Mit extremer Verspätung tauchte zur Jahresmitte 2003 der erste silberne Delphin aus den Wellen der Formel 1 Welt auf. Doch der MP4-18 sollte nur durch Negativschlagzeilen auffallen und ohne je einen Grand Prix gefahren zu sein auf ewig in den F1-Geschichtsbüchern verschwinden.

Sein legitimer Nachfolger, der MP4-19, erhielt ebenfalls eine schlanke Delphinnase und sollte zusammen mit dem Nasenbären von BMW-Williams, dem FW26, den innovativen Gegenpart zum seriensiegenden F2004 aus Maranello darstellen. Doch auch der MP4-19 schrieb zu Beginn seines silbernen Daseins alles andere als gute Schlagzeilen: Motorschäden und Ausfälle paarten sich mit zu wenig Speed und stellten somit eine ganz schlechte Kombination für ein Rennauto dar.

Erst als zu Jahresmitte 2004 der generalüberholte MP4-19B debütierte, wendete sich das Schicksal und die Silbernen durften wieder weiter vorne mitmischen. In Spa-Francorchamps gelang Kimi Räikkönen sogar einer der wenigen nicht Ferrari-Siege der vergangenen Saison.

Das Wunder der Evolution: Vom Delphin zur Ente

Dass der Mensch vom Affen abstammt ist altbekannt. Aber dass die Ente aus einem Delphin hervorging ist neu! Aber genau diesen – für Biologen und Darwinisten wohl selbstmörderischen – Schluss legt der neue und lange wie ein Staatsgeheimnis gehütete McLaren Mercedes MP4-20 nahe. Denn aus dem silbernen Delphin vom Typ MP4-19(B) wurde kurzerhand ein evolutionärer Entenschnabel MP4-20.

Die Idee ist dabei nicht neu: Schon im vergangenen Jahr testete McLaren einen MP4-19B mit einer breiteren Frontpartie, welche beim Italien GP in Monza sogar zu einem Renneinsatz kam. Und bereits damals versahen wir den Silberpfeil mit dem Beinamen Entenschnabel.

In der neusten Version scheint diese Nase nun zur Standardkonfiguration zu gehören. Ansonsten ähnelt der MP4-20 trotz der notwendigen Aerodynamikänderungen aufgrund des neuen Reglements stark seinem Vorgänger, weswegen der Bolide kaum als Revolution, sondern eher als Evolution anzusehen ist.

Die auffälligsten Neuerungen neben der Frontpartie mit breiterer Entenschnabeloptik und dem an die neuen Regeln angepassten Frontflügel, stellen die weiter nach innen eingebeulten Seitenkästen dar. Und während diese tatsächlich – zumindest mit ein bisschen Fantasie – an die im Vorfeld des Roll-Out angekündigte Kampfflugzeugoptik erinnern, könnte man weniger schmeichelhaft auch davon sprechen, dass jemand mit dem ein oder anderen kräftigen Tritt die Seitenkästen nach innen verformt hat.

Etwas mehr an ein Flugzeug, wenn auch nicht an ein Kampfflugzeug, sondern eher einen Transportjumbo, erinnert die silberne Motorabdeckung samt Airbox. Im gesamten Heckbereich spiegelt sich derweil wieder einmal das seit dem MP4-18 verfolgte Kompaktkonzept von Designer Adrian Newey wider. Auffällig ist auch, dass die relativ schmalen Lufteinlässe in den verengten Seitenkästen von zwei mächtigen Kaminen im hinteren Bereich der Sidepods ergänzt werden.

Dabei bleibt für McLaren zu hoffen, dass den MP4-20 nach den Debakeln mit dem 18er und dem Ur-19er nicht die gleichen Probleme ereilen und er sich nicht als lahme Ente entpuppen wird.

Die Auswirkungen des neuen Reglements

Besonderen Einfluss auf das Design des MP4-20 hatte natürlich, wie bei allen 2005er Boliden, das neue Reglement von FIA-Präsident Max Mosley. Aus McLaren-Sicht spielten hierbei vor allem vier Faktoren eine wichtige Rolle: Die Motorlebensdauer, schließlich müssen die Mercedes-Ilmor-Triebwerke nun zwei Rennwochenenden halten, die Einschränkungen bei den Reifen, welche besagen, dass nun sowohl im Qualifying als auch im Rennen ein und derselbe Reifensatz eingesetzt werden muss, die Aerodynamik, die vor allem an Front- und Heckflügel sowie am Diffusor beschnitten wurde, sowie der neue Zeitplan der Rennwochenenden speziell für das Qualifying, was sich in der Tankgröße der Silbernen niedergeschlagen haben soll, um hier flexibler auf Rennsituationen reagieren zu können – etwa indem man aufgrund des Reifenwechselverbotes nur noch einmal stoppt.

Nach all diesen neu zu beachtenden Schlüsselfaktoren gilt ein Satz von Geschäftsführer Martin Whitmarsh umso mehr: "Ein Formel-1-Auto ist eine komplexe Einheit." Entsprechend schwierig war die Arbeit für das Konstruktionsteam unter Adrian Newey, Mike Coughlan und Neil Oatley.

"Das Ergebnis ihrer Arbeit ist ein Auto, das sich deutlich vom letztjährigen Fahrzeug unterscheidet. Die Kollegen auf der Motorenseite hatten dabei nicht weniger intensive Herausforderungen zu meistern", erläutert Whitmarsh. "Mit dem McLaren Mercedes MP4-20 hoffen wir jetzt, ein schlagkräftiges Paket aus Chassis, Motor und Reifen dargestellt zu haben", ergänzt Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug die Ziele für die anstehende Saison, "mit dem wir an die Leistungen und Resultate anschließen können, die unsere Mannschaft im zweiten Halbjahr und insbesondere im letzten Drittel der Saison mit dem Vorgänger MP4-19B erzielt hat."

Das erste Quaken

Nachdem der neue MP4-20 am 20. Januar um genau 2:30 morgens im McLaren Technology Centre erstmals ein Quaken in Form eines Anlassgeräusches von sich gab, vollführte der Finne Kimi Räikkönen vier Tage später auf dem Circuit de Catalunya vor den Toren Barcelonas die Jungfernfahrt des neuen Silberpfeils.

"Mein erster Eindruck von den wenigen Runden ist ein guter, aber jetzt erst beginnt meine Arbeit und die meiner Fahrerkollegen", gab der Ice Man kurz nach seiner ersten Begegnung der silbernen Art zu Protokoll. "Heute zeigen wir erstmals den Stand unserer Vorbereitungen für die Saison 2005", enthüllte hingegen Verschwörungstheoretiker und Stellwandfreund Ron Dennis, "ein Jahr, dass für alle Teams, für unsere Partner und für die Fans spannend und positiv zu werden verspricht. Jeder im Team arbeitet fieberhaft daran, in diesem Jahr das bestmögliche Ergebnis zu erzielen."

Zu diesem Zweck setzen die Silbernen ihr Testprogramm mit dem neuen Wagen an fünf Testtagen in dieser Woche fort, wobei bei den Exklusivtests hinter verschlossenen Toren neben Kimi Räikkönen gegen Ende der Woche auch der Kolumbianer Juan Pablo Montoya in den Genuss des neuen Autos kommen wird. Unterdessen werden die beiden Testfahrer Alexander Wurz und Pedro de la Rosa weitere Entwicklungs- und Reifentestarbeiten mit dem Vorjahresmodell absolvieren.

Fakten zum MP4-20

  • Die Entwicklung des MP4-20 begann im Mai 2004.
  • Die Arbeit im Windkanal mit dem MP4-20 begann ebenfalls im Mai 2004.
  • Rund 3.600 Stunden wurde mit dem MP4-20 im Windkanal gearbeitet.
  • Der Mercedes-Benz FO 110R V10 Motor läuft seit rund einem halben Jahr auf den Prüfständen.
  • Das West McLaren Mercedes Team hat seit dem Ende der Saison 2004 rund 11.000 Testkilometer zurückgelegt.
  • Bisher wurden bei den Tests seit dem Saisonende 2004 rund 8.000 Liter bleifreier Mobil-Kraftstoff verwendet, die von Technologiepartner ExxonMobil geliefert wurden.
  • Während der Konstruktion des MP4-20 wurden mehr als 4.500 Zeichnungen angefertigt.
  • Der MP4-20 besteht aus rund 10.800 einzelnen Bauteilen

Der MP4-20 im Detail

Chassisbezeichnung MP4-20
Chassis Kohlefaser-Monocoque
Aufhängungsdämpfer McLaren
Elektronik McLaren Elektroniksystem
Reifen Michelin
Räder Enkei
Klebstoffe Henkel Technologies
Funk Kenwood
Batterien GS Yuasa Corporation
Gewicht 600 kg
Kraftübertragung semiautomatisches Siebenganggetriebe
Antriebswelle McLaren

Technische Daten Mercedes-Benz FQ 110R

Motorbezeichnung FQ 110R
Zylinderanzahl V10
Benzin Mobil 1 Unleaded
Schmiermittel Mobil 1