Im dritten Anlauf ist es ihm gelungen: Nico Rosberg hat Lewis Hamilton die Weltmeisterschaft abgeluchst. Nicht selten musste sich der frisch gebackene Champion vorwerfen lassen, dass er vor allem aufgrund von Hamiltons technischen Problemen gewinnen konnte. Tatsächlich gibt es aber einige Faktoren, die zeigen, wie sehr sich Rosberg in der Saison 2016 gewandelt hat. Motorsport-Magazin.com analysiert die Faktoren, die den 31-Jährigen letztendlich zum Weltmeister machten.

Faktor 1: Neue Härte

Jahrelang galt Rosberg als zu weich. Zu nett, um Weltmeister werden zu können. Tatsächlich steckte er früher eher gegen Hamilton zurück als aggressiv zu Werke zu gehen. Nicht so in dieser Saison. In Barcelona crashten beide Silberpfeile in der Startphase, nachdem sich Rosberg in Führung liegend breit gemacht hatte. Später in Österreich wollte sich Rosberg die Führung mit der Brechstange sichern. Der Plan scheiterte, doch zumindest hatte er Zweikampstärke bewiesen.

"Ja klar, da habe ich mich gesteigert", sagte Rosberg in Abu Dhabi zu Motorsport-Magazin.com. "Das war ein Bereich, in dem Lewis stärker war und Vorteile hatte. Da musste ich mich steigern. Das freut mich sehr, dass etwas dabei herauskommt, wenn ich hart daran arbeite und mir meine Gedanken mache. Das ist ein Prozess." Die neue Härte zeigte er auch beim Finale gegen Max Verstappen, als ihm laut eigener Aussage sein bestes Überholmanöver in diesem Jahr gelang.

Faktor 2: Neuer Gedankenansatz

Zuweilen war es etwas nervig. Trotz absoluter Favoriten-Rolle spulte Rosberg immer die gleiche Leier ab: Von Rennen zu Rennen schauen, nur an Siege und nicht an den Titel denken. Das zog er bis zum Finale durch und wurde letztendlich mit seiner Herangehensweise belohnt. Diesen neuen Ansatz entdeckte Rosberg für sich nach der Vierer-Siegesserie zum Saisonbeginn, wie er in Abu Dhabi verriet. "Es wurde ziemlich klar, dass es falsch gewesen wäre, da schon an die WM zu denken", sagte er. "Ich habe Lewis Hamilton als Teamkollegen. Der schlägt immer zurück..."

In den vergangenen Jahren hatte er den WM-Rechner vielleicht immer etwas zu früh ausgepackt und sich dadurch verunsichern lassen. Die Race-by-Race-Taktik mag nicht spektakulär sein, funktionierte aber. "Wenn du nur das Gesamtbild anschaust, macht sich das nervös", sagte Rosberg nach dem WM-Triumph. "Es steht so viel auf dem Spiel, das kann eine Last auf deinen Schultern werden. Für mich hat es gut geklappt, es einfach zu halten. Der Kopf ist ein wichtiger Aspekt im Sport."

Faktor 3: Die Technik

Die Formel 1 ist ein - wie es Toto Wolff gern nennt - mechanischer Sport. Technische Probleme gehören also dazu. Lewis Hamilton hat es 2016 vergleichsweise härter getroffen. Als Knackpunkt gilt Malaysia, wo er in Führung liegend ausfiel. Aber auch Rosberg war nicht gänzlich frei von Problemen. In Österreich kassierte er eine Startplatz-Strafe, die wegen der Mercedes-Stärke aber nicht entscheidend war. Später in Silverstone bremste ihn ein Getriebedefekt im Rennen ein, doch mit Platz drei konnte er immerhin Schadensbegrenzung betreiben. Die Technik war sicherlich ein Faktor, die Rosberg in die Karten spielte - es war aber nicht der einzig entscheidende.

Defekte bei Mercedes 2016 (mit Auswirkung auf das Rennen):

GPLewis HamiltonNico Rosberg
CHN 2016 ERS-Defekt im Quali, letzter Startplatz
RUS 2016 ERS-Defekt im Quali, 10. Startplatz
MON 2016 Benzinzufuhr-Defekt im Quali, 3. Startplatz
AUT 2016 Aufhängungsdefekt im Training, Strafversetzung +5
GBR 2016 Getriebedefekt auf P2, Ziel P3
BEL 2016 Motorwechsel vor Quali, vorletzter Startplatz
MAL 2016 Motorschaden auf P1, Ausfall

Faktor 4: Die Ausgangslage im WM-Kampf

Rosberg hatte seit Saisonbeginn einen psychologischen Vorteil. Dank des überragenden Auftakts mit vier Siegen diktierte er die Pace zunächst. Hamilton schlug seinerseits mit einer Siegesserie zurück, doch Rosberg riss das Momentum nach der Sommerpause erneut an sich. Am Ende fiel das Ergebnis wohl knapper aus als es hätte sein können. Erst nach dem Finale gab Rosberg zu, dass er in den letzten vier Rennen mehr auf Punkte als auf Siege bedacht war. "Die letzten paar Rennen - und vor allem das letzte - das war nicht der beste Nico", sagte er.

Seine ständige Ansage, immer auf Sieg zu fahren, entsprach nicht ganz der Wahrheit - was von den meisten Medien ohnehin angezweifelt wurde. "Respektiert das bitte", sagte er zu den Journalisten in Abu Dhabi. "Aber ihr seid eine mächtige Instanz... Ich bin sicher, dass ihr das versteht. Lewis hatte nichts zu verlieren, während ich an der Spitze unter Druck stand." Andererseits könnte man auch sagen, dass Rosberg sein Schicksal seit dem Sieg in Suzuka selbst in der Hand hatte, während Hamilton zum Siegen verdammt war. Ein wichtiger Unterschied, wenn man im völlig dominanten Auto sitzt.

Faktor 5: Start-Vorteil

Die Startphase war auch dieses Jahr ein entscheidendes Kriterium beim Zweikampf der Silberpfeile in der ersten Reihe. Vor allem in Folge des neuen Reglements, das die Starts wesentlich schwieriger gestaltete. Es zeigte sich immer wieder, dass Rosberg der geübtere Starter war und sich dadurch einen Vorteil verschaffte. Hamilton patzte schon in Australien schwerer als Rosberg, in Bahrain gab er die Führung ebenfalls aus der Hand. Auch in Monza und Suzuka unterliefen Hamilton Fehler beim Start.

Bei den Starts spielte nicht nur Talent und Vorbereitung, sondern auch die Nervenstärke eine entscheidende Rolle. "Viele Leute können ein Rennen gewinnen", sagte Paddy Lowe. "Aber um eine WM zu gewinnen, brauchst du diese Ausdauer. Das war die längste Saison in der Geschichte des Sports. Nichts fasst es besser zusammen als das Rennen in Abu Dhabi: Nico hat die Nerven behalten. Das sind die Zeichen eines großen Champions."

Faktor 6: Hamilton zu schlecht?

Die große Frage am Ende: Ist Nico Rosberg besser geworden oder Lewis Hamilton schlechter? Oder etwa beides? Hamilton wirkte zu bestimmten Teilen der Saison nicht auf seinem höchsten Level - etwa in Baku, als er das von einem Crash zum nächsten fuhr. Auch Rosberg hatte ein paar Aussetzer, konnte aber meist rechtzeitig den Schalter umlegen. Wie in Mexiko, als er zunächst durchs Qualifying stolperte. Am Ende waren sich viele Experten einig: Hamilton hat den Titel verloren, weil er zu spät aufgewacht ist und Rosberg möglicherweise schlichtweg unterschätzt hat. Seine Startschwierigkeiten hätte er beispielsweise früher angehen müssen.

Bei den vielen Diskussionen über Hamilton ging zuweilen unter, dass Rosberg die stärkste Saisonleistung seiner gesamten Karriere ablieferte. Das Fahrerlager war sich einig: Der WM-Sieg ist absolut verdient. "Gegen den wohl talentiertesten Piloten als Teamkollegen zu fahren zu eine WM zu gewinnen, das sollten wir schon anerkennen", sagte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff. "Er ist ein zäher Knochen. Er gibt nicht auf und es gibt einige bemerkenswerte Attribute, die ihn zu einem verdienten Weltmeister machen."