Jean Todt hat auch schon leichtere Tage erlebt - seine Scuderia Ferrari konnte in den ersten drei Saisonrennen nicht überzeugen. Zunächst konnte man mit dem Interimsmodell F2004M nichts gegen die Fahrzeuge der Generation 2005 ausrichten. Dann, beim vorgezogenen Debüt des F2005 in Bahrain, musste man erstmals seit langem dem Defektteufel Tribut zollen. Michael Schumacher hat erst zwei mickrige WM-Pünktchen auf seinem Konto, auf den WM-Leader Fernando Alonso fehlen dem siebenfachen Weltmeister satte 24 Zähler.

In einem Gespräch mit Bild am Sonntag gibt Rennleiter Jean Todt offen zu: "Es gibt keine Ausreden: Unsere Gegner haben im Winter besser gearbeitet. Sie haben sich auf die neuen Regeln besser eingestellt als wir. Damit meine ich sowohl die anderen Teams, als auch die Mitbewerber auf dem Reifensektor."

Auf die Frage, ob er sich über die neuen Regeln ärgern würde, antwortet Todt: "Ach, nein. Sie sind doch für alle gleich. Nur, ich bin überzeugt, hätte die FIA die Regeln nicht geändert, würde Ferrari jetzt besser dastehen. Trotzdem: Schuld an unserer Misere sind nur wir. Es ist uns nicht gelungen, die erfolgreiche Arbeit der letzten Jahre fortzusetzen. Aber das ändern wir wieder – wir kommen zurück!"

Und zwar schon am kommenden Wochenende in Imola, so hofft der Franzose. Der Rückstand auf Renault sei "kleiner als alle denken", in Imola werde man stärker sein: "Hoffentlich stark genug für den Sieg!"

Nicht einmal Michael selbst weiß, wann er aufhört!

Dass Michael Schumacher nun weniger motiviert sein könnte, schließt Jean Todt kategorisch aus: "Michael liebt immer noch jedes Rennen." Ob Schumacher jedoch seinen Vertrag bis Ende 2006 sicher erfüllen wird, kann auch der mit dem Weltmeister eng befreundete Franzose nicht sagen: "Nicht einmal Michael selbst weiß, wann er aufhört. Wie soll ich es dann wissen? Ich vermute, dass es irgendwann sehr schnell gehen wird. Er wird eines Tages sagen: ‚So, das war´s‘. Vielleicht weil er nicht mehr gewinnen kann oder weil er plötzlich Lust auf ein neues Leben hat."

Für diesen Augenblick muss die Scuderia, die erst unlängst ein bis 2012 geltendes neues Concorde-Abkommen unterschrieben und sich also für den Verbleib in der Königsklasse verpflichtet hat, gerüstet sein. Bislang galt der neue WM-Führende Fernando Alonso als der inoffizielle Schumacher-Nachfolger bei den Roten. Diese Gerüchte hat niemand anderer als Jean Todt genährt, als er der spanischen Zeitung ABC zuflüsterte: " Der beste Pilot der Welt ist im Augenblick Alonso! Wir hoffen, Alonso in Zukunft bei Ferrari zu haben - aber das hängt von einer Reihe von Umständen ab..."

Ich halte einen jungen Mann, der für ein deutsch-englisches Team fährt, für die bessere Wahl!

Doch davon will Todt anscheinend nichts mehr wissen. Der mit allen Rennwassern gewaschene Ferrari-Rennleiter verblüfft mit den Worten: "Wer sagt denn immer, dass wir Alonso wollen? Er hat Talent, okay. Aber es gibt auch noch andere Fahrer, sehr gute sogar. Ich sage ihnen jetzt mal etwas: Alonso steht nicht ganz oben auf unserer Liste." Und: "Auch wenn diese Aussage nicht sehr respektvoll gegenüber Alonso ist: Ich halte einen jungen Mann, der für ein deutsch-englisches Team fährt, für die bessere Wahl."

Welcher junge Mann könnte das wohl sein? Auf die Frage, ob es sich um Kimi Räikkönen handelt, sagt Todt nur lachend: "Nächste Frage!" Ob man den Schumacher-Nachfolger auch aus einem bestehenden Vertrag heraussprengen würde? Todt bejaht: "Das wäre keine Hürde..."

Seit 1993 lenkt der leidenschaftliche Weinverkoster die Geschicke in Maranello. Er darf stolz sein auf 79 Siege, die unter seiner Führung erzielt wurden, während Williams nur auf 48, McLaren auf 36 und Renault auf 26 kommt. Doch Jean Todt verrät, dass die Geschichte wohl ganz anders verlaufen wäre, hätte Michael Schumacher im Jahr 2000 den Titel verfehlt: "Ich bin überzeugt, hätten wir den Titel nicht geholt, dann wären wir jetzt nicht mehr bei Ferrari. Michael nicht, ich nicht. Aber wir haben es geschafft – und das hat unsere Freundschaft noch einmal gestärkt."

Man darf gespannt sein, ob es Todt und Schumacher nun abermals schaffen werden, das Ruder herumzureißen. War in Bahrain noch der verfrühte Einsatz des für Ferrari-Verhältnisse wenig getesteten F2005 in Rechnung zu stellen, sollte nach weiteren unzähligen Testkilometern in San Marino endgültig die Stunde der Wahrheit schlagen: Was kann Schumacher mit einem wieder haltbaren F2005 gegen Renault ausrichten? Man darf davon ausgehen, dass die Scuderia bei ihrem Heim-GP alle Hebel in Bewegung setzen wird, gemeinsam mit Reifenpartner Bridgestone wurden wieder Marathontests absolviert. Schon in Bahrain fehlten Schumacher nur wenige Zehntel auf Alonso, bevor er aus dem Rennen fiel. Für den Sport wäre ein solches Duell der Giganten jedenfalls eine Bereicherung...