A B, C B, A C - das ist die Startaufstellung für den Kanada GP 2018. In der Formel 1 hatte man sich die letzten Jahre an A A, B B, C C gewöhnt, doch in dieser Saison kommt endlich wieder richtig Schwung in die Königsklasse. In Teams ausgedrückt bedeuten die kryptischen Aneinanderreihungen von Buchstaben: Ferrari, Mercedes und Red Bull sind in der Startaufstellung wild durcheinandergewürfelt.

Das zeigt, wie ausgeglichen die Formel 1 im Jahr 2018 ist - natürlich mit dem Zusatz versehen, dass es sich nur um die Topteams handelt. Denn im Alphabet der Königsklasse kommt nach dem C kein D sondern eher ein M. Doch vorne an der Spitze macht der Dreikampf richtig Spaß - und entsprechend auch der Favoriten-Check für Montreal.

Sebastian Vettel befindet sich in der besten Position. Der Ferrari-Pilot holte sich die Pole-Position denkbar knapp vor Valtteri Bottas und Max Verstappen. Vettel hat nicht nur den Vorteil der besten Startposition, sondern im Gegensatz zu Red Bull auch noch einen Reifen-Joker - glaubt zumindest der WM-Zweite selbst.

Vettel sicher: Red Bull im Reifen-Nachteil

"Der Hypersoft ist kein guter Rennreifen", so Vettel. Mercedes und Ferrari starten den Kanada GP auf Ultrasoft, weil sie sich im Q2 auf diesem Reifen qualifiziert haben. Red Bull hingegen setzte auf den Hypersoft. "Ich verstehe nicht, warum sie das machen", so Vettel.

Damit ist genau das eingetreten, was Red Bull vor dem Wochenende befürchtete. Die Bullen sehen sich als stärkstes Team im Rennen, weil sie am sanftesten mit den Reifen umgehen. Der Hypersoft kommt ihnen entgegen. Doch Mercedes und Ferrari fahren den Hypersoft nun gar nicht. Der Plan ist es, vom Ultrasoft auf den Supersoft zu wechseln und dann durchzufahren. Der große Vorteil ist damit dahin.

Trotzdem setzte Red Bull selbst als einziges Top-Team auf den Hypersoft. "Wir wussten, dass wir nicht auf Pole stehen werden, deswegen müssen wir etwas anderes probieren", erklärt Daniel Ricciardo. Etwas anderes bedeutet in diesem Fall aber trotzdem eine Einstopp-Strategie. "Außer wir kommen mit dem Hypersoft nur bis Runde zehn, dann wird es schwierig", so Ricciardo.

15 Runden, so Pirelli, sollten Max Verstappen und Daniel Ricciardo durchhalten, dann wir die Einstopp-Strategie möglich. Mit dem Extra-Grip des Hypersofts soll es bestenfalls schon am Start an Konkurrenten vorbeigehen. Durch den früheren Stopp könnte Red Bull dann Mercedes und Ferrari unter Druck setzen, die Undercut-Gefahr ist präsent. Dann könnten die anderen Teams reagieren und ihren Ultrasoft-Vorteil gar nicht ausspielen können.

Verpokert sich Mercedes ins Kanada-Glück

Tatsächlich sind die Longruns der Freitagstrainings wenig relevant. Rot-Unterbrechung, VSC und unterschiedliche Reifen zu unterschiedlichen Zeiten machen die Rundenzeiten fast wertlos. Mercedes ärgerte sich, zu wenig Hypersoft-Reifen geordert zu haben. Am Freitag konnten Hamilton und Bottas deshalb gar keine Runden auf dem Pirelli-Kleber drehen. Mercedes führte die Qualifying-Niederlage teilweise darauf zurück.

Doch am Sonntag könnte sich der Nachteil als Vorteil herausstellen. Denn die Silberpfeile konzentrierten sich - mangels Hypersoft - bei den Longruns komplett auf Supersoft und Ultrasoft. Im Rennen kommen unter normalen Umständen nur diese beiden Mischungen zum Einsatz.

Der Hypersoft-Verzicht könnte Mercedes doppelt entgegenkommen. Traditionell tun sich die Silberpfeile schwer, auf der weichsten Mischungen die letzten Hundertstel herauszuquetschen. Auf Ultra- und Supersoft ist Mercedes tendenziell stärker. Im Q2, als Mercedes und Ferrari auf Ultrasoft fuhren, lag Bottas noch vor Vettel.

Ein weiterer Faktor, der Mercedes entgegenkommen könnte, ist der Spritverbrauch. Montreal zählt diesbezüglich zu den schlimmsten Rennen im gesamten Kalender. Auch wenn das Motorenupdate für Mercedes noch auf sich warten lässt, der Benzinverbrauch sollte weiterhin eine Stärke des Mercedes-Aggregates sein.

Das bedeutet nicht gleichzeitig, dass Vettel und Räikkönen Benzin sparen müssen, aber Mercedes kann möglicherweise mit weniger Benzin starten. Ein Vorteil beim Gewicht. 100,6 Kilogramm war der Spritspar-Rekord 2017 in Kanada. Der Pilot, der am meisten Benzin durch die Einspritzanlage jagte, verbrannte am Ende 104,4 Kilogramm.

Ferrari und Red Bull mit neuen Motoren

Auf der anderen Seite muss Mercedes den Motor möglicherweise etwas runterdrehen. Es war nicht geplant, das Power-Rennen in Montreal mit diesem Motor zu fahren. Ferrari und Red Bull haben hier mit den frischen Aggregaten einen Vorteil.

Einen Vorteil hat Red Bull mit dem Renault-Motor im Rennen freilich nicht, aber ein entscheidender Nachteil fällt weg: Der Qualifying-Modus der Konkurrenz, der Red Bull hart trifft, hilft im Rennen nicht. Max Verstappen dominierte in Kanada alle Trainings - als Ferrari und Mercedes noch keinen Qualifying-Modus nutzten. Damit dürfte klar sein, wie stark der Red Bull eigentlich ist.

Ferrari und Vettel haben mit Pole die beste Ausgangsposition. "Außerdem stehen wir ja nicht umsonst vorne", meint Vettel selbstsicher. Die Pace hat Ferrari also auch. Mercedes hingegen kann der Hypersoft-Reifen egal sein, hat mit Valtteri Bottas aber die vermeintlich falsche Waffe vorne.

Red Bull in Montreal mehr als Außenseiter

Red Bull hat in Montreal mehr als nur Außenseiterchancen. Die Hypersoft-Reifen am Start könnten in beide Richtungen losgehen. Der große Motornachteil fällt weg, die gute Rennpace hilft. Nur die Ausgangsposition in der Startaufstellung spricht gegen Red Bull.

Denn Überholen ist nicht mehr so einfach, wie es einst in Montreal war. Die breiten Autos sind ein großes Problem auf dem engen Straßenkurs. Nicht nur aerodynamisch, sondern auch räumlich. Doch die Chancen am Start sind da, die Strategie könnte ebenfalls helfen und die neu eingeführte dritte DRS-Zone auch noch. Die Zutaten für einen packenden Kanada GP mit ungewissem Ausgang sind perfekt. Das ABC könnte in Montreal auf den Kopf gestellt werden.