Der Performance-Abbau der Reifen war in der Vergangenheit eines der ganz großen Themen im Fahrerlager. Nach Jahren der Kritik durch die Fahrer hatte Pirelli sich für 2017 vorgenommen, einen Gummi zu liefern, der dem ewigen Reifenschonen ein Ende setzen soll. Nach den Testfahrten in Barcelona sind sich die Piloten allerdings noch nicht einig, ob sie in der kommenden Saison wirklich aggressiver zu Werke gehen können.

"Du kannst nicht immer zu 100 Prozent pushen. Die Reifen bauen immer noch ab", gibt Lewis Hamilton zu Protokoll. Dabei lautete die Vorgabe für Pirellis neuen Reifen eigentlich: Vollgas ab 2017 auch wieder im Rennen und nicht mehr nur am Samstag im Qualifying. Trotz eklatant schnellerer Rundenzeiten - Kimi Räikkönens Bestzeit bei den diesjährigen Wintertests war vier Sekunden schneller als die schnellste Runde bei den 2016er Tests - spürt Hamilton nicht die große Revolution: "Es ist physisch anspruchsvoller, aber daran gewöhnst du dich. Aber insgesamt ist es für mich eigentlich dasselbe, wie letztes Jahr."

Seine bisherigen Erkenntnisse mit den Pneus sprechen offenbar nur für ein teilweises Erreichen von Pirellis Ziel. "Die Reifen sind viel härter als letztes Jahr und sie neigen definitiv weniger zum Überhitzen, aber sie tun es trotzdem noch. Und hier war es nicht einmal besonders heiß", gibt er sich skeptisch. In der Tat herrschte bei den Wintertests in Barcelona die meiste Zeit eine verhältnismäßig geringe Außentemperatur von etwa 17 Grad Celsius.

Breit, breiter, 2017: Doch gehören die Verschleiß-Probleme wirklich der Vergangenheit an?, Foto: Sutton
Breit, breiter, 2017: Doch gehören die Verschleiß-Probleme wirklich der Vergangenheit an?, Foto: Sutton

Hamilton und Kvyat einig: Pirelli bleibt Pirelli

Hamilton geht davon aus, dass die Charakteristik der Reifen auf einigen Rennstrecken wieder in ihre alten Muster zurückfallen wird. "Ich erwarte, dass es an Orten wie Malaysia nach wie vor einen großen Einbruch bei der Performance geben wird - und auch, dass es wieder Reifenabbau geben wird, wie es bisher der Fall war. Es wird nicht der Fall sein, dass wir in jeder Runde pushen können", schraubt er die Erwartungen herunter. Renault-Neuzugang Nico Hülkenberg denkt allerdings schon, dass Pirelli sich nicht noch einmal die Blöße geben will, derart herbe Kritik für sein Produkt einstecken zu müssen: "Ich glaube, Pirelli hat die echt auf der sicheren Seite gebaut, damit nicht die Dinge passieren, die in der Vergangenheit passiert sind."

Toro-Rosso-Pilot Daniil Kvyat äußert im Interview mit Motorsport-Magazin.com wieder, dass sich die neuen Pneus für ihn ebenfalls nicht wie die Neuerfindung des Rads anfühlen. "Sagen wir es mal so: Man kann immer fühlen, dass es Pirelli-Reifen sind", so der Russe, dessen Argumentation sich durchaus mit der Hamiltons deckt: "Das Gefühl, das vom Reifen ausgeht, hat sich vom vergangenen Jahr bis zu diesem nicht so sehr verändert. Sie sind sehr ähnlich" Auf der anderen Seite gibt er jedoch auch zu, dass ihm Vergleichsmöglichkeiten eines Hamilton fehlen: "Ich bin ja nie einen Michelin- oder Bridgestone-Reifen gefahren, deshalb kann ich das nicht so richtig beurteilen."

Pirelli erklärt die neuen Formel 1-Reifen (10:18 Min.)

Verschleiß muss sein

Beim Reifenhersteller ist man wiederum der Ansicht, dass die Ziele für 2017 erreicht wurden. Pirelli-Motorsportchef Mario Isola erklärt außerdem, dass es nie der Plan war, einen Reifen zu entwickeln, der gar keinen Performance-Abbau aufweist. "Wenn der Verschleiß nahe null ist, nutzt jeder die weichste Mischung immer und für alle seine Runden, bis auf die eine, wo sie einen anderen Reifen einsetzen müssen", gibt er zu bedenken.

Für strategische Schachzüge in den Rennen müssen die verschiedenen Reifenmischungen auch einen deutlich spürbaren Unterschied in Sachen Charakteristik aufweisen. "Die Anforderung war, unterschiedlichen Verschleiß zu haben - und nicht keinen", so Isola weiter, der dies als positiven Effekt auf die Show sieht. Das Hauptaugenmerk lag für laut ihm auf einem anderen Kritikpunkt der Fahrer: "Die Fahrer wollten, dass die Reifen nicht überhitzen, weil sie, wenn sie einem anderen Auto folgen, dann nicht noch einmal angreifen können."

In dieser Hinsicht, so Isola, hätten sich die Fortschritte bereits bemerkbar gemacht. "Wir haben hier einen großen Schritt im Vergleich zum letzten Jahr gemacht", so der Italiener. Lewis Hamilton kann nach zumeist einsamen Runden bei den Testfahrten jedoch auch dies nicht bestätigen: "Ich hatte dort draußen ehrlich gesagt keine Möglichkeit, es auszuprobieren", so der Brite. Seine Einschätzungen zum Überholverhalten 2017 klingen jedoch wenig optimistisch: "Das Problem ist das gleiche wie zuvor. Mit mehr Downforce brauchen wir mehr mechanischen Grip - sprich, mehr Grip von diesen breiten Reifen. Erwartet also nicht zu viel."