinter dem Frontflügel nichts ist", erklärt Green. Es geht einmal mehr um die Y250-Wirbel. 250 Millimeter von der Fahrzeugmittelachse muss der Frontflügel einem vorgegebenen Profil folgen. Man spricht von der neutralen Zone. Genau diese neutrale Zone bereitet den Ingenieuren die größten Probleme.

Force India erfand einst die Nase mit Löchern, Foto: Sutton
Force India erfand einst die Nase mit Löchern, Foto: Sutton

Dabei war Racing Point Vorreiter bei der Loch-Nase. Die ursprüngliche Baywatch-Version leitete die Luft von der Nasenoberseite an die Unterseite. Inzwischen haben fast alle Teams komplexe Luftdurchführungen an ihren Nasen. Der Erfinder nicht mehr.

Schaufel-Flügel an der Nase und die extrem hohe Vorderradaufhängung liegen ebenfalls im allgemeinen Formel-1-Trend, um die Abströmung des Frontflügels zu begünstigen. Nirgends aber sind die Ähnlichkeiten zum Mercedes so frappierend.

Seitenkasten-Umbau spart massiv Gewicht

Hinter den Bargeboards folgt aber die größte Überraschung: Die Seitenkästen. Bis auf Mercedes hatten 2019 alle Teams die seitliche Crash-Struktur nach unten versetzt, um den Seitenkasteneinlass darüber anzuordnen. Racing Point rüstete als einziges Team zurück.

Der RP19 hatte noch eine tiefer liegende Crash-Struktur, Foto: Racing Point
Der RP19 hatte noch eine tiefer liegende Crash-Struktur, Foto: Racing Point

Dabei referierte Green noch selbst von den aerodynamischen Vorzügen jener Lösung. Die Seitenkästen sind somit deutlich höher und können besser unterschnitten werden. "Aber in Zusammenhang mit dem restlichen Auto, sind wir nun zu einem anderen Entschluss gekommen", erklärt der Technik-Chef die Rolle rückwärts.

"Beim Gewicht macht es einen massiven Unterschied", fügt er an. Die konventionelle Lösung mit der hohen Crash-Struktur ist deutlich leichter, weil das Monocoque nicht zusätzlich verstärkt werden muss.

Red-Bull-Kopie misslungen

Dazu legte Racing Point den RP20 an der Hinterachse deutlich tiefer als seinen Vorgängern. Der hohe Anstellwinkel ist passé. "Wir haben mit dieser Philosophie - bei der wir übrigens Red Bull gefolgt sind - nicht das geholt, was wir uns davon erhofft hatten", so Green.

Das hängt auch mit dem Getriebe zusammen, das Racing Point vom Vorjahres-Mercedes erhält. Zum Getriebe gehören nicht nur die Innereien, sondern auch das Gehäuse. Das beinhaltet nicht nur das Getriebe selbst, sondern auch die Aufhängungskomponenten. Dazu hat es einen maßgeblichen Einfluss auf die Aerodynamik. Der Weltmeister-Mercedes des Vorjahres war auf einen sehr geringen Anstellwinkel ausgelegt.

Warum aber kommt Racing Point erst jetzt auf die Idee, Mercedes so zu kopieren? Die Silberpfeile fahren seit Jahren erfolgreich mit dieser Philosophie. Dafür gibt es laut Green zwei Gründe: "Wir haben gesehen, dass es mit unserem letztjährigen Konzept keine großen Sprünge mehr gibt, wir waren am Ende der Entwicklung damit."

Der zweite Grund ist finanzieller Natur. "Bislang hatten wir weder die Ressourcen, noch die Leute, so große Änderungen vorzunehmen. Wir mussten so viele Bauteil wie möglich übernehmen, um Geld zu sparen. Sonst wären wir nicht mehr hier, sonst würden wir im nächsten Jahr kein Aston Martin Werksteam sein können. Diesmal haben wir fast gar keine Teile des Vorjahres übernommen."

Dass Mercedes ausgerechnet in diesem Jahr zumindest die Seitenkästen umgebaut hat, weil das alte Konzept nicht mehr genügend Entwicklungsspielraum bot, bereitet Racing Point kein Kopfzerbrechen. "Es ist ein massives Risiko, dessen sind wir uns bewusst", so Green. "Aber wir wollten nicht eine weitere Saison im hinteren Mittelfeld rumfahren. Und wann, wenn nicht jetzt sollten wir das Risiko eingehen? Weil sich 2021 alles ändert, müssen wir garantiert nicht noch einmal zurückbauen."

Geht der Plan auf und Racing Point bewegt sich bei der Performance in ähnlichen Regionen wie Mercedes im Vorjahr, droht die politische Lage ungemütlich zu werden. Die besten Mittelfeldteams rechnen nicht damit, mit ihrer Entwicklung über den Winter auf Mercedes-Niveau 2019 zu sein.