Sebastian Vettel stellt die klassische Rollenverteilung zwischen den Top-Teams von Mercedes und Ferrari in Frage. Statt silbernen und roten Paradestrecken glaubt der WM-Leader, seinem Titelrivalen Lewis Hamilton bei den 2017 noch ausstehenden acht Rennen jederzeit die Stirn bieten zu können: "Ich denke, es gibt ab jetzt keine Rennstrecke mehr, vor der wir Angst haben müssen."

In der ersten Saisonhälfte zeichnete sich im Kampf zwischen Mercedes und Ferrari ein relativ klares Bild ab. Der F1 W08 des Weltmeister-Teams galt auf Kursen mit schnellen Passagen, die einen hohen Vollgas-Anteil haben und viel Leistung verlangen, als Favorit. Der Ferrari SF70-H hingegen war der Joker für besonders winklige Rennstrecken, auf denen viel mechanischer Grip gefordert ist.

Für die zweite Halbzeit schien klar, an welchen Orten welcher Rennstall die Oberhand haben würde. Für Spa-Francorchamps sagten dementsprechend viele Experten der Scuderia eine harte Zeit voraus, doch Vettel belehrte sie eines Besseren. Das nur knapp gegen Hamilton verlorene Rennen lieferte für ihn den Gegenbeweis. "Wenn wir das mit Silverstone vergleichen, war das ein Unterschied wie Tag und Nacht", so der 30-Jährige.

Nicht nur, dass Vettel das gesamte Rennen in Schlagdistanz zum Mercedes war. Er schnappte Hamilton in der heißen Schlussphase auch die schnellste Rennrunde vor der Nase weg. Ein deutliches Zeichen dafür, dass der Ferrari auf dem Highspeed-Kurs in den Ardennen das Zeug zum Sieg hatte. Hamilton glaubte gegenüber Motorsport-Magazin.com sogar, das langsamere Auto gehabt zu haben: "Ferrari war schneller, ich habe definitiv nicht wegen der Rennpace gewonnen."

Hamilton gelang es in Spa nicht, Vettel abzuschütteln, Foto: Sutton
Hamilton gelang es in Spa nicht, Vettel abzuschütteln, Foto: Sutton

Verliert Ferrari wieder den Anschluss?

Mercedes war in Belgien bereits mit der neuen Ausbaustufe seiner Power Unit unterwegs, während Ferrari in diesem Bereich noch nicht nachgelegt hat. Die Teamführung rund um Toto Wolff entschied sich offenbar dazu, weil ab dem kommenden Rennen in Monza neue Regeln gelten: Alle ab dem 13. Rennwochenende eingeführten Verbrennungsmotoren dürfen nur noch 0,9 Liter Öl auf 100 Kilometer verbrauchen.

Wenn Ferrari die nächste Weiterentwicklung seiner Antriebseinheit ins Rennen schickt, unterliegt diese den neuen Beschränkungen - während Mercedes weiterhin auf 1,2 Liter Öl zurückgreifen kann. Die Performance von Spa sorgte bei Vettel für jede Menge Optimismus hinsichtlich Power-Strecken. Mit Monza ist gleich der nächste Kurs dieser Art an der Reihe, anlässlich dessen auch die Scuderia auf Motorenseite nachlegen könnte.

Nachdem die Power Unit aus Maranello in Belgien gegen Mercedes' Update bestehen konnte, ist fraglich, inwiefern ein kurzfristiges Nachziehen von Ferrari hinsichtlich der Performance notwendig ist. Auf der anderen Seite werden die Motoren der Italiener früher oder später das Ende ihrer Lebensdauer erreichen, womit neue Teile unumgänglich sind. Egal wann Ferrari seinen neuen Verbrennungsmotor bringt: Es wird spannend, inwiefern sich die Beschränkung beim Ölverbrauch auf das Kräfteverhältnis auswirkt.

2015 war Vettel im Ferrari in Singapur bereits siegreich, Foto: Sutton
2015 war Vettel im Ferrari in Singapur bereits siegreich, Foto: Sutton

Asien-Tournee in der Formel 1: Gute Erinnerungen für Ferrari

So oder so wird Ferrari nach Monza an die Highspeed-Strecke schlechthin einen Haken machen dürfen. Einen höheren Vollgas-Anteil als die 75 Prozent, welche den Boliden auf dem Autodromo Nazionale Monza abverlangt werden, gibt es im Formel-1-Kalender nicht. Gleich nach dem Rennen auf dem italienischen Traditionskurs folgt eine der Achillesfersen von Mercedes. "Wir wissen, es kommen Strecke auf denen wir Defizite hatten - und eine davon ist schon bald an der Reihe", weiß Silberpfeil-Teamchef Toto Wolff.

Die Rede ist von Singapur. Der Stadtkurs in Südostasien ist neben Budapest eine von drei Rennstrecken, auf denen die Kombination Vettel und Ferrari in der Saison 2015 siegreich war. Letztes Jahr ging Ferrari dort zwar sang- und klanglos unter, doch nach Monaco und Budapest dürfte klar sein, dass Mercedes die Stärken SF70-H dort zu Recht fürchtet. Die zweite Runde der Asien-Tournee steigt in Sepang. Auch hier war Ferrari 2015 erfolgreich. Der für die vergangene Saison neugelegte Asphalt könnte Vettel beim Reifenmanagement in die Karten spielen.

Auf jungen Strecken wie Sochi und neuen Asphaltoberflächen wie in Budapest oder auf dem Red Bull Ring, kam Ferrari am Sonntag mit den Pirelli-Pneus immer besonders gut zurecht. Mercedes gewann zwar in Russland und Österreich, allerdings lag Valtteri Bottas jeweils nur hauchdünn vor Vettel, der in den Schlussrunden jeweils die bessere Pace hatte. Vor allem für Hamilton scheinen die glatten Oberflächen ein Problem darzustellen, wenn es darum geht, den Reifen ins richtige Temperaturfenster zu bringen.

Wie lang ist Ferraris Atem?

Danach folgen jedoch Rennstrecken, auf denen Ferrari in der Hybrid-Ära bisher noch keinen Blumentopf gewinnen konnte, Mercedes aber umso dominanter war. In Suzuka, Austin, Mexiko City, Interlagos und Abu Dhabi ist Mercedes bisher ungeschlagen. Für Ferrari entwickelte sich die Saison 2016 auf ebendiesen Rennstrecken zu einem regelrechten Debakel, als die Italiener vom wiedererstarkten Red Bull überrollt wurden.

Im Entwicklungsrennen sahen die Ingenieure aus Maranello zuletzt ziemlich blass aus. Andererseits ist offen, welche Sprünge Mercedes bei der Weiterentwicklung in der Schlussphase der Saison leisten kann. In den vergangenen Jahren war das Team derart dominant, dass in diese Richtung in den finalen Zügen der Rennsaison nicht sonderlich viel unternommen werden musste.

Die Tatsache, dass sich Ferrari 2017 einfach nicht abschütteln lassen will, stellt Toto Wolff und seine Truppe vor eine ganz neue Herausforderung. "Sie pushen sehr hart und es war wieder eine gute Erinnerung für uns, dass wir weiterhin alle Hebel in Bewegung setzen müssen. Wir müssen das Auto weiter verbessern und es richtig verstehen, um abzuliefern", so der Österreicher.

Dass Zahlen und Statistiken nicht immer richtig liegen, unterstrich Ferrari-Teamchef Maurizio Arrivabene nach der starken Vorstellung in Spa. "Auf dem Papier sah es vor dem Rennen so aus, als läge uns der Kurs nicht besonders", so der Italiener. "Wir haben aber gezeigt, dass wir bis zur letzten Kurve in der Lage waren, um den Sieg zu kämpfen."