Verrückte Welt in der Formel 1 – die Fahrer befinden sich auf streichelweichem Kuschelkurs, während hinter verschlossenen Türen in den Ego-Kriegen der Konzern-Feldherren erbitterte Schlachten geführt werden.

Früher, da hatte es der Formel 1-Fan gut. Als das Testosteron noch nicht zur unerwünschten Nebenwirkung konzernübergreifender Marketing-Kampagnen erklärt worden war, da flogen schon öfter die Fetzen.
Ein Rennsonntag, das war Adrenalin pur!

Der Grand Prix-Sport, einst als Kriegs-Nebenschauplatz geboren, wurde zur logischen Fortsetzung erbitterten Wettrüstens. Aus Bomberpiloten wurden Rennfahrer, aus Kampfjets wurden Rennwagen. England gegen Italien, alle gegen Deutschland, Heldentod inklusive.

Die Formel 1 hat 2005 den zwischenmenschlichen Sprengstoffgehalt eines Mädchenpensionats. Das wurde nie deutlicher demonstriert als am Rennwochenende von Bahrain.
Die Hauptdarsteller der zwei stärksten Teams des Jahres – Fernando Alonso und Jarno Trulli – fallen einander nach absolviertem Qualifying herzhaft in die Arme. Die Freude mit dem schärfsten Konkurrenten ist groß.

Man stelle sich vor: Chelsea erzielt in der Champions League in der 89. Minute das entscheidende Tor gegen Bayern München und alle 22 Spieler laufen aufeinander zu, um gegenseitig Glückwünsche auszutauschen...

Doch der Kuschelkurs zieht sich durch alle Teams: Alexander Wurz und Pedro de la Rosa stehen beide vor der Chance ihres Lebens und wegen eines kleinen Regiefehlers erhält der Nummer 4-Pilot das Cockpit, während die Nummer 3 eingesteht, dass er genau so entschieden hätte.

Jenson Button, den man wegen seiner Treulosigkeit zu Enzo Ferrari´s Zeiten wohl mit einem nassen Fetzen über alle Berge gejagt hätte lobt Rennen für Rennen die harte Arbeit "seines" Teams.

Antonio Pizzonia muss tatenlos zusehen, wie Nick Heidfeld in einem Rennauto, auf dem die Namensaufkleber erst in letzter Sekunde ausgetauscht wurden, aufs Podium fahren kann. Kampfansage? Aufbegehren? Fehlanzeige!

Fisichella und Alonso wissen seit sechs Wochen, dass man auf dem Weg zum WM-Titel heuer nur den jeweils anderen kaltstellen muss. Doch statt "Stallkrieg der Giganten" zu spielen, erklärt man stolz, dass man sogar auf dem Fußballplatz ein Super-Duo abgibt.

Ungewöhnlich korrekt tritt sogar Juan Pablo Montoya gegenüber seinem neuen finnischen Silberpfeil-Partner Räikkönen auf – keine Spur von südamerikanischen Zorneswallungen, weil das Milchgesicht ein Vielfaches an Dollars einstreift.

Und bei Red Bull schwören einander Christian Klien und Tonio Liuzzi, die von der Teamführung Wochenende für Wochenende wie zwei Kampfhunde aufeinander gehetzt werden, jetzt schon die ewige Freundschaft, egal, wessen Karriere am Wegesrand liegen bleibt.

Einzig Jacques Villeneuve bei Sauber kocht mehr und mehr sein eigenes Süppchen. Für Massa gibt es nur das Mindestmaß an Unterstützung. Gemeinsamer Austausch zum Wohl des Teams? Wohl eher nicht!

Aber das sind nur geringe versteckte Fouls im Vergleich zu den Schlachten, die früher mal an der Tagesordnung standen.

Als ein Eliseo Salazar in Hockenheim 1982 vor laufenden Kameras für ungeschicktes Verhalten beim Überrunden von Nelson Piquet mit Fußtritten und Ohrfeigen abgemahnt wurde. Als Senna und Prost bei McLaren oder Piquet und Mansell bei Williams dem jeweils anderem nicht einmal die Grippe vergönnt haben und der Konkurrenzkampf teilweise in offenen Hass umschlug, der für den Zuseher in jeder Sekunde eines Rennens spürbar war.

Als Fahrer aus Rache für teaminterne Intrigen noch andere Methoden angewandt haben als lauwarme verklausulierte Hofberichterstattung auf ihren jeweiligen Websites.

Als Formel 1-Neuling Eddie Irvine in Suzuka von Ayrton Senna für mangelnden Respekt auf der Rennstrecke mit einem satten Handkantenschlag von den nordirischen Füßen geholt wurde. Als das Wetterleuchten in den Augen der Piloten nach einem absolvierten Kampf noch zur Tagesordnung zählte.

Die heutige Rennfahrergeneration ist diesbezüglich ruhig gestellt. Die vielen Dollarmillionen haben ihnen die Zähne gezogen. Statt Stolz und Ehre regieren der Anlageplan und die Anwälte.

Als Pedro de la Rosa in seinem damals letzten Formel 1 Rennen in Suzuka 2002 in einem inferioren Jaguar den etwa 1,5 Sekunden schnelleren Ralf Schumacher ein halbes Rennen lang mutwillig blockiert hat, trafen die beiden zufällig vor meinen Augen hinter der Jaguar-Box aufeinander. Es wurde ein wenig laut, doch näher als zehn Meter sind sich die beiden nicht gekommen, bis sich Pedro, der nichts mehr in der Formel 1 zu verlieren hatte, mit einem sarkastischen "I love you, too, Ralf!" davonschlich.

Die echten Ego-Kriege toben hinter den Kulissen. Formel 1-Grünschnabel Alex Shnaider vom Midland-Jordan-Team hat Ron Dennis´ Einladung zum Tee inklusive Einführungskurs in die Formel 1 knapp abgelehnt. Begründung: Wäre nicht notwendig, er wisse ohnehin schon alles. Das Bankkonto bestimmt eben in dieser Liga den Grad des Selbstbewusstseins.

Und Jean Todt ließ sich in Bahrain zu einer ganz seltenen Bemerkung hinreißen, in der er den auf der Erfolgswelle schwimmenden Flavio Briatore sinngemäß als aufgeblähten Gockel heruntermachte, dessen vordergründige Motivation das Rampenlicht der Weltpresse sei. Erfolg schürt Neid! So war es auch kein Zufall, dass Todt just am Rennsonntag sehr gerne verkündete, Fernando Alonso habe bereits einen Vorvertrag bei Ferrari unterschrieben.

So geht man heute in der Formel 1 also mit ungeliebten Konkurrenten in der Nachbarbox um. Mir war´s früher allerdings entscheidend lieber!