"Kimi Räikkönen konnte mit seinem Zitter-Sieg beim Grand Prix von Europa weitere zehn WM-Punkte einfahren. Sein WM-Rivale Fernando Alonso, der Zweiter wurde, führt in der WM zwar immer noch mit 57 Punkten, doch Räikkönen liegt nur noch 20 Zähler hinter dem Spanier." So hätten die Berichte ausgesehen, wenn vor einer Woche die Radaufhängung des MP4-20 nicht kollabiert wäre und Räikkönen den Sieg einfahren hätte können. Doch der Rückstand von Räikkönen in der WM-Tabelle beträgt nach der Nullrunde auf dem Nürburgring reale 32 Punkte. Ein Rückstand, der nur schwer einzuholen ist, weil der WM-Leader stets in die Punkteränge fährt...

Doch Kimi Räikkönen bleibt optimistisch. Gegenüber der BBC erklärte der "Iceman": "Es sind noch viele Rennen zu fahren. Wir versuchen einfach, die kommenden Rennen zu gewinnen. Und dann werden wir ja sehen, wo wir stehen."

Das mag für manche überheblich oder weltfremd klingen - doch in Wahrheit sitzt Räikkönen derzeit im mit Abstand besten Formel 1-Auto. Bei den Tests im britischen Silverstone bewies Räikkönen eindrucksvoll die Stärke seines Boliden. Am letzten Testtag steigerte er sich gegenüber dem Vortag um eine volle Sekunde und war um 1,5 Sekunden schneller als das gesamte Feld. Und zu diesem gehörte auch WM-Leader Fernando Alonso, der in seinem Renault R25 um fast drei Sekunden langsamer als der Finne fuhr. Sicherlich sind Testfahrten wenig aussagekräftig - aber derartige Performanceunterschiede sind doch auffällig. Kein Wunder also, dass viele Experten immer noch auf einen Weltmeister namens Kimi Räikkönen setzen...

Der schmallippige Finne erkennt, dass er unter Zugzwang steht - denn auch in der Eifel gab es nur einen Weg, der sich anbot: "Wir mussten mehr Punkte als Alonso machen, weshalb wir keinen Grund sahen, an die Box zu fahren, Dritter zu werden und sechs Punkte zu kassieren - denn das ist nicht unser Ziel." Räikkönen weiß genau, dass er nur mit Siegen aufholen kann. Vor allem dann, wenn Alonso auf Rang 2 liegt...

Und deshalb bereut Kimi auch heute nicht, dass er und sein Team auf dem Nürburgring auf Risiko gesetzt haben: "Ein Stopp stand außer Frage. Wir versuchten, das Rennen zu gewinnen und wenn die Aufhängung nicht ihren Geist aufgegeben hätte, hätten wir auch gewonnen. Das ist sicherlich enttäuschend - aber was kann man schon dagegen tun? Wir gaben unser Bestes. Man hofft dann halt, dass die Aufhängung noch eine weitere Runde hält. Weil sie zuvor schon so lange gehalten hat - aber an diesem Tag hat sie eben nicht gehalten."

Ein weiterer Aspekt sei die Unklarheit gewesen: "Du weißt nicht, wie schlecht ein Reifen beieinander sein muss, bevor du ihn austauschen darfst. Und wenn wir ihn ausgetauscht hätten, hätte es immer noch sein können, dass die FIA sagt: 'Der Reifen war nicht ausreichend beschädigt und daher bestrafen wir euch'." Zugleich gibt Räikkönen offen zu, dass man in diesem Fall wahrscheinlich auch bei einem klaren Reglement das Risiko vorgezogen hätte: "Wir hätten auf jeden Fall den ersten Platz verloren, weshalb wir einfach den Poker riskiert haben. Leider hat es sich nicht ausgezahlt."

Ein wesentlicher Faktor, der Räikkönen und McLaren unter Zugzwang setzt, ist die Entwertung des Sieges durch das aktuelle Punktesystem. Konnte man früher vier Zähler aus einem Sieg herausschlagen, sind es heute nur noch zwei. Dieses System belohnt Zielankünfte, es bestraft Ausfälle jedoch bitterböse. Wie im vorliegenden Fall des Kimi Räikkönen. Selbst wenn er alle 12 ausstehenden Rennen gewinnen sollte, würde das nicht ausreichen, um Fernando Alonso abzufangen, wenn der Spanier jeweils als Zweiter über die Ziellinie preschen würde. Alonso wäre dann mit vier Siegen Weltmeister. Und Kimi Räikkönen wäre mit 14 Siegen Vizemeister. Fällt Alonso jedoch ein- oder mehrmals aus dem Rennen, sieht die Lage anders aus. Doch bislang sah er in allen sieben Läufen die Zielflagge, und immer in den Punkterängen...