Das Fahrerlager der Formel 1 ist sich weitestgehend einig, dass Fernando Alonso im Jahr 2017 mehr als nur zwei Weltmeistertitel auf seinem Konto haben sollte. Doch sein letzter Titelkampf liegt mittlerweile fünf Jahre zurück. Im chaotischen WM-Finale der Saison 2012 schrammte Alonso beim Grand Prix von Brasilien nur an knapp an seinem dritten Titel vorbei. Wir schauen zurück auf eines der denkwürdigsten Rennen in Interlagos, das mit Sebastian Vettel, Nico Hülkenberg und Michael Schumacher gleich drei deutsche Hauptdarsteller hatte.

Während Schumachers Auftritt sein 306. und letzter in der Formel 1 sein sollte, lag Alonso vor dem 20. Rennen des Jahres in der Gesamtwertung 13 Punkte hinter Sebastian Vettel. Der Spanier hatte in dieser Saison mit drei Siegen und 12 Podestplätzen alles aus seinem Ferrari F2012 herausgeholt und es entgegen aller Erwartungen geschafft, der Übermacht von Vettel im Red Bull bis zum Schluss die Stirn zu bieten. Doch um den Deutschen im Finale noch abzufangen, musste Alonso in Sao Paulo mindestens auf dem Podium landen.

Bei einem Sieg Alonsos durfte Vettel maximal Fünfter werden, bei einem zweiten Platz maximal Achter und bei einem dritten Platz bestenfalls Zehnter. Das Qualifying lief für beide Titelkandidaten mit Niederlagen gegen ihre jeweiligen Stallgefährten nicht optimal. Vettel kam nicht über Platz vier hinaus, Alonso landete gar auf Position acht. Der Spanier rutschte durch Pastor Maldonados Strafversetzung jedoch einen Rang auf. Eine Bankrotterklärung für seine WM-Chancen war dieser Startplatz jedoch nicht.

Das Qualifying war über die gesamte Saison hinweg die Achillesferse der Scuderia gewesen. Alonso allerdings gelang es stets, die Schwäche im Zeittraining am Sonntag wieder auszubügeln. Für das letzte und entscheidende Kräftemessen in Brasilien war die Zielvorgabe aber ohnehin klar. "Es ist nicht so, dass wir uns jetzt noch irgendwelche verrückten Strategien ausdenken. Wir müssen unser Rennen fahren und dürfen dabei nicht vergessen, dass wir nur eine Chance haben, wenn wir aufs Podium kommen", so der damals 31-Jährige.

Alonso war bewusst, dass Vettel bei einem normalen Rennverlauf kaum so weit hinten ins Ziel kommen würde, wie es für seine Titelchancen notwendig war. "Unter normalen Bedingungen haben wir nicht den Speed, um Red Bull zu schlagen - weder hier noch in den letzten sechs Monaten", so Alonso. In der ersten Startreihe hatte sich Lewis Hamilton bei seinem letzten Auftritt für McLaren vor Teamkollege Jenson Button auf der Pole Position qualifiziert.

Dahinter bildeten Mark Webber und Sebastian Vettel eine Red-Bull-Reihe-zwei, gefolgt von Lokalmatador Felipe Massa. Neben dem Ferrari-Piloten ging Nico Hülkenberg im Force India von Platz sechs ins Rennen. Erst dann folgte Alonso. Schumacher startete von Position 14. Angesichts Alonsos Position hoffte man in Maranello auf ein chaotisches Rennen, das Vettel und Red Bull das Leben möglichst schwer machen würde.

In Diensten von Mercedes fuhr Michael Schumacher 2012 in Brasilien sein letztes Rennen in der Formel 1, Foto: Mercedes-Benz
In Diensten von Mercedes fuhr Michael Schumacher 2012 in Brasilien sein letztes Rennen in der Formel 1, Foto: Mercedes-Benz

Senna schießt Vettel ab: Chaos-Szenario tritt ein

Die vorhergesagte Regenwahrscheinlichkeit von bis zu 90 Prozent enttäuschte die Italiener nicht. In der Startaufstellung fielen die erste Regentropfen. Das Rennen wurde aber zunächst noch unter trockenen Bedingungen gestartet. Vettel erwischte dennoch einen katastrophalen Start und fiel auf Platz sieben zurück, während Alonso hinter Hamilton, Massa, Button und Webber auf die fünfte Position vorrückte. Vettels schwacher Start war im ersten Moment kein Beinbruch.

In Kurve 4 allerdings wurde ihm seine Position im Mittelfeld doch noch zum Verhängnis. Bruno Senna verbremste sich bei einem Überholversuch und drehte Vettel um. Der Red Bull des Deutschen wurde bei einer zweiten Berührung mit dem Williams des Brasilianers hinten rechts hart torpediert. Vettel fiel nicht nur auf den letzten Platz zurück, auch die Gefahr eines Folgeschadens schien zunächst hoch zu sein. Kaum jemand hatte gedacht, dass der RB8 eine solche Kollision unbeschadet überstanden hatte.

Alonso wiederum machte in Runde zwei bei der Überfahrt von Start- und Ziel gleich den nächsten großen Schritt in Richtung Weltmeistertitel. Aus dem Windschatten heraus bremste er sich eingangs des Senna-S an Massa und Webber vorbei und rückte auf den so dringend benötigten dritten Platz vor. Bei einem Stand von 275 zu 273 Punkten war der Spanier in diesem Moment auf Titelkurs.

Am Ende des Feldes begann Vettel seine Aufholjagd. Trotz der Kollision verzichtete er auf einen Boxenstopp. Tatsächlich hatte die Aufhängung den Zusammenstoß unbeschadet überstanden. Dafür waren Teile des Bodyworks sowie des Unterbodens beschädigt. Die Red-Bull-Ingenieure erkannten schnell, dass eine Reparatur nicht möglich war. Vettel wurde deshalb angehalten, einfach weiter zu pushen. Im vierten Umlauf wurde der Regen stärker.

Der unter Mischbedingungen stets starke Nico Hülkenberg kassierte Webber im Kampf um Platz vier. Vettel fuhr währenddessen die schnellste Rennrunde und lieferte den Beweis dafür, dass auch ein weidwunder Red Bull noch konkurrenzfähig war. In der sechsten Runde ging Alonso in Kurve 1 weit und Hülkenberg ging vorbei. Eine Runde später lag Vettel bereits auf Platz acht, während Button an der Spitze Druck auf Hamilton machte. In Runde acht überholte er den Teamkollegen.

Bruno Senna räumte in der ersten Runde Sebastian Vettel ab, Foto: Sutton
Bruno Senna räumte in der ersten Runde Sebastian Vettel ab, Foto: Sutton

Regen sorgt für Reifenpoker in Interlagos

Wenig später begannen die ersten Piloten, von Slicks auf Intermediates zu wechseln. In Runde zehn kamen unter anderem Hamilton, Alonso und Vettel zum Reifenwechsel an die Box. Button führte daraufhin vor Hülkenberg, der nur zweieinhalb Sekunden hinter dem McLaren lag. Massa hatte auf Platz drei bereits 20 Sekunden verloren. Die Taktik der Führenden ging zunächst auf, denn der Regen wurde nicht stärker.

In Runde 19 ging Hülkenberg and Button vorbei und übernahm die Führung. Im selben Umlauf gingen Hamilton und Alonso erneut an die Box, um zurück auf Trockenreifen zu wechseln. Eine Runde später zog auch Vettel nach. Hülkenberg behauptete seine Führung vor Button. Hamilton, Alonso und Vettel folgten auf den Plätzen, teilweise jedoch mit einer Minute Rückstand.

Aufgrund einiger Wrackteile auf der Strecke schickte die Rennleitung in der 23. Runde das Safety Car auf die Strecke. Button und Hülkenberg nahmen die Chance wahr, um ihre ersten Boxenstopps zu absolvieren. Als das Rennen sieben Runden später wieder freigegeben wurde, führte Hülkenberg immer noch vor Button und Hamilton. Der Deutsche konnte seine Führung daraufhin zunächst ausbauen. Weiter hinten ging Kamui Kobayashi an Vettel vorbei und übernahm die fünfte Position.

Für diesen war das jedoch kein Problem, denn Alonso lag zu diesem Zeitpunkt auf Platz vier, wodurch die WM wieder komplett in Vettels Richtung gekippt war. Zudem machte Kobayashi auch vor dem Spanier nicht Halt und überholte diesen wenige Runden ebenfalls. Der wiederum wurde von Massa überholt und fiel ebenfalls weiter zurück. Der WM-Stand änderte sich quasi im Minutentakt.

Nico Hülkenberg hatte 2012 in Brasilien die Pace für den Sieg, leistete sich jedoch einen bitteren Schnitzer, Foto: Sutton
Nico Hülkenberg hatte 2012 in Brasilien die Pace für den Sieg, leistete sich jedoch einen bitteren Schnitzer, Foto: Sutton

Hülkenberg kollidiert mit Hamilton

Der heftige Regen war ausgeblieben, doch es tröpfelte weiterhin über dem Autodromo Jose Carlos Pace. Hülkenberg hielt dem Druck von Hamilton nicht mehr Stand und machte in der 49. Runde einen Fehler, wodurch der McLaren-Pilot die Führung übernehmen konnte. Vier Runden später war Vettel erneut an der Box, um sich einen neuen Satz Slicks abzuholen. Im 55. Umlauf folgte dann eine der Schlüsselszenen des Rennens.

Hülkenberg versuchte bei der Anfahrt auf Turn 1 einen Konter gegen Hamilton, verlor auf der Bremse jedoch das Heck und rutschte dem Briten ins Auto. Hamiltons linke Vorderradaufhängung wurde durch den Unfall zerstört, während Hülkenberg das Rennen als Zweiter hinter Button wieder aufnehmen konnte. Die Rennleitung belegte den Deutschen mit einer Durchfahrtsstrafe, während Hamiltons Grand Prix nach der Kollision an Ort und Stelle beendet war.

Das Unglück der beiden Konkurrenten erhöhte Alonsos Chancen auf die WM deutlich. Denn während Vettel nur auf Position sieben lag, war Alonso nun wieder auf Platz drei vorgerückt. Vor ihm lagen nur Button und Massa. Letzterer sollte ihm im Kampf um Rang zwei kaum Probleme bereiten. Der Regen spielte in der Schlussphase des Rennens jedoch wieder eine größere Rolle.

Vettel kam nur wenige Runden nach seinem Boxenstopp zu einem vierten Reifenwechsel an die Box - dieses Mal für Intermediates. Im 56. Umlauf zog Alonso nach. In Runde 62 erfolgt der Platztausch mit Massa und er rückte auf Position zwei vor. Mit Vettel auf Platz sieben lag Alonso in der WM zu diesem Zeitpunkt einen Punkt zurück. Auf Leader Button fehlten ihm 20 Sekunden.

Dass Vettel noch auf Platz acht zurückfallen würde, der Alonso auch bei Platz zwei die WM bringen würde, wahr unwahrscheinlich. Vor dem Red-Bull-Fahrer lag Michael Schumacher lag, der im Chaos mehr oder weniger unbeobachtet auf Platz sechs vorgefahren war. Von seinem Kumpel war kaum Gegenwehr zu erwarten. Sechs Runden vor Schluss ging Vettel problemlos an Schumacher vorbei.

Für Sebastian Vettel lief in der Schlussphase alles nach Plan, Foto: Sutton
Für Sebastian Vettel lief in der Schlussphase alles nach Plan, Foto: Sutton

Die WM ist verloren: Alonso erstarrt im Parc Ferme

Für Alonso war in diesem Moment klar, dass nur der Sieg ihm noch den Weltmeistertitel bringen konnte. Angesichts von Buttons Vorsprung ein hoffnungsloses Unterfangen. Nur ein Ausfall des McLaren-Piloten hätte Ferraris Titelträume noch retten können. Ein Unfall von Paul Di Resta brachte Alonso zumindest visuell noch einmal ganz nah an den Sieg heran, denn die Rennleitung aktivierte nach dem Abflug des Schotten in der 70. Runde nochmals das Safety Car.

Die Chance auf einen Angriff blieb Alonso jedoch verwehrt, denn das Rennen wurde hinter dem Safety Car beendet. Alonso hatte alles in die Waagschale geworfen, war vom siebten auf den zweiten Platz nach vorne gefahren - und doch hatte es wieder nicht gereicht. Wieder hatte er eine Weltmeisterschaft im letzten Rennen verloren und wieder verlor er sie gegen Sebastian Vettel. Selbst eine Startkollision konnte den Erzrivalen nicht stoppen.

Im Parc Ferme stand Alonso wie versteinert neben seinem Ferrari und starrte ins Leere. Es vergingen Minuten, bis sich der geschlagene Ferrari-Star in Bewegung setzte. "Ich habe ein großartiges Gefühl nach 2012, es war mit Abstand die beste Saison meiner Karriere", so Alonso, dem am Ende drei Punkte zum Titelgewinn fehlten. Wie sehr er mit der Niederlage haderte, wurde in seinen Nebensätzen jedoch deutlich.

"Wir haben die Meisterschaft nicht hier verloren, sondern als Romain über meinen Kopf geflogen ist [in Spa] oder als Vettel nach dem Qualifying in Japan nur eine Verwarnung bekommen hat", trauerte der Spanier den fehlenden WM-Punkten hinterher. Im Nachgang des Showdowns in Brasilien sorgte dann sogar noch eine Beschwerde von Ferrari für Aufsehen.

Alonso reichte der zweite Platz hinter Button nicht zum Titelgewinn, Foto: Sutton
Alonso reichte der zweite Platz hinter Button nicht zum Titelgewinn, Foto: Sutton

Ferrari verzichtet auf Protest: Alonso der tragische Held

Vettel hatte in der vierten Runde den Toro Rosso von Jean-Eric Vergne vor Kurve 4 angeblich unter gelben Flaggen überholt. Ferrari brachte dies bei der FIA zur Sprache und forderte eine Klarstellung. Viele sahen darin einen Versuch der Italiener, am grünen Tisch eine Entscheidung zu ihren Gunsten herbeizuführen. Letztendlich verzichtete Ferrari jedoch auf einen Protest.

Zum Schluss blieb nur die Figur des Fernando Alonsos als tragischer Held der Saison 2012. Nicht nur er selbst war der Überzeugung, dass er den WM-Titel in diesem Jahr verdient gehabt hätte. "Seine Leidenschaft, seine Fahrzeugbeherrschung und sein Kampfgeist bringen den Racer in mir dazu, sich zu wünschen, dass er die WM gewonnen hätte", sprach der britische Ex-Grand-Prix-Pilot und TV-Kommentator Martin Brundle vielen Fans und Experten aus der Seele.