Eigentlich scheinen die Verhältnisse bei Mercedes und Ferrari längst geklärt: Lewis Hamilton und Sebastian Vettel ziehen als Speerspitzen der Top-Teams in den Titelkampf. Valtteri Bottas und Kimi Räikkönen dürfen aus der zweiten Reihe maximal Hilfestellung geben, wenn es darum geht dem jeweiligen Gegner wichtige Punkte wegzunehmen. Angesichts des momentanen Rückstandes von 80 Zählern auf den WM-Leader scheint es bei Räikkönen wohl oder übel auf dieses Szenario hinauszulaufen. Anders beim Finnen in Mercedes-Diensten: Bottas ist selbst noch ein Eisen im WM-Kampf.

Lediglich 42 Zähler fehlen dem Sieger des diesjährigen Russland GP aktuell auf WM-Spitzenreiter Vettel. Auf Stallgefährte Hamilton sind es sogar nur 28 Punkte. Nach Monaco betrug der Rückstand auf den Ferrari-Piloten schon einmal 54 Punkte. Auf Hamilton fehlten zwischenzeitlich deren 36. Grund genug für Bottas, um weiterhin selbst Ansprüche auf den Weltmeistertitel zu melden. "Die Saison ist noch nicht einmal zur Hälfte um und es gibt noch so viele Punkte zu holen", so der Finne nach seinem zweiten Platz in Baku, mit dem er weitere sechs Punkte auf Vettel gutmachte. "Da ist noch nichts gewonnen oder verloren."

In Kanada und Aserbaidschan holte er kumuliert zwölf Punkte auf Vettel auf. Eine gute Quote, die ihm allerdings nicht vollends aus eigener Kraft gelang. In beiden Rennen griff Bottas das Glück unter die Arme, denn in Montreal geriet der Ferrari-Fahrer mit Max Verstappen aneinander und in Baku mit Silberpfeil-Teamkollege Hamilton. Wohl auch deshalb scheint Bottas immer noch daran zu glauben, dass der WM-Traum für ihn immer noch nicht ausgeträumt ist. "Es hat sich gezeigt, dass die Rennen auch anders laufen können und alles möglich ist, um im Kampf um die WM dabei zu sein", ist er sich seiner Chancen sicher.

Auf der anderen Seite zeigte sich in diesem Jahr bereits, dass er aus solchen Rennverläufen nicht immer selbst als Profiteur hervorgeht. In Barcelona und in Baku trug er mit Kollisionen in der Startphase höchstpersönlich zum Chaos bei und nahm sich obendrein selbst die Möglichkeit auf bessere Resultate. Ohne derartige Ausfallerscheinungen könnte er in der WM deutlich näher an der Spitze dran sein, als es zurzeit der Fall ist. Abgesehen davon konnte Bottas zwar vereinzelt mit starken Vorstellungen überzeugen, die ganz großen Ausrufzeichen waren bislang jedoch rar.

WM-Kampf: Bottas hat es schwerer als Rosberg

Bisher gelang es ihm lediglich in Russland die Favoriten Vettel und Hamilton beide hinter sich zu lassen. Ansonsten hatte er stets hinter einem der Hauptkonkurrenten das Nachsehen. Dabei könnte er mit dem in dieser Saison erneut stark aufgelegten Silberpfeil viel besser dastehen, hatte Hamilton in Sochi, Monaco und Baku doch bereits drei durchwachsene Wochenenden. Doch während sein Vorgänger Nico Rosberg im vergangenen Jahr auf dem Weg zum WM-Titel stets zur Stelle war, wenn Hamilton strauchelte, steht Bottas vor einer deutlich größeren Herausforderung.

Anders als in den vergangenen drei Jahren ist im Kampf um den Sieg wieder ein zweites Team im Spiel. Im Gegensatz zu damals ist der Job also noch längst nicht erledigt, wenn Hamilton einen schlechten Tag hat oder von der Technik gestoppt wird. In Russland holte Bottas mit dem Triumph das Maximum heraus, in Monaco und Baku gelang ihm das jedoch nicht. Einmal waren es das Ferrari-Duo und Daniel Ricciardo, die ihm zuvorkamen - beim anderen Mal nur der Australier im Red Bull. In der Vergangenheit hätte er es mit dem Mercedes da deutlich einfacher gehabt.

Von wegen Nummer zwei? Valtteri Bottas will weiter im Titelkampf bleiben, Foto: Mercedes-Benz
Von wegen Nummer zwei? Valtteri Bottas will weiter im Titelkampf bleiben, Foto: Mercedes-Benz

In der zweiten Saisonhälfte könnte ihm obendrein das eigene Team einen Strich durch die Rechnung machen. Im Duell Hamilton vs. Rosberg hatte es die silberne Teamführung verhältnismäßig einfach. Die Wahrscheinlichkeit, dass einer ihrer beiden Fahrer am Ende ganz oben auf dem Treppchen stehen würde, war stets hoch. Von Ferrari oder einem anderen Team ging selten eine Gefahr aus, weshalb Toto Wolff seine Piloten nur hin und wieder zurechtstutzen musste, wenn sie aneinandergerieten. Einen der beiden zurückzupfeifen oder als rollende Schikane gegen einen Konkurrenten einzusetzen, stand angesichts der Mercedes-Dominanz nie zur Debatte.

In Baku forderte Hamilton aber bereits in gewohnter Alphatier-Manier den Kommandostand auf, Bottas' Rennen für seine WM zu opfern. Der Brite bat im Boxenfunk darum, dass der Teamkollege die Jagd nach dem Zweitplatzierten Lance Stroll einstellt und stattdessen Vettel einbremst, damit er den Titelrivalen im Ferrari noch abfangen kann. Mercedes ließ sich darauf in Aserbaidschan allerdings nicht ein. Innerhalb der Silberpfeil-Garage dürfte jedoch kaum ein Zweifel daran bestehen, dass Hamilton im WM-Kampf das heißere Eisen ist. Bottas wird sich also schon einmal auf Situationen einstellen dürfen, in denen Wolff sich dazu gezwungen sieht, anders zu entscheiden.

Valtteri Bottas kommt bei Mercedes bisher gut an, doch Hamilton fordert bereits seinen Status ein, Foto: Sutton
Valtteri Bottas kommt bei Mercedes bisher gut an, doch Hamilton fordert bereits seinen Status ein, Foto: Sutton

Bottas fährt um seine Vertragsverlängerung

Andererseits dürfte eine Kooperationsbereitschaft seitens Bottas in solchen Fällen auch der Erhaltung des Arbeitsplatzes zuträglich sein. Der mit einem Einjahresvertrag ausgestattete Finne hat sich in der ersten Saisonhälfte mit der Premieren-Pole in Bahrain sowie dem ersten Formel-1-Sieg in Sochi um seinen Platz im Mercedes-Werksteam verdient gemacht. Auch in Sachen Teamorder zeigte er Verständnis, obwohl dieses Szenario bisher nur in Bahrain und in Barcelona eintrat. Von der Teamführung und von Hamilton gab es bisher nur positive Kritiken für den schnellen Teamplayer. "Es ist natürlich sehr schön, das von Lewis zu hören, ein solches Kompliment vom Teamkollegen", zeigt sich Bottas geschmeichelt.

Bisher hält sich die Mercedes-Chefetage in Sachen Vertragsverlängerung für Bottas allerdings bedeckt. Sorgen macht sich der 27-Jährige deshalb aber keine. "Es gibt wirklich keine Eile. Es ist noch früh und ich schiebe keine Panik oder so. Für mich ist die Situation okay", versichert er. Für ihn scheinen späte Vertragsunterzeichnungen mittlerweile Usus zu sein: "Ich war in meiner Karriere immer in diese Situation, dass nichts bevor August oder September sicher war. Das ist also in Ordnung." Andererseits weiß er auch, dass er keinesfalls nachlassen darf und weitere Vorstellungen wie in Sochi bei den Verhandlungen Gold wert sind. "Natürlich willst du gute Rennen fahren und zeigen, dass du auf dem Level bist, auf dem ein Fahrer in diesem Team sein soll." Zum bei Mercedes gewünschten Gesamtpaket dürfte in der heißen Phase der WM allerdings auch die Akzeptanz eines Wasserträger-Status gehören.