Mercedes hatte mit dem Gespann aus Lewis Hamilton und Nico Rosberg in den vergangenen vier Jahren jeweils ein kritisches, aber bekanntes Szenario zu bewerkstelligen. Mit Valtteri Bottas an der Seite des exzentrischen Star-Piloten verspricht 2017 eine gänzlich neue Situation für die Weltmeister-Truppe. Doch so unterschiedlich der allseits gesprächige Rosberg und der schweigsame Finne scheinen: Als adäquater Ersatz für den Weltmeister und Herausforderer für Hamilton, sollte Bottas zwangsläufig auch einige Parallelen zu seinem Vorgänger aufweisen.
Die spannendste Frage ist zweifelsohne, wie Bottas mit Platzhirsch Hamilton zurechtkommt - beziehungsweise wie dieser auf den neuen Gegner in den eigenen Reihen reagiert. Ganz im Gegensatz zu Bottas, war der Brite mit Rosberg aus vielen gemeinsamen Jahren im Kartsport bestens vertraut. "Zwischen Nico und Lewis war es schon okay, aber sie hatten jede Menge Ballast aus der Vergangenheit dabei. Jetzt ist es eine komplett neue Beziehung ohne Animositäten", so Teamchef Toto Wolff zu den gänzlich neuen Voraussetzungen im Mercedes-Duell.
Unter diesen Vorzeichen rechnet Wolff auch damit, dass sich die Lage gegenüber den Vorjahren zum Positiven bessern wird: "Es wird Momente geben, in denen es schwierig ist. Aber ich denke, dass ihre Persönlichkeiten eine gute Situation innerhalb des Teams schaffen werden und vor allem für eine, die etwas einfacher zu managen ist." Angesichts der unweigerlich aufkeimenden Rivalität zwischen zwei Stallgefährten, will er sich mit dieser Prognose jedoch nicht zu weit aus dem Fenster lehnen: "Ich könnte aber auch falsch liegen."
Rosberg: Lewis ist eine etablierte Größe
Rosberg selbst weiß aus erster Hand, welch hartes Brot es ist, an der Seite von Hamilton für ein Team zu fahren. "Lewis kenne ich natürlich sehr gut, weshalb ich sagen kann, dass er sehr gut ist", so der pensionierte Weltmeister. Er musste sich mit Hamilton auseinandersetzen, nachdem er bereits drei Jahre für Mercedes an den Start gegangen war und ihm der Brite als Teamkollegen zur Seite gestellt wurde. Bottas hingegen muss gegen einen Hamilton antreten, der bereits seit 2013 Teil der Mannschaft ist und seitdem relativ klar die Rolle des Team-Leaders innehat. "Es wird nicht einfach, weil Lewis im Team so etabliert ist und obendrein so ein hohes Level hat", fügt Rosberg an.
Dass Bottas die fahrerischen Qualitäten von Rosberg hat, steht für die Teamführung außer Frage. "Valtteri ist ein außergewöhnlicher Pilot und er hat die Fähigkeiten, um Lewis zu fordern - genauso wie das Nico getan hat", so Wolff gegenüber der spanischen Zeitung Marca. Rosberg musste in der gemeinsamen Zeit zwar viele Niederlagen gegen Hamilton hinnehmen, doch trotzdem verfolgte er weiter verbissen sein Ziel. Sein Durchhaltevermögen war es schlussendlich, das es ihm erlaubte, jede sich bietende Chance für einen Sieg über Hamilton zu nutzen - und auf diesem Wege letztendlich die Weltmeisterschaft zu gewinnen.
Wolff skeptisch, Psychologe sieht Bottas im Vorteil
Bottas wird ebenso hartnäckig wie schnell sein müssen, um im Duell gegen den dreimaligen Champion eine Chance zu haben. Wolff sieht das kühle Wesen des Finnen als eine seiner größten Stärken in- und außerhalb des Cockpits: "Valtteri ist kein emotionaler Fahrer." Etwas, das ihm bei etwaigen Psychospielchen von Hamilton durchaus zugutekommen könnte. Andererseits hat Hamilton gegen seine Teamkollegen bisher nur einzelne Niederlagen wegstecken müssen. Gänzlich geschlagen geben musste sich der 32-Jährige bis dato noch keinem Stallgefährten. "Kann er den derzeit besten Formel-1-Fahrer im Feld schlagen? Ich weiß es nicht", bleibt Wolff angesichts Hamiltons Historie skeptisch.
Ex-F1-Pilot Mika Salo glaubt, dass Bottas über das Durchhaltevermögen verfügt, das Rosberg den Triumph über Hamilton brachte. "Seine Konstanz könnte für Lewis eine Überraschung sein. Sie war bisher in jedem Jahr absolut beeindruckend. Er macht selten Fehler, und das ist es, womit er seine Teamkollegen besiegt. Er fährt immer seine Punkte ein und fällt nicht aus - so werden Weltmeisterschaften gewonnen", beurteilt der ehemalige Ferrari-Pilot die Konstellation im finnischen Fernsehen.
Hugh Richards, anerkannter Sportpsychologe und Dozent an der Universität von Edinburgh, bescheinigte Bottas im Guardian aufgrund seiner Ausgangslage sogar einen psychologischen Vorteil. "Er hat nichts zu verlieren und kann nur gewinnen, was eine fantastische Position für ihn ist", so der Experte. Der Grund dafür sei Bottas' Stellung als Neuzugang im Team: "Alles ist für ihn eine Herausforderung und nichts eine Bedrohung. Herausforderungen sind sehr produktiv und erhöhen die Leistungsfähigkeit, während Bedrohungen zermürben und zu inkonstanten Leistungen führen."
Vergleiche mit Alain Prost
Der finnische Physiotherapeut Antti Vierula, der bereits mit Motorsport-Stars wie Lewis Hamilton, Sebastien Loeb und Dani Pedrosa zusammenarbeitete, vergleicht Bottas' Herangehensweise sogar mit einem der ganz großen Namen der Formel 1: "Ich habe zwar nie mit Alain Prost gearbeitet, aber ich weiß von den Leuten bei McLaren, dass er wie Valtteri mit sehr viel Verstand im Rennen zu Werke ging." Ein Vergleich, der auch bei Rosberg häufig gezogen wurde - ihm wurde eine Prost-ähnliche, analytische Herangehensweise nachgesagt.
Auch einige Formel-1-Legenden selbst attestieren Bottas die optimalen mentalen Voraussetzungen für einen Kampf mit Hamilton. "Er hat einen guten Kopf auf seinen Schultern. Und es geht nicht nur darum, schnell zu fahren. Es geht auch um die mentale Herangehensweise und ich denke, die hat er", so der dreimalige Weltmeister Jackie Stewart. Viel Unterstützung erhält Bottas auch von einem seiner berühmtesten Landsmänner. "Ich kann mir vorstellen, dass Valtteri die Weltmeisterschaft gewinnt. Ich sehe ihn als jemanden, der alles hat, um ein Champion zu sein", so Mika Häkkinen, der als zweimaliger Weltmeister immer noch Finnlands erfolgreichster Grand-Prix-Pilot ist.
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