Das erste Rennen auf einer neuen Strecke: Für Fahrer und Teams ist der Große Preis der Türkei auf dem Istanbul Racing Circuit eine Herausforderung mit vielen Unbekannten. "Nur wer vorher seine Hausaufgaben macht", sagt Grant Tuff, Experte für Computersimulationen bei Williams, "kann auf einem neuen Kurs sein volles Leistungspotenzial abrufen."

Schon lange vor der mit Spannung erwarteten Premiere der Formel 1 am Bosporus schlug die Stunde der Computerspezialisten. Die Herren der Bits und Bytes sind an sich genügsame Zeitgenossen, die nicht viel brauchen, um zufrieden zu sein. Schon eine einfache Streckenskizze reicht ihnen für eine erste Simulation, die sie in der Vorbereitung auf das Rennen nach und nach mit zusätzlichen Erkenntnissen und aktuellen Daten anreichern.

Die Datenanalyse steht an vorderster Front., Foto: Sutton
Die Datenanalyse steht an vorderster Front., Foto: Sutton

Was sie dazu vor allem benötigen, sind neben Basisinformationen vom Streckenbetreiber möglichst exakte Angaben über das Gripniveau der neuen Strecke. Die werden den Teams normalerweise vom Reifenpartner zur Verfügung gestellt und sind, zusammen mit den anderen Daten, die Grundlage jeder verlässlichen Simulation.

Doch die Fehlerquelle ist groß: Ungenaue Gripwerte führen zwangsläufig zu falschen Rundenzeiten und falschen Geschwindigkeiten, was wiederum Auswirkungen auf so wichtige Parameter wie Abtrieb und Kühlung der Bremsen hat.

Aber selbst wenn man das Gripniveau richtig voraussagt, ist man dieses Problem noch lange nicht für immer los. "Der Grip einer neuen Strecke kann sich im Verlauf eines Rennwochenendes dramatisch verändern", erklärt Grant Tuff. "Die Ergebnisse einer Simulation für den Freitag sind deshalb oft schon am Samstag ein Fall für den Papierkorb."

Diese Möglichkeit im Hinterkopf, verlassen sich die Spezialisten der Teams nach Möglichkeit nicht allein auf ihre Computerprogramme. Doch wenn die Formel 1 zum ersten Mal auf einem neuen Kurs gastiert, wurde dort in der Regel noch kein anderes Rennen ausgetragen, so dass keinerlei Daten verfügbar sind, etwa von Tourenwagen, die man auf die Formel-1-Boliden übertragen könnte. Deshalb ist man auf die Kooperation der Streckenbetreiber angewiesen.

Der Red Bull Radtour bekommt in Istanbul eine wichtige Bedeutung zu., Foto: Sutton
Der Red Bull Radtour bekommt in Istanbul eine wichtige Bedeutung zu., Foto: Sutton

Eine zusätzliche Hilfe ist der Vergleich mit einem existierenden Kurs, auf dem bereits ein Grand Prix ausgetragen wurde. Das funktioniert dann so, dass man beispielsweise sagt, die durchschnittlichen Kurvengeschwindigkeiten dürften dieser und der maximale Speed auf der Geraden dürfte jener bekannten Strecke entsprechen. Auf diese Weise basteln die Ingenieure einen Referenzkurs zusammen, für den sie dann ein Basis-Setup erstellen.

Bevor ein Fahrer auf einer neuen Strecke zur ersten Trainingsrunde rausfährt, hat er sich den Kurs schon eingeprägt. Das ist kein Hexenwerk. Er schaut sich auf einer Grafik die Kurven an, merkt sich, ob sie links herum gehen oder rechts herum, wirft noch einen Blick auf die Schikanen und die Geraden, dann hat er den Streckenverlauf normalerweise im Kopf.

Den erfahrenen Piloten reichen diese Informationen aus, um zu wissen, wo sie mit welchem Gang fahren und wo vor einer Kurve der Bremspunkt ist. Trotzdem ist es auch für sie wichtig, eine neue Strecke vorher mit dem Fahrrad oder dem Motorroller abzufahren, am besten zusammen mit ihrem Renningenieur. Einige gehen auch lieber zu Fuß um den Kurs. Dabei sehen sie Dinge, die sie keiner Skizze entnehmen können, zum Beispiel leichte Unebenheiten im Asphalt oder die Beschaffenheit der Kiesbetten, was spätestens dann von elementarer Bedeutung sein kann, wenn man in einem gelandet ist und einen schnellen Ausweg suchen muss.

Button besichtigte den Kurs schon vor der Fertigstellung., Foto: BAT
Button besichtigte den Kurs schon vor der Fertigstellung., Foto: BAT

Nach dieser ersten Erkundung dauert es bei Formel-1-Fahrern in der Regel noch zwei oder drei Runden, um alle markanten Punkte einer neuen Strecke zu verinnerlichen. Was dabei unter Umständen für eine nicht immer angenehme Überraschung sorgen kann, sind die Randsteine. Die muss man im wahrsten Wortsinn erfahren, denn zu wissen, welcher Umgang mit den Randsteinen sich auf dieser speziellen Strecke empfiehlt, kann spätestens im Rennen von elementarer Bedeutung sein. Manchmal hebt ein Auto völlig aus, wenn man die Randsteine nur berührt, doch wenn man sie voll mitnimmt, ist das erstaunlicherweise kein Problem. Die wahren Geheimnisse einer neuen Strecke kommen nur Stück für Stück ans Licht.

"Es gibt viele Dinge", sagt Grant Tuff, "die kann man auch mit der besten Simulation nicht herausfinden. Die muss man einfach ausprobieren."

Wussten Sie schon...

... dass der Istanbul Racing Circuit, der Schauplatz des Großen Preises der Türkei, die 69. Rennstrecke ist, auf der seit 1950 ein Formel-1-Rennen ausgetragen wird? Der Große Preis der Türkei ist das 745. Rennen in der Geschichte der Formel 1 und die Türkei das 26. Land, in dem ein Formel-1-Grand-Prix stattfindet.