Mercedes dreht auf, Williams stürzt ab. Der Trainingsfreitag der Formel 1 in Australien hätte für die Teams an den beiden Enden des Zeitenmonitors kaum unterschiedlicher ausfallen können. Während die Weltmeister nach den Testfahrten den Hammer auspackten und ihre direkten Gegner mit nahezu außerirdischen Rundenzeiten desillusionierten, war beim letztjährigen WM-Letzten Frust pur angesagt. Am FW42 scheiden sich die Geister von George Russell und Robert Kubica.

"Wir werden uns wahrscheinlich in der letzten Reihe qualifizieren und das Rennen auch dort beenden", redet Russell nicht lange um den heißen Brei, als er zu Williams' Zielsetzung an diesem Wochenende befragt wird. Der Rookie und sein Teamkollege markierten am Freitag in beiden Trainings die letzten beiden Plätze, und das mit einem gehörigen Rückstand auf den Rest des Feldes.

Am Morgen betrug die Differenz zur Spitze fünf Sekunden, am Nachmittag waren es vier. Auf Lando Norris im McLaren büßte Russell als schnellerer der beiden Williams-Fahrer anderthalb Sekunden ein. Aussicht auf Besserung ist im Albert Park keine in Sicht. "Wir bewegen uns auf dem gleichen Level wie alle anderen. Am Samstag gibt es bei uns die normalen Fortschritte, aber nichts, was die anderen nicht auch hätten", sagt Russell.

Zwar kann Williams aus seinem derzeitigen Paket noch etwas mehr herausholen, doch um die Lücke nach vorne zu schließen, reicht das seiner Ansicht nach lange nicht: "Wir können mit dem Setup vielleicht noch zwei bis vier Zehntel finden, aber uns fehlt weit über eine Sekunde. Das ist also nicht genug." Er sieht jedoch das Potential, um langfristig den Anschluss zu schaffen: "Letztes Jahr gab es Probleme mit der Fahrbarkeit. Jetzt ist sie nicht so schlecht. Unsere Ingenieure können den Fokus dadurch auf mehr Downforce legen."

Williams-Piloten gespalten: Kubica kritisiert, Russell lobt

Doch tatsächlich empfinden die beiden Williams-Piloten ihr Dienstfahrzeug völlig unterschiedlich. "Es ist nicht perfekt, aber längst nicht so schlecht, wie die Zeiten vermuten lassen", meint Russell. "Wenn du mir vorher gesagt hättest, dass uns vier oder fünf Sekunden fehlen, hätte ich erwartet, dass das Auto sich schwierig fährt. Aber wir sind einfach nur langsam. Da ist ansonsten nichts, was auffällig wäre."

Der 34-jährige und deutlich erfahrenere Kubica hat vom Williams einen ganz anderen Eindruck. "Wir hatten viel weniger Grip auf dieser Strecke. Sie ist wellig und staubig, ganz anders als Barcelona. Ich habe sehr mit dem Grip gekämpft", erklärt der Pole, der nach acht Jahren Rehabilitation an diesem Wochenende sein Comeback in der Königsklasse feiert.

Zu den Balanceproblemen gesellten sich bei ihm auf dem Straßenkurs von Melbourne außerdem noch ganz andere Schwierigkeiten. "Wir haben im zweiten Training aufgrund von Beschädigungen leider etwas Zeit verloren. Das war kein guter Nachmittag. Es ist schon nicht leicht, wenn alles glatt läuft, aber wenn du dann noch solche Probleme dazu bekommst..."

Williams: Formel-1-Saisonvorschau 2019 (08:35 Min.)

Kubica-Williams zerfällt: Melbourne-Kerbs zu viel für das Auto

Kubicas Aussage warf Fragen auf, hatte man ihn im Gegensatz zu einem Großteil seiner Konkurrenten in keiner der beiden Sitzungen neben der Strecke gesehen. Einen Ausritt brauchte es aber auch nicht, um dem FW42 übel mitzuspielen. "Wir müssen von den Kerbs wegbleiben", erklärt er, dass sich die Teile beim Fahren der normalen Ideallinie gelöst hatten. "Das ist nicht einfach, wenn du sowieso schon damit kämpfst, auf der Strecke zu bleiben."

Die Reparatur des Kubica-Boliden gestaltete sich obendrein schwierig, da Williams für das erste Rennwochenende des Jahres offenbar nicht optimal ausgestattet ist. "Wir mussten die Teile reparieren, da wir leider nicht viele Ersatzteile haben."

Russell war im FP2 am Hotspot von Turn 3 nach einem Verbremser neben der Strecke. Mit Balanceproblemen hatte das aber nichts zu tun: "Ich habe bis ans Limit gepusht, das wäre mir in jedem Auto passiert." Ansonsten verlief sein Tag planmäßig: "Wir haben unser Programm erledigt. Es gab nur in FP1 ein kleines Problem, aber das war nichts Besorgniserregendes."

Russell will mehr als einen Überlebenskampf: Bin ein Gewinner und ein Kämpfer

Nach dem Fehlstart in die Testfahrten und der dort an den Tag gelegten Performance war Williams' Abschneiden in den Trainings in der Tat weniger eine Überraschung als die Dominanz von Mercedes. "An diesem Wochenende geht es darum, zu lernen und sicherzustellen, dass wir am nächsten Wochenende besser sind. Wir müssen damit weitermachen und dafür sorgen, dass wir zur Saisonmitte und am Ende des Jahres etwas Besseres haben", sagt Russell.

Für den ambitionierten Formel-2-Champion nicht das, was er sich unter seinem Formel-1-Debüt vorgestellt hatte. "Ich bin ein Gewinner und ein Kämpfer. Ich will mehr, als einfach nur mitfahren", stellt Russell klar. "Wir wollen konkurrenzfähig sein und vorne kämpfen, aber im Moment sind wir davon weit entfernt. Alle anderen sind viel zu weit vor uns."