Der Name irritiert: Europa GP. Aserbaidschan? Ist das Europa? Europa ist für die meisten Motorsportfans dort, wo die Formel 1 zu Hause ist. Das ist England, Spanien, Italien, Belgien, Frankreich, Deutschland, Österreich und im Osten noch Ungarn. Weiter östlich denkt der geneigte Motorsportler wohl nicht mehr an Europa. So ging es auch Strecken-Architekt Hermann Tilke vor nicht allzu langer Zeit. "Mein erster Gedanke war überhaupt nichts. Ich kannte Aserbaidschan vom Namen her, wusste, wo es lag, mehr aber auch nicht. Von Baku wusste ich, dass es eine Stadt dort ist, das war es aber", erinnert sich Tilke im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com zurück. Inzwischen kennt der Aachener Baku bestens. Als feststand, dass Aserbaidschan einen Grand Prix austragen wird, fiel die Wahl schnell auf Hermann Tilke. "Hermann wurde uns seitens der FOM als ein sehr professioneller Mensch empfohlen", verrät Arif Rahimov, Geschäftsführer des Baku City Circuit. "Uns wurde versichert, dass die Rennstrecke so gut wie nur möglich wird." Die Verantwortlichen nahmen erst gar keinen Kontakt zu einem anderen Architekten auf - Tilke war gesetzt.

2014 reiste Tilke zum ersten Mal nach Baku. Aus Unwissenheit wurde Begeisterung: "Ich war sehr positiv überrascht, dass es so eine tolle Stadt ist." Für Tilke ist Baku inzwischen Europa. Geografisch gesehen ist es ein Grenzfall. Aserbaidschan liegt zwischen Europa und Zentralasien. Doch in Aserbaidschan sieht man sich lieber in Europa. Um das zu unterstreichen, wird in Baku auch nicht der Große Preis von Aserbaidschan ausgetragen, sondern der Europa GP. "Es geht darum, zu unterstreichen, dass wir eine europäische Nation mit einer europäischen Einstellung und europäischen Werten sind", erklärt Rahimov gegenüber Motorsport-Magazin.com. Deshalb legt die Regierung eine Menge Geld auf den Tisch, ohne den Namen Aserbaidschans prominent zu platzieren. Die European Games und der Eurovision Song Contest, die zuletzt in Baku ausgetragen wurden, passen ins Bild. Nun wollte die Regierung eine Nummer größer denken. "Die größten Events, mit denen man das erreichen kann, sind die Fußballweltmeisterschaft und die Olympischen Spiele. Die Nummer drei ist die Formel 1. Um die anderen beiden auszutragen, sind wir noch nicht bereit, aber die Formel 1 sah für uns möglich aus." Gesagt, getan.

Baku möchte sich möglichst europäisch präsentieren, Foto: Sutton
Baku möchte sich möglichst europäisch präsentieren, Foto: Sutton

Aserbaidschan hat gegenüber zahlreichen Traditionsstrecken einen klaren Vorteil: Die Finanzierung ist gesichert. Während die Formel 1 für Strecken wie in Monza, Hockenheim & Co. zunehmend zum finanziellen Risiko wird, brauchen sich die Streckenbetreiber in Baku keine allzu großen Sorgen machen. Ähnlich wie in Russland kommt die Regierung für die Antrittsgebühren auf. Der Promoter ist für das operative Geschäft verantwortlich. Entsprechend stört es Rahimov auch nicht, dass die Kapazität der neuen Rennstrecke vergleichsweise gering ist. Der Baku City Circuit fasst lediglich 20.000 sitzende Zuschauer, weitere 10.000 Fans sollen das Rennen stehend an der Strecke verfolgen können. Hockenheim braucht mindestens 50.000 zahlende Zuschauer, damit am Ende eine schwarze Null steht. Die Antrittsgebühren für Hockenheim fallen außerdem deutlich geringer aus, als das, was Bernie Ecclestone von Aserbaidschan verlangt. Nur sieht in Ländern wie Deutschland die finanzielle Unterstützung vom Staat komplett anders aus, beziehungsweise existiert eine solche erst gar nicht. "Bei einigen anderen Rennen gibt es normalerweise auch eine finanzielle Unterstützung für den Grand Prix, weil es offensichtlich einen Nutzen für die Regierung gibt, der mit dem Grand Prix einhergeht", verteidigt sich Rahimov.

Erdöl bringt Aserbaidschan die Formel 1

Aserbaidschan kann sich das Rennen wegen seiner Bodenschätze leisten. Der Staat zwischen Europa und Asien ist zwar nur auf Rang 24 der weltweit größten Erdölförderstaaten, bezogen auf die Größe des Landes ist die Fördermenge aber enorm. Die Wirtschaft des zehn Millionen Einwohnerstaates ist entsprechend vom Erdöl abhängig. Weil der Ölpreis in den letzten Monaten um mehr als 70 Prozent sank, soll es Probleme bei der Finanzierung gegeben haben. "Ich habe diese Gerüchte auch gehört, aber es gab überhaupt keine Anzeichen", sagt Tilke. Auch die Menschenrechtssituation sorgt nicht unbedingt für positive Schlagzeilen. "Die Frage ist, mit welcher Elle man hier misst. Es gibt viele Länder, in denen einiges nicht in Ordnung ist. Dann darf man dort aber auch nicht Fußball spielen und keine Olympischen Spiele abhalten und so weiter. Es ist schwierig, das zu beurteilen und ein Maß zu finden."

Dass der Europa GP auch noch terminlich mit den 24h von Le Mans kollidiert, ist für Motorsport-Puristen das Tüpfelchen auf dem Anti-Aserbaidschan-i. Tilke ist sich aber sicher: "Die Motorsport-Kultur kommt nach einer Zeit. Das war schon in vielen Ländern so, deshalb finde ich es in Ordnung, dass auch dort ein Grand Prix stattfindet." Was sich wie eine Floskel eines Beteiligten anhört, könnte aber tatsächlich Realität werden. Baku ist keine Retortenstrecke wie Indien oder Korea. Baku hat das Zeug dazu, ein Klassiker zu werden. Der Vertrag mit Bernie Ecclestone wurde selbstbewusst über zehn Jahre geschlossen. "Und wir hoffen, dass es nach zehn Jahren nicht zu Ende ist", sagt Rahimov. "Wir geben unser Bestes, um diesen Grand Prix herausragend zu machen."

Das Layout ist vielversprechend: mit ziemlich genau sechs Kilometern ist die Strecke für einen Stadtkurs extrem lang. Auf einer schier endlos langen Geraden sollen Höchstgeschwindigkeiten von über 340 Stundenkilometern erreicht werden. Auf der anderen Seite gibt es winklige Passagen, an denen sogar die FIA-Richtlinien ausgedehnt werden mussten, weil die Strecke so eng ist. In Absprache mit der FIA Sicherheitskommission und mit dem Segen von Charlie Whiting wurde die Strecke genehmigungsfähig. Dem Architekten bereiten die beiden Extreme keine Kopfzerbrechen: "Diese Höchstgeschwindigkeiten haben wir auf permanenten Strecken auch. Warum soll man nicht in der Stadt auch solche Speeds fahren? Es ist ein gerades Stück und dort ist es relativ breit." Am Nadelöhr werden zusätzliche Leitplanken installiert, damit die angrenzende Mauer nicht zur Streckenbegrenzung wird. Spektakulär werden auch die Erhebungen: an der steilsten Stelle hat die Strecke eine Steigung von zwölf Prozent. Damit ist der Baku City Circuit in einer Kategorie mit Spa, Red Bull Ring oder Austin. "Ich habe einigen Fahrern das Layout bereits gezeigt. Die Reaktionen waren: Oh, cool." Im Gegensatz zu vielen anderen Stadtkursen besteht die Strecke nicht nur aus 90-Grad-Kurven. Lediglich im ersten Sektor geht es im rechten Winkel um die Straßen.

Nicht nur die Streckenführung selbst ist spektakulär, auch der Schauplatz ist Hollywood-reif. Die Altstadt von Baku wurde 2000 von der UNESCO in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen. Durch die historische Altstadt führt der Kurs zwar nicht, aber an besagter Stadtmauer entlang. Für die Formel 1 wird sogar über Kopfsteinpflaster asphaltiert. Für die Streckenbauer eine echte Herausforderung. Mit Kies werden die Lücken zwischen den Pflastersteinen gefüllt und Unebenheiten ausgeglichen. Darauf kommt die Asphaltschicht. Nach dem Rennen wird alles wieder abgetragen und im nächsten Jahr neu installiert. Tilke hat Erfahrung damit, Asphalt an ungewöhnlichen Orten zu verlegen. Er legte bei Mercedes' Jahresabschluss Stars & Cars eine Asphaltschicht über den Rasen der Mercedes-Benz Arena in Stuttgart. "Ein bisschen kann man das vergleichen. Nur, dass ein Fußballplatz eben ist und das nicht. Hier muss man sehr viel dreidimensional beachten, damit bei der Steigung nichts abrutscht."

Die Zutaten stimmen. Ob es letztendlich gelingen wird, das Rennen langfristig zu etablieren, hängt von vielen Faktoren ab. In erster Linie aber davon, ob die Regierung langfristig die horrenden Antrittsgebühren stemmen kann und will. Zumindest die Terminkollision mit Le Mans sollte es nicht jedes Jahr geben. Und um die 2016 bestmöglich zu umgehen, startet das Rennen erst um 18:00 Uhr Ortszeit. Die Verantwortlichen versuchen alles, damit trotz einiger negativer Begebenheiten der Grand Prix aus den 21 Saisonläufen heraussticht. Anders als bei den neuen Kursen in Indien und Korea sind auch einige Faktoren auf ihrer Seite.

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