Seit Jahren predigten die Ferrari-Rivalen, dass jeder Zyklus irgendwann einmal enden würde - selbst jener Siegeszyklus, der die F1-Welt Jahre lang in ein tiefrotes Licht tränkte. In diesem Jahr behielten die Verbreiter dieser Weisheit tatsächlich Recht.

Noch viel länger wird in der Formel 1 und im Spitzensport im Allgemeinen eine ganz andere Weisheit - und zwar nicht jene, die besagt, dass der Ball rund und aus Leder sein soll - als Strohhalm für die Glücklosen und vom Pech Verfolgten betont: Im Laufe einer Saison gleicht sich alles wieder aus...

Der Eismann kommt

Der Eismann ist da., Foto: Sutton
Der Eismann ist da., Foto: Sutton

Zwei Wochen vor dem Großen Preis von Kanada war er das tragische Opfer der Grünen Hölle. Ein Aufhängungsschaden riss Kimi Räikkönen aus allen vibrierenden Siegträumen und brachte ihm statt zwei aufgeholter WM-Zähler zehn weitere Punkte Rückstand auf seinen Titelrivalen Fernando Alonso ein.

Aber manchmal, und wirklich nur manchmal, kennt auch die Formel 1 Welt Gerechtigkeit. So geschehen auf der Ile de Notre Dame, deren Herrscher - die Murmeltiere - diesmal den Ausfall des spanischen Titelanwärters hautnah an der Mauer mitverfolgen konnten.

"Ich habe hier gewonnen, was ich im letzten Rennen verloren habe und melde mich im Titelkampf zurück", strahlte der ansonsten wortkarge Ice Man nach seinem dritten Saisonsieg. "Renault sollte sich jetzt lieber warm anziehen", klang Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug geradezu euphorisiert, "denn jetzt kommt der Eismann."

Wenn der Eismann kommt, muss sich Renault warm anziehen., Foto: Sutton
Wenn der Eismann kommt, muss sich Renault warm anziehen., Foto: Sutton

Dennoch versucht McLaren-Boss Ron Dennis auch nach dem letztlich klaren Sieg gegen Michael Schumacher die - in Montreal sicherlich stark belastete - Euphoriebremse zu betätigen. "Norberts Begeisterung ist verständlich, aber unsere Herangehensweise ist einfach. Wir werden nicht strategisch fahren, wir möchten Rennen gewinnen."

Damit erteilte Dennis also einer Stallregie, wie sie Martin Whitmarsh vor einigen Wochen noch als möglich erklärte, eine klare Absage. "Wir werden mit dem klaren Ziel zu gewinnen nach Indianpolis fahren und wir werden keine abgehobenen mathematischen Spielchen betreiben."

Dafür wäre es auch für Renault noch zu früh, weshalb Flavio Briatore seine beiden Schützlinge in Montreal so lange frei gegeneinander antreten ließ, bis Giancarlo Fisichellas R25 wieder einmal seinen Geist aufgab. "Die Meisterschaft ist immer noch offen und noch sehr lang", betont der Teamboss der Gelb-Blauen nach einem insgesamt starken Wochenende seines Teams, welches Fernando Alonso als "beinahe perfekt" bezeichnete. "Wir verlassen Montreal im Wissen, dass wir ein konkurrenzfähiges Auto besitzen. Und letztlich ist niemand gestorben, Montoyas Disqualifikation macht unseren Sonntag sogar ein bisschen weniger bitter."

Fernando bleibt auch weiterhin WM-Leader., Foto: Sutton
Fernando bleibt auch weiterhin WM-Leader., Foto: Sutton

Entsprechend denken die Franzosen nach einem Wochenende, an welchem der McLaren nicht mehr so überlegen wie noch am Nürburgring schien, bereits an das nächste Rennen und beschäftigt sie weniger der Doppelausfall, sondern vielmehr die damit verbundenen Folgen für Indy. "Das größte Problem ist, dass wir nun im Qualifying sehr früh raus müssen."

Letztlich findet sich auch RenaultF1-Präsident Patrick Faure damit ab, dass man nicht immer gewinnen könne und sich im Laufe eines Jahr tatsächlich alles irgendwie ausgleicht. "Fernando hat zehn Punkte Vorsprung auf Kimi eingebüßt, aber irgendwie ist das ja auch ausgleichende Gerechtigkeit für den Nürburgring."

Schwarzer Tag für die Schattenmänner

Besonders schlecht verlief der Renntag für die beiden Schattenmänner der Titelkontrahenten. Denn während Giancarlo Fisichella und Juan Pablo Montoya so lange sie im Rennen waren auch vor ihren viel gepriesenen Teamkollegen lagen, kam am Ende keiner von beiden ins Ziel und feuerten sie beide ihre Rennhandschuhe mit voller Wucht durch die Box.

Fisicos Pechsträhne setzte sich fort., Foto: Sutton
Fisicos Pechsträhne setzte sich fort., Foto: Sutton

"Wir bezahlen Fisichella um Rennen zu fahren und nicht um sauer zu sein", gefiel Flavio Briatore das hitzige Verhalten seines Angestellten überhaupt nicht. "Wenn ihm das nicht gefällt, dann kann er gerne das Team wechseln", fügte er in der Gazzetta dello Sport hinzu.

Der verärgerte Italiener räumte derweil ein, dass es "weh tat" ein Rennen welches er "hätte gewinnen können" so beenden zu müssen. "Es ist eine harte Zeit, aber wir werden sie überstehen", gab der Pechvogel des Jahres weitere Durchhalteparolen aus. Seine Hoffnung auf "etwas mehr Glück" wird aber irgendwann erhört werden. Schließlich gilt für ihn nicht nur jene Weisheit, welche im Laufe eines Jahres alles ausgleicht, sondern auch jene, die besagt, dass auch sein Zyklus der Defekte und Ausfälle eines Tages zu Ende gehen wird. Die Frage ist nur wann?

Nicht viel besser endete der Sonntag für den zweiten Schattenmann Juan Pablo Montoya. Nachdem er und das Team eine angeblich "neue" Regel sowie die damit verbundene rote Ampel am Ausgang der Boxengasse übersehen hatten, bekam der McLaren-Pilot mit der Startnummer 10 stattdessen eine schwarze Flagge zu Gesicht.

JPM hatte die Augen bei der Boxenausfahrt nicht weit genug offen., Foto: Sutton
JPM hatte die Augen bei der Boxenausfahrt nicht weit genug offen., Foto: Sutton

Für McLaren-CEO Martin Whitmarsh, der sich schon nach dem Europa GP über die Reifenregeln aufregte, war diese Entscheidung der Rennstewards "zu hart". Er hatte vielmehr mit einer Drive-Through-Strafe gerechnet. "Die Stewards haben eine Entscheidung getroffen, die nicht nur ziemlich hart erscheint, sondern auch das Qualifying in Indy beeinträchtigt."

Letztlich müssen die Silbernen nun aber "damit leben", weshalb Norbert Haug die Schuld für das Vergehen 50:50 auf den Fahrern und das Team verteilt. "Sicherlich sind beide verantwortlich. Der Fahrer muss schauen und das Team ebenfalls. Aber meines Wissens ist dies eine neue Safety Car Regel und wir hatten einfach nicht genügend Übung darin."

Der vom Erfolg besessene Ron Dennis war unterdessen einfach nur darüber verärgert, dass man "gegen schwarze Flaggen nicht protestieren" könne.

Ferrari dankt dem Chaos

All die Ausfälle, Disqualifikationen und Probleme der anderen Teams spielten einem Rennstall in die roten Hände: Ferrari. Entsprechend betonte Teamboss Jean Todt trotz des doppelten Podiumsbesuchs seiner Fahrer ehrlich: "Wir dürfen nicht vergessen, dass viele Autos vor uns ausgeschieden sind und wir die Safety-Car Phase brillant ausnutzen konnten."

So freut sich ein siebenfacher Chamion über P2., Foto: Sutton
So freut sich ein siebenfacher Chamion über P2., Foto: Sutton

Ins gleiche Horn stieß auch Michael Schumacher, der immerhin sein bestes Saisonergebnis aus Imola einstellen konnte. "Man muss realistisch bleiben. Wir wissen, was hätte sein können, wenn es normal gelaufen wäre. Dann wäre es wahrscheinlich Platz fünf geworden." Aber auch dies wäre für die Ansprüche von Ferrari und Jean Todt zu wenig gewesen. "Das Ergebnis ist ermutigend. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass es unser Ziel ist, zu gewinnen. Das ist uns wieder nicht gelungen."

Die Teamanalyse

Renault Bis zu jenem folgenschweren Doppelausfall sah Renault wie der große Gewinner des Rennwochenendes auf der Ile de Notre Dame aus. So konnten die Gelb-Blauen nicht nur beweisen, dass ihr R25 dem MP4-20 auf dieser Strecke ebenbürtig, wenn nicht sogar besser, war, sondern machte Flavio Briatore auch seine Ankündigung wahr und ließ seine beiden Fahrer ohne Rücksicht auf die WM gegeneinander antreten. Danach kehrte sich jedoch die Situation des vorangegangenen Wochenendes um: Während Briatore sich am Nürburgring noch darüber gefreut hatte, dass er McLaren und Räikkönen in einen Fehler treiben konnte - welcher nicht wirklich ein "Fehler" war -, war es diesmal Alonso der einen richtigen Fehler beging und dadurch die WM offener gestaltete.

Die gelb-blauen Autos kamen nicht in den Parc Fermé., Foto: Sutton
Die gelb-blauen Autos kamen nicht in den Parc Fermé., Foto: Sutton

McLaren Ausgerechnet das wohl beste Wochenende des Kolumbianers Juan Pablo Montoya endete mit einer unnötigen Disqualifikation, welche sich das Team und der Fahrer hätten ersparen können. Ob nun - entgegen den Beteuerungen der Teamführung - der verspätete Boxenstopp des Südamerikaners nur ein taktischer Fehler oder gar eine taktische Finte, um Räikkönen in Führung zu bringen, war, wird sich nicht mehr nachweisen lassen, es war aber auf alle Fälle der Anfang vom Ende für Montoya. Für Kimi scheint die Jagd auf den WM-Spitzenreiter nun endgültig eröffnet. Der Saison kann dies nur gut tun.

Williams Nicht gut taten Nick Heidfelds Motor der Material mordende Kurs und die Windschattenfahrten hinter Felipe Massa. Entsprechend verpasste der Deutsche, der im Rennen abermals eine fehlerfreie Leistung ablieferte und im Gegensatz zu Jenson Button oder Fernando Alonso nicht in der Mauer landete, einen möglichen Podestplatz, welchen er allerdings auch nur den vielen Ausfällen zu verdanken gehabt hätte. Seinen Teamkollegen Mark Webber hatte er - selbst im für beide von Fehlern geprägten Qualifying - klar im Griff. Sollten nun bald die Querelen im Umfeld beseitigt sein, steht bei einer entsprechenden Leistungssteigerung weiteren Erfolgen nichts mehr im Wege.

Jarnos Podestträume endeten jäh., Foto: Sutton
Jarnos Podestträume endeten jäh., Foto: Sutton

Toyota Geerbt hätte Heidfeld seinen dritten Podestplatz in Folge von Jarno Trulli, der das erste Bremsopfer des Circuit Gilles Villeneuve wurde. Insgesamt bewahrheitete sich, dass der Stop-And-Go-Kurs den Japanern nicht allzu gut liegt, auch wenn sie hier sehr viel besser als in Imola unterwegs waren. Aus eigener Kraft hätte es keiner der beiden Fahrer auf das Podest geschafft. Im internen Duell zog Ralf - trotz eines leichteren Autos - wiederum den Kürzeren gegen seinen italienischen Teampartner - und das auf einer Strecke, die dem Deutschen traditionell gut liegt.

Ferrari Dass man auch ohne ein absolut konkurrenzfähiges Auto oder ein perfekt verlaufenes Wochenende beide Autos auf das Podest bringen kann, bewies die Scuderia Ferrari unter gütiger Mithilfe diverser äußerer Einflüsse und Umstände. Dennoch waren die Roten aus eigener Kraft nicht mit Renault oder McLaren konkurrenzfähig. Aber immerhin hat sich im Vergleich zu den ersten sieben Saisonrennen ein wesentlicher Faktor, wenn auch nicht unbedingt der Speed, verbessert: Das Glück scheint Ferrari wieder hold zu sein.

Red Bull Und auch bei den roten Bullen musste man am Sonntag auf das Glück setzen. Denn rein von der Pace her war der RB1 in Kanada nicht konkurrenzfähig. Die hohe Ausfallquote und die vielen Zwischenfälle brachten den beiden Bullenbändigern aber immerhin zwei Punkteplatzierungen ein, welche sie angesichts der wieder erstarkten Rivalen im Kampf um die Punkteränge auch dringend nötig haben.

Auch sein voller Einsatz half JV nicht., Foto: Sutton
Auch sein voller Einsatz half JV nicht., Foto: Sutton

Sauber Zu diesen Rivalen zählt unter anderem das Schweizer Sauber Team, welches trotz der Streitigkeiten rund um Jacques Villeneuve ein positives Wochenende verlebte und mit Felipe Massa überlebenswichtige Zähler einfuhr. Der Lokalmatador verlor hingegen schon am Start seine Chancen auf eine Topplatzierung als er Takuma Sato ins Heck fuhr. Zumindest nach außen brachte das Kanada-Wochenende aber eine Versöhnung zwischen dem Ex-Champion und seinem Buch führenden Teamchef.

B·A·R Alles andere als versöhnlich verlief das sechste Saisonrennen von British American Racing. Denn nach zwei Rennen Sperre und sechs Nullrunden steht der amtierende Vizeweltmeister auch nach acht Rennwochenenden noch ohne jeden WM-Punkt da. Dabei hielt Jenson Button die Chance auf einen Podestplatz in seinen eigenen Händen, als er den 007 in die Wall of Champions setzte und damit eine für den späteren Rennausgang nicht unwichtige Safety-Car-Phase heraufbeschwor. Ob JB tatsächlich einmal dem Titel der berüchtigten Mauer gerecht wird oder ob man diese für ihn, als einziges Opfer des Jahres, in Wall of future Champions umtaufen muss, wird nur die Zukunft zeigen können.

Der Inder musste sich einiges anhören., Foto: Sutton
Der Inder musste sich einiges anhören., Foto: Sutton

Jordan Noch ungewisser als die Zukunft von Jenson Button ist jene von Jordan/Midland, die auch in Kanada mehr abseits denn auf der Strecke für Schlagzeilen sorgten. Sportlich gesehen stand hierbei der Inder Narain Karthikeyan im Mittelpunkt des Interesses und der Kritik von Geschäftsführer Colin Kolles. Seine vielen Dreher und der frühe Ausfall dürften dies nicht gerade gebessert haben. Tiago Monteiro stellte unterdessen einen neuen Rookie-Rekord von acht Zielankünften in acht Rennen auf. Das war allerdings auch die einzige positive Nachrichte des gelben Wochenendes.

Minardi Bei Minardi sprach Paul Stoddart unterdessen trotz eines Ausfalles von Patrick Friesacher vom besten Rennen des Jahres. Und tatsächlich: Die kleine Truppe aus Faenza und Ledbury setzte ihren Aufwärtstrend fort und scheint den Rückstand auf Jordan weiter verkürzt zu haben. Entsprechend dürfen wir in den kommenden Wochen der längsten F1-Saison aller Zeiten nicht nur einen packenden Titelkampf zwischen Renault und McLaren, sondern auch ein heißes Duell um die letzten Ränge erwarten.

Der WM-Ausblick

"Um die WM zu gewinnen, müssen wir noch viel mehr Rennen gewinnen", kündigte Ron Dennis das silberne Motto für die nächsten WM-Läufe an. Für Renaults Pat Symonds hat sich dennoch "nichts verändert".

"Wir sind nach dem schwierigen Rennen in Monaco zurückgekommen und wir werden auch diesen Rückschlag wegstecken und zurückkommen", prophezeite der Renault-Chefstratege. "Es wird zweifelsohne eine verdammt gute Weltmeisterschaft werden."

Noch stehen elf packende Rennen aus., Foto: Sutton
Noch stehen elf packende Rennen aus., Foto: Sutton

Zustimmung erhält er von RenaultF1-Boss Patrick Faure. "Wir stehen jetzt vor einer ähnlichen Situation wie nach dem ernüchternden Rennen in Monaco. Wir führen immer noch ziemlich komfortabel, und es gibt keinen Grund zur Panik." Denn Faure ist sich sicher: "Der Renault R25 war in Kanada das beste Auto des Feldes. Wir waren mit harten Reifen schneller als beide McLaren – und die hatten weiche Reifen drauf."

Demzufolge stechen für ihn in dieser Saison "zwei Formel 1 Teams" aus den zehn Rennställen heraus: Renault und McLaren. "Bisher waren wir besser, und wir werden alles geben, damit das auch bis zum Ende der Saison so bleibt."

Und dann ist da noch einer, der in den letzten fünf Jahren am Ende immer die rote Kappe vorne hatte, und auch jetzt noch ankündigt: "Unsere Zeit wird kommen und unsere Wettbewerbsfähigkeit zurückkehren." Nur "wann", kann Michael Schumacher "nicht vorhersagen".