Ein kräftiger Wind weht über den Circuit de Catalunya und die unzähligen Fahnen auf den restlos ausverkauften Tribünen flattern aufgeregt durch die Luft. Bis auf die Tatsache, dass Spanien bisher nie als Formel 1 Land galt, könnte diese Szenerie von jedem Rennplatz aus den vergangenen Jahrzehnten stammen.
Doch in diesem Jahr gibt es einen gravierenden Unterschied: Die Fahnen und die dazu gehörigen Besitzer sind nicht rot gefärbt, sondern tragen nur gelb und blau. Die Farben der Region Asturien. Die Farben von Renault. Die Farben von WM-Spitzenreiter und Nationalheld Fernando Alonso.
Statt den üblichen "Schumi, Schumi" Sprechchören, wie sie noch nach dessen fantastischer Aufholjagd im Autodromo Enzo e Dino Ferrari in Imola zu hören waren, erklingen hier rhythmische Fangesänge der Art "Alonso! Alonso!". Rot war gestern. Gelb-Blau beherrscht hier das Bild.
Die Luft ist raus
Da war es beinahe Ironie des Schicksals, dass bei Michael Schumacher und Ferrari in Runde 46 tatsächlich und endgültig die Luft raus war.
Um genau 15:02 Uhr und 31 Sekunden passierte der Champion zum zweiten Mal die Lichtschranke eingangs der Boxengasse, um dort nach einem Reifenschaden in Runde 44 einen neuen linken Hinterreifen abzuholen. Zu diesem Zeitpunkt rechnete der Champion noch fest "mit einem Podestplatz". Und als ob ihn dieser unplanmäßige Reifenwechsel nicht schon genug zurückgeworfen hätte, wiederholen sich nur zwei Runden später die Ereignisse: Diesmal ist der linke Vorderreifen platt.
Schumacher muss damit eine komplette Runde zurück an die Box humpeln, um dann dort aus seinem in Schieflage geratenen F2005 auszusteigen. All seine Podestchancen waren mit der Luft in seinen linken Bridgestone-Pneus entwichen.
"Leider verlor er zuerst die Balance und danach Luft in seinem linken Hinterreifen", versuchten sich die in diesem Jahr mehr gescholtenen als gelobten Japaner von Bridgestone in Person von Technikmanager Hisao Suganuma den peinlichen Doppelvorfall zu erklären. "Nach seinem Boxenstopp hatte er dann einen Luftverlust in seinem linken Vorderreifen."
Die Gründe konnten die Gummimischer aus Tokio bislang noch nicht eruieren. Und auch Michael Schumacher, den die Japaner noch in der Vorwoche des Grand Prix für sein unglaubliches Reifengefühl gelobt hatten, tappte im Dunkeln und spekulierte auf mögliche Teile, "die ich vielleicht überfahren habe".
"Die Sicherheit hat bei uns erste Priorität und wir haben bereits mit der Untersuchung der Ursache für den Luftverlust begonnen", kündigte Suganuma an, der auch betonte, dass die eigentliche Reifenabnutzung an den Pneus des Weltmeisters sich noch "innerhalb akzeptabler Grenzen" befunden habe.
"Schlussendlich ist dies ein sehr enttäuschendes Ergebnis", brachte Technikchef Ross Brawn die Situation der Scuderia Ferrari mit nur einem kurzen und prägnanten Satz auf den Punkt. Denn egal was die beiden Reifen zum Platzen brachte, die rote Seifenblase, welche sich nach der starken Widerauferstehung von Imola gebildet hatte und langsam wieder an Größe zunahm, zerplatzte gleich mit ihnen.
Entsprechend ist es bezeichnend, dass Jean Todt nach dem Rennen offen und in einem offiziellen Presseschreiben eingestand, dass "unsere Rivalen in der ersten Saisonhälfte stärker als wir" sind. Für die erfolgsverwöhnten Italiener eine ehrliche, aber unzufrieden stellende Bilanz. Allerdings schien in Barcelona das Rennen der Ehrlichkeit zu sein. Denn auch bei Renault gestand man nach dem Rennen offen ein, dass "McLaren einfacher besser gewesen" sei.
Dass bei Ferrari nach fünf von neunzehn Rennen und genau vierzig WM-Punkten Rückstand auf Renault sowie 34 WM-Zählern Rückstand auf Fernando Alonso bereits die Luft aus der Titelverteidigung raus ist, glaubt aber dennoch niemand. Schon gar nicht Michael Schumacher selbst. "Ihr kennt mich ja lang genug und wisst, dass das bei mir nicht lange braucht, um mit neuer Motivation und Frische an die Sache ranzugehen." Dennoch betont auch der siebenfache Champion im Hinblick auf Titel Nummer acht: "Die WM rückt immer weiter von uns weg. Das ist keine Frage. Aber sie ist noch nicht so weit weg, dass wir sie aufgeben müssen."
Die Pace ist da
Während den Roten aus Maranello also derzeit im WM-Kampf etwas der Wind aus den Segeln oder besser gesagt die Luft aus den Reifen genommen wurde, entfachte Kimi Räikkönen andernorts bislang noch unbelegte Titelhoffnungen.
"Wir waren schon einige Male nah am Sieg dran und heute hat es endlich geklappt", erinnerte der vom Start weg überlegene Ice Man an seine ebenso deutliche Vorstellung in Imola, welche erst nach seinem Antriebswellendefekt zum Duell Alonso vs. Schumacher wurde.
Kimis erfolgsverwöhnten Arbeitgeber Ron Dennis bereitete dieser Ausfall im sicheren Gefühl des ersten Saisonsieges sogar körperliche Schmerzen. "Ich bin ein sehr schlechter Verlierer", verriet Dennis nichts wirklich Neues, "und nach Imola hatte ich tagelang Schmerzen."
Mit dem Großen Preis von Spanien endeten diese jedoch. Und Kimi möchte seinem Chef auch in den kommenden Rennen die gleiche Medizin verabreichen: "Wenn wir unsere Leistungen fortsetzen können, dann haben wir eine Chance um den WM-Titel mitzufahren."
Davon ist Dennis auf alle Fälle felsenfest überzeugt. "Wir können dieses Hoch aufrechterhalten", prophezeit er weitere Großtaten seiner Truppe. "Wir haben ein gutes Rennauto und haben einen guten Motorenschritt gemacht - zudem sind wir für unsere zukünftigen Entwicklungen zuversichtlich."
Man darf nach dem eher zweifelhaften Saisonstart der Silbernen, welcher viele Fragen ob die angeblich vorhandene, aber nie wirklich im Rennen bestätigte "Pace" aufwarf, nun wohl tatsächlich davon sprechen, dass der Speed jetzt endlich da ist. Und zwar sowohl im Qualifying als auch im Rennen.
Schließlich konnte Räikkönen den spanischen Fans nicht nur im Grand Prix die große Party versauen, sondern sorgte der finnische Spielverderber auch schon im Abschlussqualifying dafür, dass die Alonso-Festspiele während der Alonso-Mania in Alonso-Land nicht den allerletzten Kick bekamen. Man könnte fast sagen, dass Kimi der ultimativen gelb-blauen Fete die Luft raus gelassen hat...
Die Teamanalyse
Renault - Das Imperium schlägt zurück Trotz des verpassten Heimsieges verpassten Alonso und seine Teambosse keine Gelegenheit zu betonen, dass der Spanier sich dennoch wie ein "Gewinner" fühlen könne. Schließlich konnte er seinen Vorsprung in der WM-Wertung weiter ausbauen und liegt auch Renault weiter unangefochten an der Spitze der Konstrukteurs-WM. Die ehrlichen Geständnisse in Barcelona insgesamt nicht so gut wie McLaren gewesen zu sein, machen das Team zudem sympathisch. Die Frage lautet nun: Können sie nach ihrer ersten 'Niederlage' 2005 zurückschlagen?
Toyota - Die Rückkehr der Japaner Wie es geht, hat Toyota blendend vorgemacht. Nach dem enttäuschenden Abschneiden in Imola, wo man jedoch ständig beteuerte immer mit einem Leistungstief gerechnet zu haben, meldeten sich die Weiß-Roten in Barcelona vom ersten Tag an zurück. Zwar wäre ohne Michael Schumachers Reifenschäden und Giancarlo Fisichellas mysteriöses "Problem" kein Podestplatz möglich gewesen, doch wussten erstmals beide Piloten mit einer gleich starken Leistung in Qualifying wie Rennen zu überzeugen. Wenn die Japaner so weiter machen, werden ihre erste Pole Position und ihr erster Grand Prix Sieg vielleicht noch bevor die Luft aus der Saison 2005 raus ist fallen.
McLaren - Krieg der Sterne Dennoch sollten sich die Köln-Marsdorfer an ihrer zweiten Position in der Konstrukteurswertung ausgiebig erfreuen, so lange sie diese noch innehaben. Denn nach Barcelona sind die Silbernen aus Woking bis auf drei Punkte herangerückt. Und nach dem starken Auftritten beider Fahrer am Sonntag, wobei nur ein Tankproblem bei Montoya eine bessere Platzierung des Kolumbianers verhinderte, könnten die Silberpfeile schon in Monaco die neue Nummer 2 sein. Andererseits weiß ein jeder, dass gerade im Fürstentum eigene Gesetze gelten...
Williams - Neue Hoffnung Was wie ein total verkorkstes Rennwochenende begann, entwickelte sich in den beiden Qualifyings zu einer Hoffnung schürenden Vorstellung der Weiß-Blauen. Zwar konnte nur Mark Webber drei WM-Zähler ergattern, da Nick Heidfeld aufgrund seiner Motorwechsel zu weit weg war, und waren die Verantwortlichen nach Webbers 2. Startplatz von dieser Ausbeute auch etwas enttäuscht, doch ist der Grundtenor der Williams-Performance von Spanien durchaus positiv. Nach dem enttäuschenden Auftritt von San Marino, hätte der Spanien GP auch sehr viel schlimmer enden können.
Ferrari - Die dunkle Bedrohung Für Ferrari endete er sehr viel schlimmer. Glaubten die Roten nach dem Fehlstart die dunkle Seite ein für alle Mal geschlagen zu haben, kam es in Barcelona zu einem Teilrückfall. So war die Rennpace des F2005 durchaus gut. Aber die Performance auf einer schnellen Runde entpuppte sich noch immer als die Achillesverse der Italiener. In Kombination mit den Reifenproblemen bei Schumacher und dem Motorwechsel bei Barrichello bedeutete dies erneut: Null Punkte und ein enttäuschendes Wochenende für Rot.
Red Bull - Gedämpfte Hoffnung Die Dunkelblauen schnitten hingegen besser als in Imola ab, wo Red Bull Racing trotz des nachträglichen Punktgewinns von Tonio Liuzzi keine berauschende Leistung erbrachte. Trotzdem konnte man nach den ersten beiden Tagen etwas mehr als nur einen Zähler für David Coulthard erwarten. Vor allem Liuzzi enttäuschte in Qualifying und Rennen und dürfte Christian Klien mit dieser Vorstellung keinen Angstschweiß auf die Stirn getrieben haben.
Sauber - Die dunkle Bedrohung II Ganz anders bei Sauber. Dort ging es nach dem leichten Formanstieg von Imola wieder runter in den Keller. Ein weiterer Doppelausfall besiegelt auch weiterhin Position sieben in der Konstrukteursweltmeisterschaft, welchen man ohnehin nur der B•A•R-Disqualifikation zu verdanken hat. Ansonsten gab es zwar einige Hoffnungsschimmer, schließlich sah man vor einigen Wochen bei den letzten Barcelona-Tests noch viel schlechter aus, konnten aber weder Massa noch Villeneuve Kapital daraus schlagen.
Jordan - Die Rückkehr der Boxenluder Wie das Kapital bei Jordan/Midland verwendet wird, ist hingegen ein ganz anderes Thema. Zumindest einen Teil davon führt Teamboss Alex Shnaider nun an Nick Heidfeld ab. Allerdings nicht, weil er sich die Dienste des Williams-Piloten, auf die ein oder andere Weise, sichern wollte, sondern weil er dessen Prämienzahlungen aus dem Vorjahr übernimmt. Die einen halten es für eine große Geste, die anderen einfach für eine zu begleichende Verbindlichkeit des von ihm gekauften Teams. Sportlich hatten die Gelben aber auch in Barcelona nichts zu bestellen, weshalb sie mehr durch die eingeladenen Top-Modells als durch Rundenzeiten auffielen.
Minardi - Die Elektronik schlägt zurück Minardi fiel hingegen mehr auf. Und zwar durch Top-Platzierungen! Allerdings nur in der Top-Speed-Wertung. In dieser führte beinahe in jeder Session einer der schwarzen Boliden die Tabelle an. In den Ergebnislisten fanden sich Albers und Friesacher derweil aber wie gewohnt ganz hinten wieder. Der Abstand zu Jordan scheint aber tatsächlich "zu schmelzen".
B·A·R - Die Rache der FIA Einen kurzen Grand Prix erlebte das British American Racing Team. Nach der überraschenden Sperre durch den International Court of Appeal der FIA, mussten die Weißen schon am Freitag einpacken. Eine gerichtliche Rettung, wie in Magny Cours 2003, als das Equipment des Teams von Gerichtsvollziehern beschlagnahmt wurde, gab es diesmal nicht. Stattdessen werden Button und Sato auch in Monaco pausieren. Das Team traf dies mehrfach hart: Der Verlust der einzigen WM-Punkte von Imola und eine Rennsperre für jene beiden Grand Prix, bei denen sie sich realistische Siegchancen ausrechneten.
Der WM-Ausblick
Nach der überraschenden Ferrari-Auferstehung von Imola betonte man bei Renault in Person von Pat Symonds, dass die außergewöhnliche Leistung der Roten auf eine Mischung aus Chassis, Motor und Reifen unter diesen ganz speziellen Bedingungen zurückzuführen gewesen sei, weshalb es in Spanien nicht unbedingt wieder so sein müsse.
Und siehe da: Die Franzosen behielten mit dieser Vorhersage Recht. Für den Großen Preis von Monaco sagte Teamboss Flavio Briatore nun ebenfalls, trotz seines Lobes für McLaren, voraus, dass die Silbernen nicht immer vorne wegfahren würden und auch Renault wieder kontern werde. Ob sie damit wieder richtig liegen? Nick Heidfeld stößt jedenfalls ins selbe Horn: "In Monaco gelten eigene Gesetze." Da soll also noch einmal einer sagen, dass die Luft raus wäre...
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