Es hat sich mittlerweile eingebürgert, dass aus den Testfahrten nichts mehr herauszulesen ist. Die Schuld daran wird natürlich den Reifen in die Schuhe geschoben: "Es hat sich bei den Tests alles nur noch um das Reifenthema gedreht", klagt Gerhard Berger. Jahr für Jahr scheint Pirelli Teams, Fahrer und Fans aufs Neue vor Rätsel zu stellen. Die immer weicheren - Verzeihung: aggressiveren - Pneus sollen in erster Linie eine gute Show sicherstellen. Das ist 2012 durchaus gelungen, doch zu welchem Preis? Wer sein Auto ausfährt, bekommt es mit auseinanderfallenden Reifen zu tun. Das kann es nicht sein.

Berger poltert weiter: "Wenn das so ist, würde es doch keinen Sinn mehr machen, in die Technik zu investieren. Wenn schlussendlich der Reifenhersteller entscheidet, wer vorne ist." Hoppla, kommt uns Letzteres nicht bekannt vor? Wenn wir einmal zehn Jahre zurückblicken, in die Zeit des Reifenkrieges zwischen Bridgestone und Michelin, stoßen wir genau auf dieselbe Argumentation. 2003 hatte Michelin die Oberhand, bevor Bridgestone nach der Sommerpause mit einem Kraftakt doch noch Michael Schumacher den damals sechsten Titel ermöglichte.

Was wollen wir eigentlich?

Die Horror-Prozession in Bahrain 2010, Foto: Sutton
Die Horror-Prozession in Bahrain 2010, Foto: Sutton

Die Kritik ist also keinesfalls neu. Genau aus diesem Grund wurde der Einheitsreifenhersteller eingeführt. Bridgestone lieferte Reifen, mit denen eine ganze Renndistanz gefahren werden konnte - man erinnere sich an Vettel 2010 in Monza. Die Folge waren Prozessionen, Überholmanöver konnte man an einer Hand abzählen. Bahrain 2010 löst noch immer Horrorgedanken aus. Es hagelte Kritik an den 'Holzreifen'. Pirelli brachte dann alles durcheinander, die Rennen wurden interessanter, doch die Kritik riss nicht ab, teils zu Recht: Ein Rennfahrer, der nicht am Limit fahren darf, ist doch wie ein Nachrichtensprecher, der nicht sprechen darf.

Wie kommen wir also aus dem Dilemma raus? Wir wollen nicht, dass der Reifen wichtiger wird als das Auto, wie es beim Reifenkrieg wäre. Wir wollen keine Reifen, die einen Fahrer zum Langsamfahren zwingen. Wir wollen aber auch keine Prozessionen wie in der Vergangenheit. Was können wir also tun? Am besten den letzten Punkt bekämpfen. Lasst uns einen Reifen bauen, mit dem man ein Rennen komplett durchfahren kann. Das wäre übrigens auch umweltfreundlich, was ja derzeit in Mode ist.

Mit Angsthasen keine Revolution

Doch wir werden einen Preis zahlen müssen: Die Autos müssen sich komplett verändern. Seit dem Verbot der Wing Cars vor 30 Jahren ist das Grundprinzip der Formel-1-Autos dasselbe geblieben: Der Abtrieb wird über Flügel und Diffusor erzeugt. Damit einher geht jedoch das leidige Dirty-Air-Phänomen. Wenn wir Reifen, die nicht auseinanderfallen und gleichzeitig spannende Rennen sehen wollen, muss das Reglement komplett neu geschrieben werden. Die Flügel müssen kleiner werden. Wie schmerzhaft dieser Schritt wäre, zeigt sich an den derzeit schon lächerlichen Heckflügeln, die nicht zu Unrecht ebenfalls kritisiert wurden.

Wie sehr wir uns an die Form der Autos gewöhnt haben, zeigte 2005 der CDG-Flügel, Foto: FIA
Wie sehr wir uns an die Form der Autos gewöhnt haben, zeigte 2005 der CDG-Flügel, Foto: FIA

Wir haben uns gewöhnt an eine Form von Fahrzeugen, die mit Luftwiderständen von Einbauküchen aerodynamisch ineffizient sind und das Racing verschlechtern. Dabei wäre weniger Luftwiderstand doch durchaus umweltfreundlich und damit im Trend. Und wir standen schon kurz davor: Zwischenzeitlich wollte man den Ground Effect im Jahre 2014 zurückzubringen. Das Konzept wurde verworfen. Aus Angst, der Platz für die Sponsoren würde zu klein. Aus Angst, die Formel 1 würde ihr Gesicht verlieren. Aus Angst vor der Veränderung. Und die ist noch nicht einmal unbegründet: Der Aufschrei war schon beim CDG-Flügel im Jahre 2005 groß genug.

Wenn wir also solche Angsthasen und Gewohnheitstiere sind, aber gleichzeitig spannende Rennen sehen wollen, bleibt wohl leider keine Alternative zum weichen - Verzeihung: aggressiven - Showreifen. Dann sollten wir aber aufhören, ständig auf Pirelli herumzuhacken. In diesem Sinne, auf eine spannende Saison mit vielen Reifendramen.