"Der erst scheint zu leben und seines Geistes froh zu werden, der durch irgendeine Aufgabe angespannt den Ruhm einer strahlenden Tat oder eines rechten Könnens sucht", Gaius Sallustius Cripius 86 - 34 v. Chr.

Der Patient im Krankenzimmer der Niguarda Klinik zu Mailand sieht aus, als würde er nur schlafen. Zur linken und zur rechten Seite des Bettes brennen jene Art Kerzen, wie man sie aus dem Vatikan kennt. In Italien, dem vielleicht katholischsten aller Länder, bedeutet dies das Ende aller irdischen Hoffnungen. Ronnie Peterson hatte die Feuerhölle der Startrunde von Monza 1978 überlebt, nicht aber die nachfolgende Beinoperation.

Vor dem Start schien alles wie immer., Foto: Sutton
Vor dem Start schien alles wie immer., Foto: Sutton

Chlorgas ist ein bestialisches Zeug. Es diente im ersten Weltkrieg als Kampfstoff und entsteht auch, wenn Glasfaser, Polyester und Benzin gemeinsam verbrennen. Ein einziger tiefer Lungenzug kann einen Menschen augenblicklich töten, im Übrigen gelangt das Gift sehr schnell über die Blutbahn in die Nieren, die es auch nach Jahrzehnten noch zerstören kann. Niki Lauda hatte dies am Nürburgring 1976 erfahren müssen.

Peterson hatte, im Gegensatz zu Lauda zwei Jahre zuvor, seinen Helm aufbehalten und auch das Life Support System, das dem Piloten Sauerstoff in den Helm zuführte, funktionierte. Man hätte ihn in jener Nacht nur nicht unter Vollnarkose operieren dürfen, denn nur so konnte das Gas seine tödliche Wirkung entfalten, wozu es allein aufgrund seiner relativ geringen Dosierung nicht in der Lage gewesen war. Diese Tatsache muss den Medizinern in der Niguarda Klinik bekannt gewesen sein, denn es ist Standardwissen seit Beginn des Zweiten Weltkriegs. Zu jener Zeit hatte man es in Monza mit der medizinischen Versorgung verunglückter Piloten nie sehr genau genommen. Dem Ambulanzwagen, der acht Jahre zuvor Jochen Rindt ins gleiche Hospital brachte, war zuvor unterwegs das Benzin ausgegangen, weil sein Fahrer vergessen hatte, vor dem Einsatz eine Tankstelle anzusteuern. Doch im Gegensatz zu Rindt, dem nur noch Gott hätte helfen können, hatte Peterson eine 96 Prozent Chance zu überleben, denn das Risiko, an solchen Frakturen zu sterben, war nur 4 Prozent.

Doch der Rauch verkündete nichts Gutes..., Foto: Sutton
Doch der Rauch verkündete nichts Gutes..., Foto: Sutton

Im Frühjahr 1978 hatte Professor Sid Watkins begonnen, ein einheitliches Rettungswesen für den Grand Prix Sport aufzubauen. Der Kampf gegen Inkompetenz, Schlamperei und nationalen Egoismus der lokalen Ärzteschaft war anfangs viel intensiver als jener gegen die tödlichen Gefahren dieses Wettbewerbs. Es waren die Carabinieri, die übrigens keine Polizisten, sondern Soldaten sind, die Professor Watkins mit der Androhung von Gummiknüppeln und Bluthunden daran hinderten, zu Peterson an die Unfallstelle vorzudringen. Dieser hatte, wie später die Röntgenaufnahmen zeigten, insgesamt 27 Knochenbrüche an beiden Beiden. Dennoch wurde er, nicht weit von seinem Wrack entfernt, erst auf die Strasse gelegt, dann hunderte von Metern auf einer Tragbahre herumgezerrt, ehe der Rettungswagen eintraf. Später wurde das Hospital zum Tollhaus, Fernsehen und Radiosender berichteten live aus dem Operationsaal und auf dem Fussboden lagen soviel Zigarettenreste wie sonst nur in einem Bierzelt. Das Ende des Ronnie Peterson war die öffentliche Hinrichtung eines Unschuldigen.

Formel 1 ist ein Geschäft von hoher Interdependenz, technisch wie wirtschaftlich. Petersons Tod löste eine Kettenreaktion von Schicksalen aus, wie man sie zuvor niemals gesehen hatte.

Da war Riccardo Patrese, von Beginn seiner Karriere 1977 an mit der Reputation extremer Rücksichtslosigkeit behaftet, dem man ursprünglich die Schuld an der Katastrophe von Monza zugewiesen hatte. Doch diesmal war der Italiener wirklich nur der Sündenbock, denn als, erst viele Monate später, die Filmaufnahmen aus dem Hubschrauber ausgewertet worden waren, war klar, dass nicht er, sondern James Hunt die Massenkollision ausgelöst hatte. Hunt war dieses Problem im Moment des Unfalls schlagartig bewusst geworden, er zog Peterson aus dem noch brennenden Wrack des Lotus, erhielt dafür sogar eine Goldmedaille vom Königlich Schwedischen Automobilclub, doch den wahren Sachverhalt verschwieg er. Über Patrese wurden in der Zwischenzeit von der Presse kübelweise Dreck ausgekippt und die werten Fahrerkollegen machten kräftig mit. Das Stigma des Killers sollte Patrese bis an sein Karriereende bleiben.

Der schnelle Schwede Ronnie Peterson ließ sein Leben., Foto: Sutton
Der schnelle Schwede Ronnie Peterson ließ sein Leben., Foto: Sutton

James Hunt hat Monza 1978 niemals mehr überwinden können. Zwar wechselte er für das folgende Jahr zum Wolf Team, doch er versank immer mehr in Depressionen. Nach dem Grand Prix von Monaco 1979 trat er zurück, ein Entschluss, den er schon Tage später urplötzlich wieder revidieren wollte, denn im Geheimen bewarb er sich um den Kauf eines zu jener Zeit sehr erfolgreichen Ligier Ford JS11, doch das französische Team lehnte sein Kaufangebot ab. Später wurde Hunt als Kommentator des Fernsehsenders BBC zu jenem Publikumsliebling, der er schon als Fahrer war, doch diese sensible und komplizierte Persönlichkeit mit all ihren Problemen ist dabei auf der Strecke geblieben. James Simon Wallis Hunt starb in der Nacht zum 19. Juni 1992 im Alter von nur 45 Jahren, verarmt und sehr, sehr einsam.

Vittorio Brambilla, mitnichten der primitive Betonkopf, für den er bisweilen gehalten wurde, nach dem Aufprall auf Petersons Lotus von einem seiner eigenen Vorderäder getroffen und daher nicht minder schwer verletzt, machte sich lange Zeit die schlimmsten Vorwürfe, weil er ja derjenige war, der den Schweden gerammt hatte. Dabei war er Opfer, nicht Täter. Brambilla hatte 1978, sehr zum Missfallen von John Surtees, aber ohne rechtliche Handhabe, neben seinen Renneinsätzen für das Team aus Edenbridge, auch Tests für Alfa Romeo gefahren. Als die Mailänder 1979 ihr Comeback gaben, war der wiedergenesene Vittorio Brambilla der zweite Fahrer des Teams, doch zuvor hatte Surtees schweren Herzens sein Team auflösen müssen. Nach Depaillers Todessturz bei Testfahrten in Hockenheim 1980 kam Brambilla bei Alfa Romeo nochmals für zwei Rennen zum Einsatz. Doch nach dem Grand Prix von Italien wurde er vom Management zum Rücktritt gedrängt. Er starb plötzlich im Mai 2001 dreiundsechzigjährig als Pensionist nahe seiner Heimatstadt Monza.

Als Brambilla seine Karriere beendete, begann in Mailand ein junger Mann in der Formel 3 seine Laufbahn, für den Ronnie Peterson das Idol seines Lebens war. Der junge Mann hiess Michele Alboreto.

Sid Watkins wurde von der Unfallstelle fern gehalten., Foto: Sutton
Sid Watkins wurde von der Unfallstelle fern gehalten., Foto: Sutton

Petersons für 1979 freigewordenen Platz bei McLaren übernahm John Watson. Und er machte dort eine gute, wenngleich nicht sensationelle Karriere, bis er dort im Winter 1983/84 seinen Platz für den überraschend zurückgewechselten Alain Prost räumen musste. Peter Warr vom John Player Team Lotus machte ihm ein Angebot, das jeder vernünftige Mensch angenommen hätte, doch Watson lehnte ab. Barbro Peterson, Ronnies Witwe, war inzwischen seine Freundin geworden und von Hochzeit wurde gesprochen. Da wollte Watson ihr die Erinnerung an den schwarz-goldenen Lotus ersparen und wechselte zu Toleman, die aufgrund der Reifensitution vorübergehend völlig aus dem Geschäft waren. John Watson bestritt nur noch einen einzigen Grand Prix: Den europäischen 1985 in Brands Hatch, in einem McLaren und als Vertretung des an der Hand verletzten Niki Lauda.

Geholfen hat dies alles indessen nichts. Barbro Peterson hat das Inferno von Monza 1978 niemals mehr überwinden können. Da war ein Leben ohne Perspektive, ohne Hoffnung, aber voller Angst. Als sie 1987, knapp ein Jahrzehnt nach der Katastrophe, ihrem Leben ein Ende setzte, die Angelegenheit aber von den Behörden viele Monate lang als ungeklärter Todesfall behandelt wurde, da alterte John Watson im Zeitraffer. Er wirkte von diesem Zeitpunkt an älter, als er tatsächlich war. Eine solche Wirkung haben Schicksalsschläge nicht selten.

Ronnie Petersons Tod löste eine Kettenreaktion aus., Foto: Sutton
Ronnie Petersons Tod löste eine Kettenreaktion aus., Foto: Sutton

Gunnar Nilsson, Petersons Freund und Landsmann, ironischerweise sowohl Nachfolger als auch Vorgänger im Team Lotus (wo er mit dem Typ Mk78 den Grand Prix von Belgien 1977 in Zolder gewann), ein starker Charakter mit gesundem Selbstbewusstsein, nicht der Muhammad Ali der Formel 1, aber noch viel kränker, kämpfte, für die Dauer eines ganzen Jahres, um sein Leben. Es hatte anfangs viele Gerüchte gegeben, was denn genau die Ursache sei, doch als Nilsson (der inzwischen zu Arrows gewechselt war) in Brands Hatch 1978 zu einem Besuch erschienen war und die Folgen einer Chemotherapie deutlich zu sehen war, wurde klar, dass er an Krebs erkrankt war. Da war er noch zuversichtlich, zu überleben, doch nach dem 10. September hatte er offensichtlich resigniert. Man muss weder Arzt noch Psychologe sein, um zu wissen, welche Rolle die Psyche bei derartig schweren Erkrankungen spielt. In den letzten Wochen seines Lebens gelang es ihm noch noch, seine Stiftung zur Krebsforschung und -bekämpfung , die Gunnar Nilsson Cancer Treatment Campaign, zu organisieren, unterstützt von George Harrison und ABBA und gedacht vorallem für die Kinder. Am 20. Oktober 1978, einen Monat und 10 Tage nach Ronnie Peterson, waren die Kräfte von Gunnar Axel Arrid Nilsson erschöpft. Schweden, mit dem eigenen Grand Prix auf der Scandinavian Raceway von Anderstorp, sowohl Rennkurs als auch Flugplatz, hatte aufgehört, als Formel 1-Nation zu existieren.