Es ist ein geflügeltes Wort im Motorsport. Das so genannte Sandbagging. Zu Deutsch: Tiefstapelei. Allzugern werfen es sich die Top-Teams in der Formel 1 gegenseitig um die Ohren. Gerade in dieser Saison fühlt sich weder Mercedes noch Ferrari wohl in der Favoritenrolle. Zu eng geht es zwischen den beiden her.

So auch in Russland - obwohl es in den Training eigentlich alles andere als eng war. Sebastian Vettel brummte den Silberpfeilen im 2. Training fast schon unglaubliche 0,670 Sekunden auf. Eine Welt in der Formel 1. Alles schon durch in Sochi, ist Ferrari unschlagbar auf der Strecke, die einst als Mercedes-Land galt?

Vettel: Mercedes stapelt tief

Vettel selbst wollte nichts davon wissen. Bloß nicht in die Rolle des Favoriten rutschen, das, so schien es, war am Freitag sein größtes Anliegen. "Die haben heute sicherlich nicht alles gezeigt", war der Ferrari-Star und WM-Spitzenreiter überzeugt. "Und sie haben keine Runde zusammenbekommen. Der Abstand ist also nur künstlich."

Kann man nach den ersten beiden Trainings in Sochi wirklich glauben, dass Ferrari auf einer Runde mehr als eine halbe Sekunde schneller ist als Mercedes? Vermutlich nicht, weder im Qualifying, noch im Rennen. Besonders nicht am Samstag, wo Hamilton und Valtteri Bottas traditionell einen Extra-Boost zünden können.

Hamilton vs. Vettel: Das Duell geht in die nächste Runde (00:50 Min.)

Hamilton: Wir stapeln niemals tief

Also könnte Vettel Recht haben mit seiner Vermutung, dass Mercedes die Karten nicht ansatzweise auf den Tisch gelegt hat. Oder ist die Reifen-Problematik der bisherigen Saison in Russland so eklatant, dass die Silberpfeile tatsächlich in arge Schwierigkeiten geraten könnten?

Fakt ist: Hamilton und Bottas taten sich bislang schwer in Sochi mit seinem extrem glatten Asphalt. Deshalb widersprach der Brite seinem Kontrahenten im roten Auto vehement. "Wir stapeln niemals tief", versicherte Hamilton. "Das bringt auch überhaupt nichts. Ich denke, dass Ferrari das in der Vergangenheit gemacht hat. Aber uns bringt so etwas überhaupt nichts."

Mercedes tat sich am Freitag in Russland schwer, Foto: Mercedes-Benz
Mercedes tat sich am Freitag in Russland schwer, Foto: Mercedes-Benz

Hamilton dreht das Blatt herum

Mercedes versuche im Training stets, das Auto in die richtige Balance zu bringen. Und das sei in den Trainings eben schwierig gewesen. Mercedes versicherte kollektiv, dass die Lösung bis zum Qualifying am Samstag gefunden werden könne. Am Freitag war es ihnen aber offenbar nicht gelungen.

Die perfekte Gelegenheit für Hamilton, verbal zurückzuschlagen: "Sebastian versucht einfach, uns etwas vorzumachen. Wirklich, diese Jungs sind richtig schnell." Vermutlich wird sich Mercedes eher damit abfinden können, einen schnellen Gegner zu haben statt im Unklaren zu sein, warum das eigene Auto viel zu langsam ist. Dieses Szenario gab es einst in Singapur 2015, dem Horror-Wochenende der Silberpfeile.

Keine Erinnerungen an Singapur 2015

Eine Wiederholung von damals, als das Team die Reifennutzung überhaupt nicht in den Griff bekam, sollte es nicht geben. Das versicherte Motorsportchef Toto Wolff. "In Singapur 2015 waren wir das einzige Team ab vom Schuss", erklärte er. "Heute haben wir gesehen, dass ein Team extrem schnell war. Wir haben aber gute Hinweise darauf, was vor sich geht. Deshalb bleiben wir erst einmal entspannt."

In Sochi dreht sich einmal mehr vieles um die Pirelli-Reifen. Diese kniffligen Mischungen, die nur in einem sehr schmalen Arbeitsfenster ihr volles Potenzial ausschöpfen können. Ferrari kommt mit dieser Aufgabe bislang besser parat als das ähnlich schnelle Mercedes. "Je größer das Fenster, desto einfacher gelangst du hinein und bist schnell", stellte Wolff fest. "Je enger, desto schwieriger. Genau das sehen wir im Moment. Ferrari scheint ein Auto zu haben, dass in einem breiten Temperaturfenster robuster ist als unseres. Egal, ob im heißen Bahrain oder im kühleren Sochi. Das ist einfach ein sehr gutes Auto."

Wissenswertes über den Russland GP (00:46 Min.)

Mehr Momentaufnahme als Tiefstapelei

Fleißaufgabe für Mercedes also bis zum Qualifying: Aus den Daten herauslesen, wie der Reifen am besten funktioniert. Gelingt das, sollte es keine eklatanten Probleme geben. "Die Reifen fühlen sich sehr spitz an", sagte Hamilton. "Dadurch gerät man leicht aus dem Performance-Fenster. Aber wenn sie funktionieren, scheinen sie gut zu sein."

Nüchtern betrachtet, gilt das nicht als Tiefstapelei. Eher als Momentaufnahme. Nüchtern betrachtet, muss Mercedes allerdings wesentlich härter arbeiten, um überhaupt auf Ferraris Level zu gelangen...