Nach sieben Rennen dürfte mittlerweile kein Zweifel mehr daran bestehen, dass Ferrari mit dem SF70-H der große Wurf gelungen ist: Seit dem Auftakt in Australien führt Vettel die Fahrer-WM an, während sich Lewis Hamilton lediglich in der Verfolgerrolle winderfindet. Zwei der letzten drei Grand Prix gingen jedoch an den Rivalen im Silberpfeil. Ferraris 17 Punkte Vorsprung in der Konstrukteurs-WM verwandelten sich dadurch in einen Rückstand von acht Zählern. Hat Mercedes zurück zu alter Stärke gefunden oder kann Ferrari den Spieß in Aserbaidschan wieder umdrehen?

Während Ferrari als Team in Kanada durch die Plätze vier und sieben von Vettel und Räikkönen mit der Tabellenführung insgesamt 25 Punkte auf Mercedes verlor, sieht die Statistik der letzten drei Rennen deutlich besser aus. In Spanien, Monaco und Kanada waren es lediglich sieben Punkte, welche die Scuderia liegenließ. Obwohl Hamilton zwei Mal siegreich war, verlor Vettel im direkten Vergleich mit dem Kontrahenten nur einen Punkt. Hamilton kommt an den drei genannten Rennwochenenden auf 56 Zähler, für Vettel war die Ausbeute mit 55 Punkten nur geringfügig schlechter.

Die Zahlen zeigen, dass vor allem das Rennen in Montreal den italienischen Traditionsrennstall zuletzt zurückwarf. Während Räikkönen das ganze Wochenende mit der Balance seines Boliden haderte, war Vettel mit Startplatz zwei an der Seite von Polesitter Hamilton durchaus ein Siegkandidat auf dem Circuit Gilles-Villeneuve. Letztendlich waren es die Startkollision mit dem Red Bull von Max Verstappen und der darauffolgende Reparatur-Stopp, welche Vettel um ein besseres Ergebnis brachten. "Wenn du nach sechs Runden Letzter bist, ist alles ein Gewinn. Aber bei der Pace war heute mehr drin als P4", so der Ferrari-Pilot nach dem Rennen.

Trotz des silbernen Doppelsieges von Montreal ist laut Mercedes-Aufsichtsrat Niki Lauda der Bolide der Scuderia unter dem Strich noch um Nuancen voraus. "Für Lewis und Valtteri ist der Grenzbereich zwischen Durchkommen und Abfliegen noch dünner als bei Vettel. Das Verhalten des Hecks ist nicht so vorhersehbar, wie sich die Fahrer das wünschen. Beim Ferrari ist das besser", so der Österreicher.

In Baku könnte es zum nächsten direkten Schlagabtausch zwischen Vettel und Hamilton kommen, Foto: Sutton
In Baku könnte es zum nächsten direkten Schlagabtausch zwischen Vettel und Hamilton kommen, Foto: Sutton

Ferrari-Duo auf dem Papier im Vorteil

Beim kommenden Rennen auf dem ultraschnellen Straßenkurs in Baku hat Ferrari alle Chancen, die Montreal-Scharte wieder auszuwetzen. Vor allem, da Mercedes-Speerspitze beim bisher einzigen Auftritt der Formel 1 in Aserbaidschan mit der Rennstrecke am Kaspischen Meer auf Kriegsfuß stand. Während Nico Rosberg im damals noch dominanten Silberpfeil entspannt zum Sieg fuhr, stellte Hamilton für das Ferrari-Duo keine Gefahr dar. Wie schon diese Saison in Sochi und Monaco, erlebte der Brite mit Platz fünf eine mittelschwere Katastrophe.

Vettel fuhr 2016 hinter dem späteren Weltmeister Rosberg auf Platz zwei und kam deutlich besser zurecht als Hamilton. Was die Teamkollegen angeht, so war Räikkönen vergangene Saison in Baku ebenfalls gut aufgelegt. Anders Bottas, der von seinem Williams-Teamkollegen Felipe Massa im Qualifying acht Zehntelsekunden aufgedrückt bekam. Dem Finnen hat die Rennstrecke in Aserbaidschan zumindest beim Premierenrennen offenbar nicht sonderlich geschmeckt. Beim Faktor Fahrer hat Ferrari auf dem Papier also schon einmal die Nase vorne.

Ohnehin war die Montreal-Niederlage für Vettel nur ein kleiner Rückschlag, der dem Glauben an sein Gesamtpaket keinen Schaden zufügen konnte. "Wenn das hier [in Montreal] jetzt ein Hin war, dann ist Baku hoffentlich wieder ein Her", so der viermalige Weltmeister. Hamilton ist jedoch überzeugt davon, dass sich sein eigenes Auf und Ab in Baku nicht fortsetzen wird: "Wenn wir weiter so sorgfältig arbeiten wie zuletzt nach jedem Rennen, auch wenn wir gewonnen haben, bin ich mir sicher, dass wir weiterhin an der Spitze kämpfen können - und das ohne eine Achterbahnfahrt wie bisher."

Wissenswertes über den Baku GP (00:52 Min.)

In Baku kein Reifenvorteil für Ferrari?

An den bisherigen Rennwochenenden schienen stets die Reifen das Zünglein an der Waage gewesen zu sein - und das Pendel schlug vor allem Sonntag oftmals in Richtung Ferrari aus. Während Mercedes mit dem Ultrasoft seine liebe Mühe hatte, stimmte die Balance bei Ferrari auf allen Mischungen. "Es sind die Kurse mit weniger Grip, wo sie etwas mehr Probleme gehabt haben", so die Mercedes-Diagnose von Pirelli-Mann Paul Hembery. In Baku jedoch kommt der Ultrasoft nach zuletzt zwei Rennen in Folge nicht zum Einsatz. Für Ferrari könnte das zum Nachteil werden.

Der aggressive Asphalt der temporären Rennstrecke dürfte den Silberpfeilen helfen, den Pirelli-Pneu ins Arbeitsfenster zu bekommen. Sollte dies eintreten, könnte Hamilton die ohnehin schon unbestechliche Pace des F1 W08 sowohl auf Qualifying- als auch auf Long-Runs nutzen. Ferraris Vorteil in Sachen Rennpace würde dadurch eklatant geschmälert. In Sachen Reifensätze herrschen beim Großen Preis von Aserbaidschan zwischen den beiden Top-Teams aber zumindest schon einmal gleiche Voraussetzungen: Alle vier Piloten haben jeweils den verpflichtenden Satz Medium sowie vier Sätze Soft und acht Sätze Supersoft im Gepäck.